Tag Archive for: Umweltverschmutzung

Wie entstehen Kondensstreifen? Zwischen Naturphänomen und Chemtrails

Die Sommerferien rücken näher und viele von uns ergreift das Fernweh. Dann wandert der Blick zum Himmel und den Flugzeugen hinterher… mitsamt ihrer weissen Kondensstreifen. Im Netz kursieren die wildesten Verschwörungstheorien, die die wolkig-weissen Bänder zu „Chemtrails“ aufbauschen. Meist sind es Regierungen, Militärs oder Industrien, die Verkehrsflugzeuge „missbrauchen“ sollen, um – aus welchem Grund auch immer – vorsätzlich Chemikalien in der Luft und damit über uns ausbringen würden.

Mein Leser Rene ist da zu Recht skeptisch. Und fragt, wie Kondensstreifen tatsächlich entstehen.

Wer sich jetzt fragt, ob es sich dabei tatsächlich um „Chemtrails“ handeln könnte, dem sei gesagt: Jain!

Was kommt aus Flugzeugturbinen heraus?

Alle grösseren Flugzeuge fliegen heute mit Kerosin. Oder besser Kerosinen. Denn „Kerosine“ bezeichnet eine ganze Gruppe von Stoffgemischen aus Kohlenwasserstoffen mit meist 8 bis 13 Kohlenstoffatomen. Diese Moleküle sind also nur wenig grösser (und damit schwerer) als die des Benzins für Autos.

Wie letzteres wird auch Kerosin aus Erdöl gewonnen. So bleibt es nicht aus, dass im Kerosin neben den „einfachen“ Kohlenwasserstoffen auch sogenannte „aromatische“ Kohlenwasserstoffe wie Benzol enthalten sind. Dazu kommen weitere organische Stoffe – sogenannte Additive – die besondere Eigenschaften haben. Zum Beispiel eine antioxidative – also reduzierende – Wirkung, die den Flugzeugmotor vor Korrosion schützen soll.

Verbrennung von Kohlenwasserstoffen

Eines haben all diese Stoffe jedoch gemeinsam: Sie sind allesamt organische Verbindungen, bestehen also vornehmlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Und damit verbrennen sie im Flugzeugmotor auf die gleiche Weise:

Die Gleichung beschreibt die vollständige Verbrennung von organischen Verbindungen am Beispiel von Octan: Dabei entstehen stets Kohlenstoffdioxid und Wasserdampf.

Weitere Verbrennungsprodukte

Manche Kerosinbestandteile enthalten zusätzlich Schwefelatome (trotz Entschwefelung bleiben immer ein paar übrig). Aus solchen Molekülen entsteht bei der Verbrennung das Gas Schwefeldioxid (SO2) – das mit Wasser zu schwefliger Säure (H2SO3) weiterreagieren kann.

Mit mehr Sauerstoff kann es ausserdem zu Schwefeltrioxid (SO3) weiterreagieren, aus welchem wiederum mit Wasser Schwefelsäure entstehen kann.

Zudem werden nicht alle Moleküle vollständig verbrannt, sodass immer ein paar Kohlenwasserstoff-Trümmer zurückbleiben. Diese Trümmer kennen wir von Kerzenflammen als Russ – und im Abgas von Verbrennungsmotoren als „Feinstaub“.

Alles in allem entstehen in Flugzeugmotoren Abgase, die mit denen von Automotoren vergleichbar sind. Einschliesslich der durch die Verbrennung von Luftstickstoff entstehenden Stickstoffoxide NOx, die hier aber keine Rolle spielen.

Was passiert mit den Abgasen?

Kohlenstoffdioxid ist ein Gas mit Sublimationspunkt (hier wird festes CO2 direkt zu CO2-Gas) bei -78°C bei Atmosphärendruck. Bei niedrigerem Druck in grosser Höhe liegt er noch niedriger. Wasser ist bei über 100°C (Atmosphärendruck) ein Gas, zwischen 0°C und 100°C flüssig und bei unter 0°C fest. Auch der Siedepunkt von Wasser liegt bei geringerem Druck deutlich niedriger, aber nicht entscheidend niedrig.

Auf der Reiseflughöhe von Verkehrsflugzeugen, also etwa 8000 bis 11000 Meter über dem Meer, ist es -40°C bis -60°C kalt. Das könnt ihr während eures nächsten Fluges selbst an eurem Sitz-Bildschirm ablesen.

Das CO2 bleibt auch bei solch niedrigem Druck und niedriger Temperatur ein Gas und verliert sich in der Atmosphäre. Der Wasserdampf kondensiert dagegen schnell und gefriert anschliessend zu Eiskristallen. Oder er resublimiert direkt vom Gas zu Eis. Auf diese Weise entstehen in der Natur Wolken!

Für einen Eiskristall braucht es jedoch immer einen Anfang, der den Mittelpunkt bildet (wenn es im Winter schneit, könnt ihr euch diese filigranen Gebilde unter dem Mikroskop anschauen). Einen solchen „Anfang“ nennen Chemiker „Kristallisationskeim“. Und hier kommen die Schwefeloxide und die Feinstaubpartikel aus dem Flugzeugabgas ins Spiel. Die geben nämlich wunderbare Kristallisationskeime ab.

So kristallisiert an ihnen nicht nur das Wasser aus dem Abgas (das reicht für die Kondensstreifen nicht aus), sondern vor allem die Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft! Wenn es denn welche hat. In grosser Höhe ist das oft der Fall: Hier sind Luftfeuchtigkeiten bis 200% möglich!

Kondensstreifen sind Wolken

Kondensstreifen sind also „Wolken“ aus natürlicher Luftfeuchtigkeit, die von ganz normalen Flugzeugabgasen angeregt entstehen!

Je nach Wetterlage in Reiseflughöhe entstehen diese Wolken entweder gar nicht (es ist zu trocken), sie verschwinden binnen Sekunden/Minuten wieder (es ist nur wenig feucht), oder sie bleiben stundenlang am Himmel sichtbar, wobei sie immer weiter zerfasern und breiter werden (wenn es reichlich feucht ist).

Dann bekommen sie von den Wetterforschern sogar einen eigenen Namen: „Homomutatus“ – lateinisch in etwa für „menschengemachte Veränderung“. Zudem werden sie in die Gruppe der als Schlechtwetterwolken bekannten „Cirrus-„, also Federwolken eingeordnet.

Kondensstreifen als Wetter-Vorboten

Wie die bleibende Kondensstreifen bzw. Homomutatus-Wolken entstehen auch die natürlichen Cirrus-Wolken, wenn es in grosser Höhe feucht und kalt ist. Und das kommt vor, wenn das Wetter umschlägt. So können Homomutatus-Wolken ebenso wie ihre natürlichen Vettern Anzeichen für ein aufziehendes Tiefdruckgebiet, also schlechtes Wetter sein.

Kondensstreifen bzw. Homomutatus- und natürliche Cirrus - Wolken
Eine Wetterlage mit natürlichen Federwolken begünstigt auch die längere Erhaltung von Kondensstreifen bzw. Homomutatus-Wolken

Manche Menschen – besonders solche, die schon ein paar mehr Jahre gelebt haben – fragen sich, warum es heute mehr Homomutatus-Wolken zu geben scheint als früher. Die Beobachtung ist sicherlich nicht falsch. Denn es gibt nicht nur mehr Flugzeuge als früher, sondern dank des Klimawandels auch weniger stabiles Wetter und damit mehr aufziehende Tiefs. So ergeben sich mehr Gelegenheiten für die Entstehung bleibender Kondensstreifen. So kann der Himmel in luftverkehrsreichen Gebieten an solchen Tagen schon einmal regelrecht gemustert aussehen:

Kondensstreifen bilden fast rechtwinklige Karrees am Himmel: Das Himmelsstrassennetz wird sichtbar!
Auch am Himmel gibt es festgelegte Verkehrswege. Bei entsprechender Witterung werden die an luftverkehrsreichen Orten als Kondensstreifen-Muster am Himmel sichtbar.

Können Kondensstreifen das Klima beeinflussen?

Wenn sie als Homomutatus länger am Himmel bleiben ja. Denn wie natürliche Cirrus-Wolken reflektieren sie einen Teil der Sonneneinstrahlung zurück ins All (Albedo-Effekt), sodass es darunter kühler wird. Dafür reflektieren sie ebenso einen Teil der Wärmestrahlung vom Erdboden zurück (Treibhauseffekt), sodass es unter ihnen wärmer wird. Wenn diese beiden Effekte sich nicht aufheben, tragen Kondensstreifen/Homomutatus zur Klimaveränderung bei, die im Zweifelsfall wiederum mehr Kondensstreifen verursacht. Ein Teufelskreis!

Also keine Chemtrails durch geheime operationen?

Wenn man „Chemtrails“ als Spuren von Flugzeugen ausgebrachter Chemikalien definiert, sind Kondensstreifen tatsächlich Chemtrails. Ihre Entstehung liegt allerdings in der Natur eines jeden Verbrennungsmotors: Sie bilden sich durch ganz normale Abgase.

In manchen Situationen werden dennoch besondere Stoffe von Flugzeugen ausgestossen.

Stealth-Technologie

Tatsächlich gibt es Flugzeuge, die zusätzliche Stoffe durch ihre Turbinen gejagt haben sollen. Die dienten aber dazu, die Entstehung von Kondensstreifen zu vermeiden! Zum Beispiel beim B2-Tarnkappenbomber des amerikanischen Militärs.

Die Northrop B-2 Spirit der US Airforce : Der Tarnkappenbomber hinterlässt keine Kondensstreifen. Treibstoffzusätze wie Fluorschwefelsäure oder technische Finessen wie Laserstrahlen sollen es möglich machen.

Es wäre ja auch schön blöd, ein (vor Radarortung) getarntes Flugzeug zu fliegen und anhand des Kondensstreifens am Himmel ganz einfach zu entdecken zu sein. Prof. Blume vermutet, diese Additive könnten Fluorschwefelsäure, perfluorierte Tenside (PFT) wie zum Beispiel die Perfluoroalkylsulfonsäure bzw. -sulfonate sein. Liest sich mit Chemikeraugen alles nicht besonders einladend. Welche Stoffe genau verwendet werden bzw. wurden und wie sie funktionieren ist jedoch – ganz militärisch – streng geheim.

Flugshow mit bunten Himmelsschreibern

Zu Grossanlässen wie Formel-1-Rennen sieht man jedoch manchmal Flugzeuge, die zum Beispiel die Landesflagge des Veranstaltungsortes an den Himmel malen. Dazu produzieren sie sogar ganz bewusst „Chemtrails“: Sie zerstäuben nämlich Paraffinöl (flüssiges Wachs!), ggfs. mit Farbstoffen, das nach der Himmelsshow zu Boden sinkt. Parkiert also nicht euer Auto in der Nähe solcher Flugstrecken – sonst könnt ihr nachher zusehen, wie ihr den Wachs- oder Ölfilm darauf wieder loswerdet!

Keine Kondensstreifen, sondern "Chemtrails": Im Rahmen einer Flugshow "malen" fünf Kampfjets eine rot-weiss-blaue Streifen an den Himmel.
Sind es die Niederländer oder die Franzosen? Im Rahmen einer Flugshow versprühen die Flieger Paraffinöl und Farbstoffe, um die Landesflagge an den Himmel zu „malen“.

Fazit

Die Verschwörungstheoretiker unter euch muss ich leider enttäuschen: Kondensstreifen sind natüriches Wasser, das von ganz normalen Flugzeugabgasen zur Wolkenbildung animiert worden ist. Dafür, etwas anderes anzunehmen, gibt es keinen Anlass.

Dass diese Wolken sowohl vom Klimawandel künden als auch diesen fördern mögen, ist dagegen nicht von der Hand zu weisen. Ebenso wie ganz normale Abgase dem Klimaschutz nicht zuträglich sind.

Wenn das Militär tatsächlich einmal zusätzliche Chemikalien mit Flugzeugen „ausbringt“, dann entweder, um die Entstehung von Kondensstreifen zu vermeiden, oder um uns eine bunte Show zu bieten.

Die Umwelt freut sicher keine der genannten Aktionen (mit Verbrennungsmotor fliegen, mit Additiven gegen Kondensstreifen fliegen, bei Flugshows Paraffinöl versprühen) – aber eine Verschwörung ist als Erklärung dafür nicht nötig!

Und was haltet ihr von Kondensstreifen am Himmel?

Wie Streusalz wirkt - Nutzen und Gefahren im Winterdienst

(Titelbild: CC BY-SA3.0 by Heidas)

Willkommen im neuen Jahr – mit viel Schnee bis in die Niederungen und entsprechend viel Streusalz auf den Strassen. Letzten Samstag habe ich zwei Schneepflügen zugesehen, die in aller Eile unseren Busbahnhof geräumt haben. Dabei fiel mir am Heck jedes Fahrzeugs gleich ein Streuteller ins Auge. Dieses runde Gerät dreht sich fortlaufend und verteilt – die Zentrifugalkraft ausnutzend – Streusalz auf die frisch geräumte Fläche.

Tatsächlich wird in der Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – besonders wenn man ihre Grösse und Bevölkerung berücksichtigt – nach wie vor ziemlich viel Salz gestreut. Aber warum machen die Städte und Gemeinden das? Wie kann Streusalz verhindern, dass es Glatteis gibt? Und wie sorgt es dafür, dass Eis und Schnee schmelzen?

Was ist Streusalz?

Das Salz, welches gegen Schnee- und Eisglätte gestreut wird, ist tatsächlich nichts anderes als gewöhnliches Kochsalz, also Natriumchlorid, NaCl. In Ländern wie Deutschland, die auf geniessbares Kochsalz eine Salzsteuer erheben, wird das Streusalz „vergällt“. Das heisst, es werden Stoffe hinein gemischt, die das Salz ungeniessbar machen. Deshalb ist Streusalz – das in grossen Mengen gebraucht wird – oft wesentlich preiswerter als Tafel- oder hochreines Labor-Salz.

Wenn das Streusalz auch bei sehr hartem Frost funktionieren soll, wird das Natriumchlorid zudem mit anderen Salzen wie Calciumchlorid, CaCl2, oder Magnesiumchlorid, MgCl2, vermischt. Diese Salze haben auch bei niedrigeren Temperaturen eine auftauende Wirkung.

All diese Salze bestehen aus Ionen, also elektrisch geladenen Atomen, die sich zu einem Gitter – einem Ionenkristall – zusammengelagert haben. In Wasser werden die Ionen jedoch voneinander getrennt: Jedes dieser Salze löst sich in Wasser. Aus Natriumchlorid entstehen dabei Natrium- und Chlorid-Ionen:

NaCl –(H2O)–> Na+(aq) + Cl(aq)

Wie kann Streusalz verhindern, dass Wasser gefriert?

Wenn flüssiges Wasser auf 0°C oder darunter abkühlt, lagern sich auch Wassermoleküle zu Eiskristallen zusammen. Allerdings sind Wassermoleküle nicht elektrisch geladen. Stattdessen sind die Elektronen in solchen Molekülen nicht gleichmässig verteilt, sodass ein Ende eines Wassermoleküls negativer, das andere positiver geladen ist.

Wasserteilchen mit zwei Ladungs-Schwerpunkten
Das Sauerstoff-Ende (rot) eines H2O-Moleküls hat einen negativen, das Wasserstoff-Ende (weiss) einen positiven Ladungsüberschuss.

Das lässt sich übrigens mit diesem spannenden Experiment ganz einfach zeigen.

Die negativ geladenen Enden wenden sich im Eiskristall den positiv geladenen Enden der nächsten Moleküle zu und umgekehrt. So bestimmen die Ladungsüberschüsse in den Wassermolekülen die Form des Eiskristallgitters.

Ein Modell eines Eiskristalls: Die schwarzen bzw. silbernen „Eckstücke“ stellen Wassermoleküle dar, die Verbindungsstäbe stehen für Wasserstoffbrücken zwischen den unterschiedlichen Ladungsschwerpunkten benachbarter Moleküle.

Wenn man nun Kochsalzkristalle („Salzkörner“ sind ganz kleine Kristalle) in flüssiges Wasser mischt, lagern sich die Wassermoleküle mit dem jeweils entgegengesetzt geladenen Ende an die Natrium- und Chlorid-Ionen im Gitter an. Dabei drängen sich die Wassermoleküle derart heftig um die Ionen, dass diese schliesslich aus dem Ionengitter herausgelöst werden! Damit können die einzelnen Ionen vollständig von Wassermolekülen umlagert werden.

Natriumion mit Hydrathülle
Ein Natrium-Ion ist vollständig von Wassermolekülen umgeben, die dem positiv geladenen Ion ihre negativ geladenen Enden zuwenden. An diese innere Hülle lagern sich weitere Wassermoleküle an – das negative Ende wiederum dem Ion zugewandt – an, sodass eine Hydrat-Hülle sehr dick werden kann.

Chemiker sagen, die Ionen sind von einer „Hydrat-Hülle“ umgeben, oder – kurz gesagt – „hydratisiert“ (das „aq“ in der Reaktionsgleichung oben meint genau diesen Zustand: Na+(aq) ist ein Natrium-Ion mit Hydrat-Hülle; „aq“ steht dabei für das lateinische „aqua“ für Wasser).

Wasser ist nicht multitaskingfähig

Damit sind die Wassermoleküle ziemlich schwer beschäftigt. Nicht einmal bei Temperaturen knapp unter 0°C können sie sich von den Ionen losreissen und ihre Plätze in einem Eiskristall einnehmen. Und da die Hydrathülle eines jeden Ions aus weit mehr als einer Molekül-Schicht besteht, ist schnell ein Grossteil aller Wassermoleküle zu beschäftigt, um zu gefrieren. Das Wasser mit den gelösten und hydratisierten Salz-Ionen bleibt also flüssig.

Erst bei Temperaturen unter -21°C (im Labor) bilden sich Mischkristalle, die aus Salz-Ionen und Wassermolekülen bestehen – kurz gesagt: Salzwasser-Eis. Das Kristallgitter von Salzwasser-Eis ist allerdings bei weitem nicht so regelmässig wie das von reinem Wasser-Eis. Das ganze Mischmasch hält einfach weniger gut zusammen. Deshalb ist der Gefrierpunkt von Salzwasser tiefer als der von reinem Wasser. Chemiker und Physiker nennen diesen Umstand „Gefrierpunkterniedrigung“.

Gefrierpunkterniedrigung auf der Strasse

Streut man also Kochsalz auf eine nasse Strasse, so bildet sich auch bei Temperaturen bis zu etwa -10°C kein Eis. Enthält das Streusalz zudem oder stattdessen Calcium- oder Magnesiumchlorid, kann das Wasser auf der Strasse auch bei bis zu -20°C flüssig bleiben. Diese Salze enthalten nämlich Ca2+– bzw. Mg2+-Ionen, die grösser als Na+-Ionen sind. Damit ist das Gitter von Calcium- bzw. Magnesium-Salzwasser-Eis noch unregelmässiger als das von Natrium-Salzwasser-Eis – und hält entsprechend noch weniger gut zusammen.

Und wenn es bereits friert: Wie kann Streusalz Eis schmelzen?

Eiswasser und Le Châtelier: Eine bewegliche Angelegenheit

Erreicht die Temperatur von Wasser (fest oder flüssig) den Gefrierpunkt (bei 0°C) können sich zuvor bewegliche Wassermoleküle zu einem festen Eiskristall zusammenlagern und sich daraus lösen und zu flüssigem Wasser werden. Das heisst: Während an einigen Orten an der Kristalloberfläche neue Moleküle hinzu kommen, werden an anderen Orten andere Moleküle wieder abgelöst. Ob dabei (mehr) Eis entsteht oder schmilzt, hängt davon ab, ob dem Wasser Energie zugeführt oder entzogen wird.

Sobald nämlich flüssiges Wasser und Eis miteinander vorhanden sind, ist das Ganze ein dynamisches (d.h. bewegliches) System, welches dem Gesetz von Le Châtelier gehorcht (das Le Châtelier höchstselbst uns hier am Flughafen erklärt).

Wird dem Eiswasser Energie entzogen (z.B. durch Kühlung), kommen mehr neue Moleküle zum Eis hinzu, als davon abgelöst werden, sodass irgendwann das ganze Wasser zu Eis erstarrt. Wird stattdessen Energie hinzugefügt (z.B. durch Erwärmen), verhält es sich umgekehrt: Es lösen sich mehr Moleküle vom Eis als hinzu kommen, bis das ganze Wasser flüssig ist.

Mit diesem spannenden Experiment könnt ihr feststellen, dass sich die Temperatur des Eiswassers durch Erwärmen tatsächlich nicht ändert, so lange Eis und Wasser miteinander vorhanden sind!

In einer Umgebung ohne sich verändernde äussere Einflüsse (insbesondere ohne Energie-Austausch, was im Alltag ziemlich unrealistisch ist), kann sich sogar ein dynamisches Gleichgewicht einstellen: Wenn stets ebenso viele Wassermoleküle zum Kristall hinzukommen wie sich davon lösen, gefriert und schmilzt das Wasser ständig – aber die Menge des Eises (und des flüssigen Wassers) ändert sich nicht!

Kochsalz übt einen Zwang auf das System aus

Bringt man nun Kochsalz (oder einen anderen Stoff mit „Auftauwirkung“) in ein solches Eiswasser-System, dann wird ein erheblicher Teil Moleküle des flüssigen Wassers mit der Bildung von Hydrat-Hüllen um die Ionen „beschäftigt“. Diese Moleküle „fehlen“ dem Eiswasser-System damit regelrecht. Und gemäss dem Gesetz von Le Châtelier ist das System umgehend darum bemüht, diesen Verlust auszugleichen.

Das Fehlen der flüssigen Wassermoleküle führt also dazu, dass sich mehr Moleküle aus dem Eis lösen, um die Fehlenden zu ersetzen. Das sind mitunter so viel mehr Moleküle, dass insgesamt mehr Wasser flüssig wird als gefriert – obwohl ohne Salz mehr Wasser gefroren wäre! So kann die Gegenwart von Streusalz selbst bei Temperaturen unter 0°C Eis zum Schmelzen bringen.

Wie kommt man bei Frost zum dynamischen System?

Wenn ihr gut aufgepasst habt, werdet ihr jetzt vielleicht einwenden, dass das Auftauen nur funktionieren kann, wenn Eis und flüssiges Wasser vorhanden sind. Und letzteres gibt es bei Frost naturgemäss nicht!

Guter Einwand. Aber die Verwender von Streusalz wissen das natürlich auch. Deshalb streuen sie das Salz gleich mit flüssigem Wasser – als pflotschigen Salz-Matsch oder gar als mehr oder weniger flüssige Salzlösung – also als „Sole“ wie die Fachleute so etwas nennen.

Ausprobieren könnt ihr das Ganze hingegen mit trockenem Salz – in eurer warmen Wohnung. Da beginnt Eis nämlich von selbst zu schmelzen und bekommt so eine feuchte Oberfläche. Wie könnt ihr das nutzen? Das zeige ich euch in dieser ganz herzigen Experimentier-Anleitung.

Wie schadet Streusalz der Umwelt?

So nützlich Auftausalz auch ist, bringt es doch eine ganze Reihe von Problemen für die Umwelt, in die es ausgebracht wird, mit sich.

Beeinträchtigung von Gewässern

Die grossen Mengen an Salzen, die auf Strassen und Wege gestreut werden, lösen sich äussert gut in Wasser. Das sollen sie ja auch, denn sonst würde das Ganze nicht funktionieren. Die Salzlösung, die aus Schneematsch und tauendem Eis entsteht, kann jedoch ebenso leicht wie ablaufendes Wasser in umliegende Gewässer geraten. Und Salzwasser hat eine höhere Dichte als das normalerweise dort vorhandene Süsswasser: Ein Volumen an Salzwasser ist schwerer als das gleiche Volumen Süsswasser!

Ein natürliches Gewässer, das aus mehreren Wasserschichten unterschiedlicher Temperatur und Dichte besteht (die Dichteanomalie des Wassers führt dazu, dass reines Wasser bei rund 4°C die grösste Dichte hat), kann durch den Zufluss von Salzwasser von gestreuten Strassen eine oder mehrere neue Schicht/en erhalten. Solche neuen oder veränderten alten Schichten bringen die natürliche, temperaturgesteuerte Umwälzung der Wassermassen im Gewässer durcheinander, was die Verteilung von Sauerstoff und Nährstoffen beeinträchtigt und damit die Lebewesen im Gewässer gefährdet.

Schädigung von Bäumen und anderen Pflanzen

Die Gewächse im Binnenland und in Süssgewässern sind daran angepasst, dass sie Süsswasser „trinken“ und ihre Nährstoffe daraus beziehen können. Das heisst, der Austausch von Wasser und darin gelösten Stoffen zwischen Wurzeln oder Blättern und ihrer Umgebung, der auf Osmose beruht (die ihr hiermit genauer erforschen könnt) ist fein auf einen geringen Salzgehalt abgestimmt.

Kurz gesagt nehmen viele Pflanzen- (und andere) Zellen um so mehr Wasser auf, je mehr Salze sie enthalten – und geben Wasser ab, wenn draussen mehr Salze sind als in ihrem Inneren. Das gilt jedoch nicht für Wurzeln, die Wasser mitsamt der darin enthaltenen Mineralstoffe (die nichts anderes als Salz-Ionen sind) aufnehmen sollen, von welchen die Pflanze sich ernährt.

Geraten diese Pflanzen nun unverhofft an Salzwasser von gestreuten Strassen, „trinken“ sie das Wasser mitsamt dem vielen Salz. Das wiederum wird in die verschiedenen Pflanzenzellen verteilt und zieht weiteres Wasser nach sich: Die Zellen schwellen an und funktionieren nicht mehr richtig. In Folge dessen kränkeln die Pflanzen und gehen im schlimmsten Fall ein.

Tiere bekommen wunde Pfoten

Wer schon einmal mit einem Kratzer in der Haut im Meer gebadet hat, wird es selbst erfahren haben: Salzlösung tut weh! Sie kann die Haut reizen, besonders an empfindlichen vorgeschädigten Stellen. Wie zum Beispiel in den Zehenzwischenräumen von Säugetieren. Wenn es uns Menschen juckt oder zwickt, dann kratzen wir – die Tiere hingegen lecken solche wunden Stellen mit der Zunge. Im Speichel der Tiere wiederum lauern Keime, die so an die wunden Stellen geraten und Infektionen hervorrufen können, welche zu stärkeren Entzündungserscheinungen führen. Und mehr Salz in diesen Wunden tut wiederum weh, sodass mehr geleckt wird…

Mit dem Haushund oder der Katze können wir zum Tierarzt gehen, Salben auftragen und eine Halskrause anlegen, um das Lecken zu unterbinden – begeistert werden die Haustiere davon aber nicht sein. Und Wildtiere wie Füchse können in der Regel nicht einmal auf diese Hilfe zählen.

Korrosion von Metall- und Betonbauteilen

Vielleicht ist euch ja auch schon einmal aufgefallen, dass man in Häfen oder allgemein an der Meeresküste besonders viel Rost antrifft – tatsächlich rostet Eisen, das Kontakt mit Salzwasser hat, deutlich schneller als Eisen fernab vom Meer.

Das rührt daher, dass Wasser mit darin gelösten Salz-Ionen wesentlich besser elektrischen Strom leitet als Süsswasser oder gar reines Wasser. Und elektrische Leitfähigkeit ist für das Rosten und ähnliche Prozesse, die die Chemiker als „Korrosion“ zusammenfassen, unverzichtbar. Korrosion ist nämliche eine Folge chemischer Reaktionen, bei welchen zwischen den Reaktionspartnern Elektronen ausgetauscht werden. Und Elektronen (oder andere geladene Teilchen) auf Wanderschaft sind…elektrischer Strom.

So können durch salzhaltiges Wasser Elektronen vom Eisen direkt zu dessen Reaktionspartnern wandern, was die Korrosion – das Rosten – besonders einfach macht. Was genau dabei geschieht, könnt ihr übrigens hier in meiner Rostparade nachlesen.

Autos, die über gesalzene Strassen fahren, rosten also ebenso schneller wie Brücken und andere Bauwerke aus Eisen, Stahl oder Stahlbeton, die rund um solche Strassen stehen.

Gibt es Alternativen zum Streusalz?

Da die Probleme, welche das Streuen mit Salz mit sich bringt, den Winterdiensten wohlbekannt sind, gibt es verschiedene Alternativen, die jedoch alle ihren eigenen Haken haben:

Harnstoff oder Ammoniumsulfat

Diese beiden Verbindungen haben eine ähnliche auftauende Wirkung wie Kochsalz und seine schwereren Verwandten. Allerdings enthalten sie Stickstoff (Harnstoff ist CO(NH2)2,Ammoniumsulfat ist (NH4)2SO4 !) in Verbindungen, die für viele Pflanzen sehr nahrhaft sind. Massenweise auf Strassen ausgebracht und im umliegenden Boden versickert können sie daher zu Überdüngung führen. Ausserdem ist auch Ammoniumsulfat eine Ionenverbindung und bringt die gleichen Probleme mit sich wie alle anderen Salze auch.

Abstumpfendes Streugut: Split, Sand, Blähton und ähnliches

Solche Streugüter sind im Prinzip nichts anderes als zerkleinerte Steine – weitgehend wasserunlöslich und unreaktiv. Damit gefährden sie zwar nicht den Stoffwechsel von Pflanzen und Tieren, müssen nach der Verwendung aber wieder eingesammelt und entsorgt werden. Würde man das nicht tun, würden Sand und Steinsplitter irgendwann Rinnsteine und Abflüsse verstopfen.

Und die Entsorgung oder gar Wiederaufbereitung von Streugut ist alles andere als einfach. Nachdem nämlich unzählige Autos darüber gefahren sind, ist das Streugut von Reifenabrieb und anderem Schmutz verunreinigt. Der müsste erst vom Streugut abgeschwaschen und dann seinerseits umweltschonend entsorgt werden.

Was ihr tun könnt, wenn euer Gehweg überfriert

Wenn ihr in Deutschland oder Österreich wohnt, werdet ihr keine grosse Wahl haben. Hier ist nämlich der Einsatz von Streusalz für Privatpersonen verboten (die Winterdienste der Kommunen streuen hingegen bei extremen Wetterbedingungen Salz auf den Strassen).

In der Schweiz gibt es dagegen kein generelles Verbot, sodass ihr hierzulande selbst entscheiden könnt, ob und womit ihr eure Gehwege streut.

Auf eurem privaten Garten- oder Fussweg, fernab von zahllosen Gummireifen, ist abstumpfendes Streugut eine gute Wahl für Pflanzen und Tiere. Ihr werdet es bloss immer wieder nachstreuen und schliesslich wieder einsammeln müssen, sobald Schnee und Eis geschmolzen sind.

Die beste Massnahme gegen Eisglätte auf Wegen und Strassen ist letztendlich das Schneeschippen. Denn was einmal geräumt ist, kann nicht mehr überfrieren und schmilzt im Frühjahr rückstandslos weg. Einzig bei überfrierendem Regen hilft das Schaufeln auch nicht weiter. Aber meiner Erfahrung nach ist das selbst hier in der Schweiz eine Ausnahme-Wettererscheinung.

Bevor ihr irgendetwas streut, empfehle ich euch, erst einmal zu schaufeln was das Zeug hält. Denn ganz ohne den Einsatz von Streugut wird es im heutigen Strassenverkehr kaum mehr gehen. Aber die Menge des dabei verwendeten Streusalzes kann so gering wie möglich gehalten werden. Und dabei könnt ihr alle mitmachen!

Und wie geht ihr gegen Schnee- und Eisglätte vor?

Seit April 2019 ist dieser Beitrag Teil der Blogparade „Dein krassestes Müll-Erlebnis“ auf www.aktiv-durch-das-leben.de . Denn allein die Recherche für diesen Beitrag als solche war schon krass!

Rauchen schadet der Gesundheit – das weiss jeder, denn es steht schliesslich auf jeder Tabak-Packung. Dass Zigarettenabfälle ebenso der Umwelt schaden, wird dabei jedoch verschwiegen. Und wer kennt sie nicht, die in Bahngleisen, an Strassenrändern, in Parks und an Stränden herumliegenden Zigarettenkippen, die viele Leute achtlos in die Gegend werfen. Selbst in der deutschsprachigen Schweiz findet man sie noch. Und hier sei das achtlose Wegwerfen von Zigarettenkippen innerhalb Europas noch am meisten verpönt.

 

Wie ein winziger Stummel zum Problem wird

Einze Zigarettenkippe ist doch winzig, oder nicht? Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt das Gewicht eines Filters, 5x5x15mm, auf 0,17g. Was kann so ein kleines Ding schon stören? Die Menge machts: Von 5 bis 6 Billionen (das ist eine 5 oder 6 mit 12 Nullen!) Zigaretten, die weltweit in einem Jahr geraucht werden, landeten laut WHO im Jahr 2014 bis zu 4 Billionen Filter irgendwo in der Gegend – und nicht im vorgesehenen Aschenbehälter. Das sind bis zu 680’000 Tonnen Zigarettenkippen!

Und wir alle wissen, wie abstossend es aussieht, wenn die überall herumliegen. Dabei ist der äussere Eindruck noch das kleinste Problem.

 

Warum gibt es Zigarettenfilter, wenn die so viel Abfall machen?

Bis in die 1950er Jahre bestanden Zigaretten nur aus Tabak und einer Papierhülse, die weitestgehend verbrannten. Dann fand man heraus, dass der Tabakrauch neben dem Nicotin, auf das man es abgesehen hatte, reihenweise (weitere) gesundheitsschädliche Stoffe enthält: Schwermetalle, Verbrennungsrückstände wie aromatische Kohlenwasserstoffe, Teer und viele mehr… und die alle atmeten die Raucher ungehindert ein – und wurden all zu schnell krank davon.

Nun tragen krankmachende Produkte nicht gerade zum guten Ruf eines Industriezweigs bei. Deshalb ersannen die Hersteller eine Vorrichtung, um die gesundheitsschädlichen Stoffe (zumindest teilweise) vom übrigen Rauch abzutrennen, bevor der Raucher ihn einatmet: Einen Filter.

Wie ein Filter funktioniert

Ein Filter ist ein poröses – also ein von winzigen Öffnungen durchzogenes – Material, durch welches der Rauch hindurchströmt. Dabei bleiben bestimmte Partikel – weil sie zu gross für die Öffnungen sind – in dem Material hängen, während kleine Moleküle ungehindert hindurch gelangen können.

Ein ganz einfacher Filter ist das Spielzeugsieb im Sandkasten: Feiner Sand gelangt hindurch, gröbere Kiesel bleiben in den Maschen hängen. Auch ein Kaffeefilter funktioniert so: Wasser mit darin gelösten Farb- und Aromastoffen gelangt hindurch, während die groben Kaffeesatz-Partikel im Filter zurückbleiben.

Das passende Material, um Billionen handliche, möglichst leichte Filter für Zigarettenrauch herzustellen, war seinerzeit und bis heute ein Kunststoff namens Celluloseacetat.

 

Was ist Celluloseacetat?

Cellulose: Ein Naturstoff

Cellulose ist ein Biopolymer, d.h. ein riesenlanges Kettenmolekül, das von Lebewesen hergestellt wird. Und zwar in diesem Fall von Pflanzen. Die speichern nämlich ihre energiereichen Zucker – speziell Glucose, die sie per Fotosynthese herstellen – indem sie die kleinen Zucker-Moleküle zu langen Ketten aneinander knoten: Cellulose ist damit ein Vielfachzucker, ein Polysaccharid. Die Rohform, in welcher Cellulose in der Industrie aus Pflanzen gewonnen wird, ist besser als „Zellstoff“ bekannt. Sie dient unter anderem zur Herstellung von Papier.

Ein Ausschnitt aus einem Cellulose-Molekül - dem Rohstoff für die Herstellung von Zigarettenfiltern

Zellulose – ein Biomolekül. Die Zeichnung zeigt ein sich immer wiederholendes Kettenglied.

Es gibt reichlich Mikroorganismen, die sich von lebenden oder toten Pflanzenteilen ernähren. Die leben entweder eigenständig oder besiedeln den Verdauungstrakt verschiedener pflanzenfressender Tiere (und des Menschen!). Dort übernehmen sie für ihre grossen Wirte die Verarbeitung der Cellulose zu verwertbaren Einfach- oder Zweifachzuckern. Damit ist Cellulose gut biologisch abbaubar.

Essigsäure: Ein weiterer Naturstoff kommt dazu

Wenn man die Cellulose aber mit reiner Essigsäure (und einem passenden Katalysator) zusammenbringt, können die Essigsäure-Moleküle mit den OH-Gruppen der Glucose-Ringe in der Cellulose reagieren. Die Reaktion wird Veresterung genannt: Aus einer Säure (hier Essigsäure) und einem Alkohol (ein Stoff mit OH-Gruppen, hier die Cellulose – ja, Zucker sind chemisch gesehen Alkohole) entsteht ein sogenannter Ester.

Chemiker benennen solche Stoffe als [Säure][Alkohol]-Ester (hier so etwas wie „Essigsäurecellulosyl-Ester“) oder als [Alkohol][Salz/Rest der Säure] (hier: „Celluloseacetat“ – denn die Salze und andere Verbindungen der Essigsäure heissen „Acetate“). Da die Cellulose an diesem Molekül den Löwenanteil hat, ist der zweite Name treffender. Deshalb hat sich „Celluloseacetat“ als Name für diesen Ester allgemein durchgesetzt.

Celluloseacetat: In dieser Ausführung sind zwei von drei OH-Gruppen der Zucker-Ringe mit Essigsäure verestert.

Celluloseacetat für Zigarettenfilter: Zwei von drei OH-Gruppen der Cellulose sind nun mit je einem Essigsäurerest (CH3COO-) verestert.

Je nachdem, wie viele OH-Gruppen der Cellulose so verestert sind, haben die verschiedenen Celluloseacetate leicht unterschiedliche Eigenschaften. Für die Herstellung von Fasern – auch für Zigarettenfilter – eignet sich die Sorte mit zwei von drei veresterten OH-Gruppen pro Glucose-Ring besonders gut.

Aber: Aus zwei Naturstoffen wird ein Kunststoff

Und da auch Essigsäure ein Naturstoff ist, könnte man meinen, Celluloseacetat trage seine Bezeichnung als „Biokunststoff“ zu Recht. Es gibt allerdings ein Problem damit:

Die Essigsäurereste an den Zuckerketten sind so sperrig, dass die massgeschneiderten Enzyme von cellulosefressenden Mikroben die Acetylcellulose kaum mehr spalten können. Und da Acetylcellulose ein Kunststoff ist, hält die Natur dafür keine (bekannten) massgeschneiderten Enzyme bereit. Somit hat Acetylcellulose eine unliebsame Eigenschaft mit den Erdölkunststoffen gemein: Sie ist nur schwerlich biologisch abbaubar (das dauert mindestens 15 Jahre, in Salzwasser angeblich sogar bis 400 Jahre!).

Das mag den Herstellern von Textilfasern vielleicht gefallen: Wer möchte schon Kleidung oder Regenschirme, die sich bei Wind und Wetter langsam auflösen? Wenn es um Wegwerfprodukte wie Zigarettenfilter geht, wird die mangelnde oder fehlender Abbaubarkeit aber zum Problem. Denn einmal weggeworfen bleibt so ein Kunststoff viel zu lange unbehelligt liegen.

 

Kann man Celluloseacetat recyceln?

Mit vielen Kunststoffen kann man das. Auch mit Celluloseacetat dürfte das nicht all zu schwer sein. Ester sind nämlich empfindlich gegenüber basischen Stoffen. Eine Base katalysiert nämlich die sogenannte Ester-Verseifung (mit dieser Reaktion wird auch Seife hergestellt, deshalb heisst sie so!) : Aus einem Ester werden in basischer Umgebung wieder Säure und Alkohol – also Essigsäure und Cellulose. Und die mag man voneinander trennen, um die Cellulose weiter abzubauen oder wiederzuverwerten…

Oder man verwendet zur Herstellung von Zigarettenfiltern statt Acetylcellulose einen anderen, biologisch abbaubaren Stoff. Dann müsste man die Billionen von Kippen nicht einmal wieder einsammeln, um sie zu recyceln…

Schön wäre es, wenn das so einfach wäre. Leider wird dabei nicht berücksichtigt, welchem Sinn und Zweck Zigarettenfilter dienen: Die filtern giftige Stoffe aus dem Rauch. Die dann zwangsläufig im Filter hängen. Und die vor dem Recycling da wieder raus zu bringen wäre aufwändig und teuer – und sie in abbaubaren Filtern liegen zu lassen nicht weniger gefährlich.

 

Das eigentliche Problem mit Zigarettenfiltern

… ist somit nicht der Kunststoff, aus dem sie bestehen. Sondern das, was nach dem Rauchen darin ist. Und in Zigarettenrauch lassen sich bis zu 9600 verschiedene Stoffe nachweisen, von welchen laut WHO mindestens 7000 gefährlich sind.

Im Zigarettenfilter bleiben davon vor allem jene hängen, die zu grösseren Partikeln zusammen klumpen und so nicht mehr durch die Poren passen.

Dazu gehören unter anderem

  • Kohlenwasserstoffe („Teer“: sowohl langkettige, wie man sie auch als Erdölbestandteile kennt, als auch ringförmige („cyclische“) und aromatische Kohlenwasserstoff, darunter Benzol, Toluol und die ebenso als krebserregend bekannten PAK bzw. PAH (Polyaromatischen Kohlenwasserstoffe bzw. polyaromatic hydrocarbons)
  • Phenol und damit verwandte Stoffe, die ebenfalls zu den aromatischen Verbindungen zählen und giftig sind
  • Nicotin und andere Giftstoffe aus der Gruppe der Alkaloide
  • Schwermetallionen z.B. von Cadmium, Quecksilber, Kupfer, Arsen, Nickel, Blei
  • Rückstände von Pflanzenschutzmitteln (aus dem Tabak-Anbau)
  • Spuren radioaktiver Isotope wie Polonium 210 (die werden von der Tabakpflanze besonders eifrig aus der Luft gesammelt)

 

Neue Zigarette im Vergleich mit Zigarettenkippe: Rückstände aus dem Zigarettenrauch färben den gebrauchten Filter bräunlich.

Links: Filter einer neuen Zigarette – das saubere Zelluloseacetat ist weiss.
Rechts: Filter einer gerauchten Zigarette: Rückstände aus dem Rauch färben den Filter gelblich braun (By Akroti [CC BY-SA 2.5 ], from Wikimedia Commons)

Achtung! Zigarettenfilter halten nicht was sie versprechen!

All diese Stoffe werden vom Zigarettenfilter höchstens zur Hälfte abgefangen, sodass sie auch im eingeatmeten Rauch enthalten sind! Passivraucher bekommen überdies den ungefiltert aufsteigenden Rauch vom anderen Ende der Zigarette mit!

 

Welcher Schaden durch weggeworfene Zigarettenkipppen entsteht

Das ist eine stattliche Liste als Umweltgifte und als gesundheitsschädlich berüchtigter Stoffe. Und sie alle landen tagtäglich dort, wo wir zur Arbeit gehen, wo unsere Kinder spielen, wo wir unsere Ferien geniessen möchten. Und dort will sie wirklich niemand haben. Denn Wind und Wetter ausgesetzt lösen sich die Schadstoffe mit der Zeit aus den Kippen, gelangen in Böden und Gewässer.

Besonders das Nicotin und andere Stoffe aus der Gruppe der Alkaloide sind akut giftig. Und das nicht nur für Kleinlebewesen (deshalb wurde Nicotin als Pflanzenschutzmittel im Ackerbau verwendet, bis es in den 1970er Jahren als zu giftig verboten wurde!). Ebenso können sich kleine Kinder, die Zigarettenkippen finden und verschlucken, daran vergiften.

Schon ein bis drei Kippen können bei Kleinkindern Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Durchfall und Erbrechen auslösen. Und das passiert gar nicht so selten. Allein der Giftnotruf Berlin hat im Jahr 2008 921 Fälle von verschluckten Tabakabfällen bei Kleinkindern gezählt. Anfang der 2000er Jahre waren es noch rund 260 Fälle im Jahr.

 

Was wird gegen den Sondermüll auf den Strassen getan?

Kein Wunder, treiben Städte, Gemeinden und Tourismusbetriebe einen Riesenaufwand, um die Kippen zu beseitigen. Allein in der „sauberen“ Schweiz legen Städte und Gemeinden Jahr für Jahr 55 Millionen Franken nur für das Beseitigen von Zigarettenkippen hin!

Andere Länder greifen zu wahrhaft drakonischen Massnahmen: In Singapur, das wir bald besuchen werden, gibt es schmerzhaft hohe Bussgelder für das Wegwerfen von Zigarettenkippen (und anderen Abfällen). Sogar mit Stockschlägen oder Gefängnisstrafen muss man laut den Reiseinformationen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA rechnen.

Selbst das hilft jedoch nur so lange, wie konsequent überwacht und bestraft wird. Dass viele Stoffe in Zigarettenkippen eigentlich als Sonderabfall entsorgt gehören, ist zu vielen Menschen rund um den Globus nicht bewusst. Auch in Mitteleuropa.

 

Was ihr gegen die Kippenflut tun könnt

  1. Ihr alle könnt dazu beitragen, dass weniger Zigarettenkippen eure Umwelt verdrecken. Und zwar so:
  2. Nicht (mehr) rauchen: Die wirkungsvollste Methode – und sowieso besser für eure Gesundheit. Auch wenn es oft leichter gesagt als getan ist.
  3. Wenn ihr doch (noch) raucht: Nicht dort rauchen, wo Kinder spielen oder ihr die Natur geniessen möchtet
  4. Ganz wichtig: Wenn ihr raucht, entsorgt Asche und Kippen in einen dafür vorgesehenen Abfallbehälter! Werft sie niemals einfach weg!
  5. Wenn ihr dort rauchen möchtet, wo es keine fest angebrachten Aschenbehälter gibt: Nehmt einen verschliessbaren Aschenbecher mit, damit ihr Asche und Kippen später richtig entsorgen könnt!
  6. Wenn ihr andere beobachtet, die ihre Kippen einfach in die Gegend werfen: Weist sie auf die Gefährlichkeit der Zigarettenabfälle und allenfalls vorhandene Ascheimer hin.
  7. Sprecht mit euren Kindern offen und eindringlich darüber, dass auch Zigarettenkippen „richtig giftig“ sind. Dass sie nicht in den Mund genommen werden dürfen oder auch nur herumliegen sollten. Im besten Fall bleibt etwas davon hängen, wenn sie später einmal als Jugendliche unter sich sind.
  8. Nehmt die Säuberung „eures“ Spielplatzes, Dorfplatzes, Seeufers oder Lieblings-Naherholungsgebietes selbst in die Hand – am besten mit der ganzen Familie. Sammelt herumliegende Kippen ein, um sie ordnungsgemäss zu entsorgen. Nicht vergessen: Schutzhandschuhe tragen!

 

Sind E-Zigaretten eine Lösung für das Kippenproblem?

Warum steht „Steigt auf E-Zigaretten um“ nicht auf der Liste oben? Diese handlichen elektrischen Geräte erzeugen Wärme, welche eine Flüssigkeit mit oder ohne Nikotin aus Tabak oder anderen Erzeugnissen zum Verdampfen bringt. Der Dampf kann dann anstelle von Zigarettenrauch eingeatmet werden.

Sollte das nicht alle Probleme mit giftigem Rauch und Kunststoff-Filtern lösen?

Auch E-Zigaretten bestehen aus Kunststoffen, Metallen, Elektronik, enthalten Batterien und müssen mit Patronen – Behältern für die zu verdampfenden „Liquids“ – bestückt werden.

Eine E-Zigarette der vierten Generation: ein hochtechnisches Stück Elektronik

Eine E-Zigarette wie diese ist ein hochtechnisches elektronisches Gerät, das aus einer Vielzahl von Stoffen besteht und alle Umweltprobleme von Elektronik und ihrer Herstellung mit sich bringt. (By Jacek Halicki [CC BY-SA 4.0 ], from Wikimedia Commons)

Laut WHO ist der noch junge E-Zigaretten-Markt weitgehend unreguliert. Das heisst vor allem, er ist in seiner Vielfalt unüberschaubar. Viele Produkte sind für den Einweggebrauch bestimmt oder von beschränkter Lebensdauer. Die Zusammensetzung der Liquids unterscheidet sich zudem stark zwischen verschiedenen Marken und Herkunftsländern.

Darüber, was nun wo genutzt wird und welche Folgen für Umwelt und Gesundheit das haben mag, gibt es noch wenig Daten. Und die Vielfalt der Produkte macht einheitliche Aussagen darüber schwer.

Laut WHO sei jedoch abzusehen, dass das Umsatteln von Tabak auf E-Zigaretten das Abfallproblem nicht löst. Dazu müsste sich nämlich erst etwas an der laxen Einstellung der Raucher bzw. Dampfer zur Umweltverschmutzung ändern. An die Stelle der Zigarettenkippen von heute würden sonst leere Liquid-Behälter und Überreste ausgedienter E-Zigaretten treten – mit Resten der Liquids und aller Stoffe, die in den Geräten verarbeitet sein mögen.

Somit ist das Umsteigen auf E-Zigaretten in meinen Augen kein sicherer Weg, um die Umweltbelastung durch „Zigarettenabfälle“ zu vermindern. Zumindest keiner, der nicht auch durch umweltbewussten Umgang mit Rauchwaren begangen werden könnte.

 

Fazit

Weggeworfene Zigarettenkippen verschandeln nicht nur den Anblick unserer Umwelt. Sie enthalten überdies eine bunte Sammlung gefährlicher Stoffe, die aus den Filtern in die Umgebung freigesetzt werden. Eine Kippe mag bedeutungslos klein wirken – weltweit kommen aber bis zu 680’000 Tonnen schadstoffbeladener Kippen pro Jahr zusammen!

Der übliche Zigarettenfilter besteht aus dem biologisch schwer abbaubaren Kunststoff Celluloseacetat. Der ist für sich nicht giftig, kann aber über Jahrzehnte in der Umwelt verbleiben. Ein biologisch abbaubarer Ersatzstoff würde sich zwar schneller auflösen, ändert aber an der „Beladung“ des Filters mit Schadstoffen nichts. Deshalb sind biologisch abbaubare Zigarettenfilter keine Lösung.

E-Zigaretten sind ebenfalls keine Lösung, so lange das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Rauch- bzw. Dampf-Abfällen fehlt.

Deshalb mein Aufruf an euch: Lasst das Rauchen wie das Dampfen. Und wenn das keine Option ist, entsorgt eure Abfälle dort, wo sie hingehören: In den Aschenbecher bzw. Ascheimer! Und wenn ihr andere dabei beobachtet, wie sie ihre Kippen (oder Liquid-Behälter) achtlos in die Gegend werfen: Weist sie auf die Gefährlichkeit hin!

Und hier der Bericht „Tobacco and its environmental impact“ der WHO, 2017 , aus welchem ich die Weltgesundheitsorganisation im Artikel zitiert habe.