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Weichspüler - Fluch oder Segen?

Weichspüler haben einen schlechten Ruf: Ich lese auf Facebook in einigen Haushaltsgruppen mit und schnappe dort auf, was euch Haushaltsbetreibende so bewegt. Dabei lese ich immer wieder Beiträge nach dem Prinzip „Hilfe, meine Waschmaschine stinkt!“ und die dazugehörigen Antworten. Die gehen dann meistens in Richtung „Benutzt du Weichspüler? Mach das bloss nicht, die schaden der Maschine und können der Grund für den miesen Geruch sein!“

Obendrauf kam im Sommer 2019 ein wohl ziemlich unsachlicher Beitrag des SWR, der anprangerte, dass eklige Schlachtabfälle als Rohstoffe für Weichspüler verwendet würden und sie damit alles andere als vegan seien.

Wenn diese Waschhilfsmittel so viele schlechte Eigenschaften in sich vereinen, warum werden sie dann in so vielfältiger Ausführung produziert und gekauft?

In diesem Artikel gehe ich den Weichspüler-Mythen auf den Grund: Schaden Weichspüler wirklich der Waschmaschine (oder gar unserer Gesundheit) oder werden sie fälschlicherweise verteufelt?

Was sind eigentlich Weichspüler?

Weichspüler sind in der Regel flüssige Produkte, die kationische Tenside (auch „Invertseifen“ genannt) enthalten. Diese besonderen Tenside werden in der Waschmaschine beim letzten Spülgang hinzugefügt und sollen dafür sorgen, dass die Wäsche nach dem Trocknen weicher ist.

Zusätzlich wirken viele Weichspüler gegen elektrische Aufladung (einige der kationischen Tenside sind sogenannte Antistatika), enthalten verschiedene Duftstoffe, optische Aufheller und zuweilen geruchsbindende Moleküle.

Warum wird Wäsche beim Trocknen hart?

Beim Trocknen von Wäsche kann es zur sogenannten „Trockenstarre“ der Textilien kommen. Dabei bilden sich Wasserstoffbrücken-Bindungen zwischen Fasern aus Zellulose, die diese Fasern vorübergehend „verkleben“. So wird ein ursprünglich flexibler Stoff hart und steif.

Zellulose ist doch der Pflanzenbestandteil, aus dem man Papier macht? Richtig! Aber ebenso ist er der Hauptbestandteil von Baumwollfasern, aus denen man Textilien macht.

Ganz besonders deutlich erlebe ich die Trockenstarre an meinem Oberteil aus Viskose. Dieses Material ist nämlich nichts anderes als Gewebe aus einem Garn, das aus verflüssigter Zellulose neu gesponnen wurde (eine sogenannte Regeneratfaser). Chemisch unterscheiden sich die Moleküle in diesem Garn nicht von natürlicher Baumwolle. Die Neigung zur Trockenstarre eingeschlossen.

Wenn ich besagtes Kleidungsstück wasche und auf der Leine trockne, fühlt es sich nachher steif wie ein Brett an. Allerdings nicht für lange. Spätestens wenn ich es ein paar Minuten getragen habe, fällt es wieder weich und geschmeidig, als wäre nichts gewesen. Das rührt daher, dass Wasserstoffbrücken im Vergleich zu „richtigen“ chemischen Bindungen (d.h. Atombindungen) nicht besonders fest sind. Das macht sie bei ausreichend Bewegung entsprechend kurzlebig.

Was kann ein Weichspüler dabei bewirken?

Die kationischen Tenside im Weichspüler heissen so, weil ihre Moleküle eine positive elektrische Ladung tragen. Damit finden sie dicht mit Elektronen umgebene (und damit leicht negativ geladene) Atome äusserst anziehend und lagern sich an solche gerne an. Doch genau diese elektronenreichen Atome sind auch für die Entstehung von Wasserstoffbrücken notwendig. Wenn jedoch ein kationisches Tensid solch ein Atom besetzt, bleibt dort kein Platz mehr für eine Wasserstoffbrücke. Und ohne Wasserstoffbrücken keine Trockenstarre.

Was genau sind kationische Tenside?

Tenside im Allgemeinen sind Moleküle, deren eines Ende gut wasserlöslich ist, während das andere Ende überhaupt nichts von Wasser hält. Die Wasserlöslichkeit eines Moleküls geht mit einer elektrischen Ladung oder ungleicher Elektronenverteilung zwischen den Atomen einher. Die alltäglichsten Tenside sind Seifen. Sie tragen eine negative elektrische Ladung („anionische Tenside“) und sind für ihre Superwaschkraft hoch geschätzt (mehr dazu erfahrt ihr hier).

Ein Tensid (hier ein Anionisches) ähnelt im Prinzip einem Streichholz: Der „Kopf“ ist wasserlöslich, der „Schaft“ ist wasserabweisend und fettlöslich. So kann dieses Molekül mit zwei miteinander unverträglichen Stoffen gleichzeitig wechselwirken.

Kationische Tenside tragen dagegen eine positive elektrische Ladung. Sie enthalten in der Regel ein Stickstoffatom, das vier Bindungen statt seiner üblichen drei eingegangen ist. Damit teilt das Stickstoffatom ein Elektron mehr als üblich mit seinen Nachbarn, weshalb seine Kernladung um +1 überwiegt.

Vom Ammonium zum Tensid

Das einfachste Molekül dieser Art ist das Ammoniumion NH4+, in dem vier Wasserstoffatome an den Stickstoff gebunden sind. Klein und geladen ist dieses Molekül sehr gut wasserlöslich. In einem kationischen Tensid sind die vier Wasserstoffatome jedoch durch Kohlenwasserstoffreste ersetzt. Wenn mindestens einer davon so lang ist, dass seine Unlöslichkeit in Wasser sich bemerkbar macht, ist das Molekül ein Tensid.

Strukturformel für DSDMAC, ein typisches kationisches Tensid für Weichspüler
„DSDMAC“, ein typisches kationisches Tensid: Der „Kopf“ (rot) mit dem Stickstoffion ist wasserlöslich, der „Schaft“ (blau), bestehend aus zwei langen Kohlenwasserstoffketten, nicht. Da positiv geladene Teilchen nicht allein vorkommen, wird die Verbindung als Salz aus DSDMAC- und Chlorid-Ionen verwendet.

Weil sie sich vom Ammonium ableiten und alle vier H-Atome durch Kohlenwasserstoffreste ersetzt sind, werden Moleküle dieser Sorte „quartäre Amine“ oder kurz „Quats“ genannt.

Quats sind im Alltag weit verbreitet

Vielleicht kennt ihr das ein oder andere schon als Antistatika zum Aufsprühen oder für seine Wirksamkeit gegen Bakterien und Pilze (Benzalkoniumchlorid, ein bekanntes Konservierungsmittel, gehört auch zu dieser Familie!). Oder als „Weichmacher“ der anderen Art: Polyquaternium-Verbindungen sind, als Alternative zu Silikonöl, Bestandteile z.B. von Haarspülungen. Darin sind die positiv geladenen Stickstoffatome zu längeren Ketten verknüpft, die sich um die Haare legen und ihnen eine glatte Oberfläche und damit leichte Kämmbarkeit verleihen.

Wie gut sind Weichspüler biologisch abbaubar?

In den 1990ern kamen in Weichspülern meist simple „Quats“ wie das oben gezeigte DSDMAC zum Einsatz. Die haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Es gibt sie in der Nahrung von Lebewesen, insbesondere Kleinstlebewesen, nicht, was bedeutet, dass sie nur schwerlich bis gar nicht biologisch abbaubar sind.

Da eine vernünftige biologische Abbaubarkeit von Tensiden wie in Weichspülern aber seit 2006 von der EU vorgeschrieben ist, kommen heutzutage angepasste Moleküle zum Einsatz. Anstatt einfacher Kohlenwasserstoffreste sind darin Alkohol-Gruppen an den Stickstoff gebunden, die mit Fettsäuren verestert sind. Diese Verbindungen, kurz „Esterquats“ genannt, ähneln damit den Fetten bzw. Triglyceriden, die wir alle als Nahrung kennen. Somit ist die Natur gut für die Spaltung und Verwendung solcher Verbindungen gerüstet. Das heisst, die Esterquats sind gut biologisch abbaubar.

Strukturformel eines Esterquats
Ein Esterquat mit drei Alkohol-, d.h. OH-Gruppen: Zwei davon sind mit Fettsäuren verestert, die dritte links nicht. Dieses Molekül kann von Lebewesen an den Estergruppen (-O-CO-) leicht gespalten werden.

Zumindest in der Theorie ist das eine tolle Sache. Beim Herumstöbern im Netz nach den Inhaltsstoffen von Weichspülern bin ich allerdings auf ein Sicherheitsdatenblatt eines Produkts einer aus der Werbung gut bekannten Firma gestossen – und siehe da: Der wirksame Bestandteil ist kein Esterquat, sondern unter anderem das (un)gute alte DSDMAC. Immerhin habe ich diese Angabe des betreffenden Herstellers gefunden, während sich andere gar nicht in die Karten schauen lassen.

So halte ich die Aussage auf Wikipedia, dass DSDMAC und Co. Heutzutage durch Esterquats ersetzt sind, für höchst fraglich.

Schlachtabfälle?! – Wie man quartäre Amine herstellt

Der anfangs erwähnte Beitrag des SWR wurde nicht zuletzt dafür kritisiert, dass er den Eindruck erweckte, in Weichspülern ’seien eklige Schlachtabfälle drin‘ (was von der Boulevardpresse nur zu gern aufgegriffen wurde).

Tatsächlich sind die Rohstoffe, aus denen man „Quats“ für Weichspüler herstellt, Fette, die von Pflanzen oder Tieren stammen können. Da diese Fette keinen besonderen Qualitätsansprüchen genügen müssen, sind Schlachtabfälle letztlich eine wirtschaftliche und nachhaltige Quelle dafür. Dass die auch rege genutzt wird, ist auch seit langem hinlänglich bekannt.

Die Fette werden jedoch in einer ganzen Reihe von Schritten verarbeitet:

  1. Die Fette werden zunächst wie bei der Seifenherstellung gespalten („verseift“), um freie Fettsäuren zu gewinnen. Das ebenfalls entstehende Glycerin wird davon abgetrennt.
  2. Anschliessend lässt man die Fettsäuren bei hoher Temperatur und einem Metallkatalysator (ein Hilfsstoff, der die Reaktion erleichtert) mit Ammoniak (NH3) reagieren, um das Stickstoffatom einzuführen. Es entstehen sogenannte Fettsäurenitrile.
  3. Nach weiterer Reinigung werden die Fettsäurenitrile mit Wasserstoff (H2) umgesetzt. Auch für diese Hydrierung genannte Reaktion ist ein Metall als Katalysator nötig. Dabei können „Fettamine“ mit einem (wenn dabei Ammoniak anwesend ist), zwei oder drei gebundenen Kohlenwasserstoffresten entstehen.
  4. In einer Reaktion, die Alkylierung genannt wird, kann ein Fettamin mit drei Kohlenwasserstoffresten (d.h. ein tertiäres Amin) schliesslich mit einem vierten solchen Rest versehen werden.

Nach einem letzten Aufreinigungsschritt ist das quartäre Amin bzw. kationische Tensid dann fertig. Insgesamt braucht es also vier chemische Reaktionen und mindestens fünf Reinigungsschritte, um vom natürlichen Rohstoff zum Inhaltsstoff für Weichspüler zu kommen. Nach so viel Aufwand und chemischen Umbau-Aktionen bleibt vom Charakter des ursprünglichen Rohstoffs, ob nun tierisch oder pflanzlich, im Endprodukt nichts mehr übrig.

Weichspüler und vegan? Eine Frage der Definition!

Weichspüler mögen also nicht vegan sein (wenn man „vegan“ denn streng als „ohne Tierprodukte“ definiert). Aber dafür müssen keine Tiere sterben! (Denn die werden für Steak und Hamburger geschlachtet.) So lange ein erheblicher Teil der Menschheit also Fleisch isst, ist es (nicht nur) in meinen Augen wesentlich nachhaltiger, Chemikalien aus dem zu produzieren, was soundso anfällt, als unnötig Ressourcen und Energie aufzuwenden sowie Pestizid- und ähnliche Belastung zu riskieren, um extra pflanzliche Rohstoffe zu produzieren.

Wenn man „vegan“ mit Hintergedanken an Umwelt, Tierschutz und Nachhaltigkeit als „dafür müssen keine Tiere sterben“ bzw. „verbraucht minimale Ressourcen“ definiert, könnte man selbst die Produkte aus tierischen Rohstoffen guten Gewissens als ‚vegan‘ bezeichnen.

Weitere Nachteile von Weichspülern

  • In manchen Textilien können Weichspüler ähnliche Probleme machen wie ihre Verwandten in den Haar-Conditionern: Sie lagern sich auf den Geweben ab (das ist ja ihre Funktion!) und „verkleben“ bzw. „verschliessen“ sie so, dass ihre Durchlässigkeit für andere Stoffe beeinträchtigt wird. Das ist vor allem bei Funktionstextilien („atmungsaktive“ Sportkleidung) oder Daunen ein Problem.
  • Tatsächlich können Weichspüler sich auch in ähnlicher Weise auf den Oberflächen in der Waschmaschine ablagern und zu einem behaglichen Zuhause für Bakterien und Pilze werden (von denen dann der unangenehme Geruch der Maschine herrührt).
  • Unterschiedliche Ladungen ziehen sich an: So bilden kationische Tenside mit den herkömmlichen anionischen Waschmittel-Tensiden schwer wasserlösliche Aggregate. So ist bei der nächsten Wäsche nach dem Weichspülereinsatz mehr Waschmittel nötig als ohne.
  • Duftstoffe (und weitere Zusätze) können Allergien auslösen (müssen aber nicht). Grundsätzlich sind Allergien bzw. die Neigung dazu von Mensch zu Mensch sehr verschieden, sodass kaum vorauszusagen ist, wer auf was empfindlich reagiert.

Was (oder wem) nutzen Weichspüler dann überhaupt?

Mangelnde biologische Abbaubarkeit, unliebsame Rohstoffe, Probleme bei Funktionstextilien, Keime in der Waschmaschine und allergenes Potential… das ist eine lange Liste von Nachteilen, wenn die Wirkung von Weichspülern sich bloss auf das Verhindern der zeitlich begrenzten Trockenstarre, Duft und etwas Antistatik beläuft.

Ich habe allerdings von Menschen gelesen, die womöglich nicht darauf warten können/mögen, dass eine Trockenstarre von selbst verfliegt: Nämlich solche, die an Neurodermitis oder anderen Erkrankungen mit leicht reizbarer Haut leiden. Solchen sollen Hautärzte tatsächlich den Einsatz von Weichspülern empfehlen, wenn damit Reizungen durch „kratzige“ Textilien zuvorgekommen werden kann.

Aus dem eigenen Familienkreis kenne ich Neurodermitis nur mit allergischem Ursprung, wenngleich wohl Nahrungsmittelproteine (Milch, Ei) die Ursache waren. Nichts desto trotz erscheint es mir hier sinnvoll, von Person zu Person abzuwägen, inwieweit der Nutzen eines Weichspülers mögliche Reaktionen auf seine Inhaltsstoffe überwiegt.

Gibt es denn (Hausmittel-)Alternativen zu industriellem Weichspüler?

In den Haushaltsgruppen und auf zahllosen Websites werden immer wieder vor allem Essig, Natron/Soda (oder gleich beide miteinander) und/oder ätherische Öle als Weichspüler-Ersatz empfohlen. Doch was taugen diese Alternativen?

Aus Chemikersicht gar nichts:

  • Essig: Enthält Essigsäure – die reagiert mit dem schwach basischen Kalk in (hartem) Waschwasser. Essig trägt also zur Wasserenthärtung bei und kann allenfalls dazu beitragen, den Verbrauch von Waschmittel durch die Entstehung von Kalkseifen oder Kalkablagerungen auf den Textilien zu verhindern. Heute Waschmittel enthalten allerdings bereits Enthärter (vor allem Zeolith A), die das übernehmen. Und zu viel Essigsäure in der Maschine kann um ungünstigsten Fall ihre Bauteile angreifen.
  • Natron und Soda (Natriumhydrogencarbonat, NaHCO3 bzw. Natriumcarbonat Na2CO3): Sind basisch und und fluoreszieren in UV-Licht. Letztere Eigenschaft macht sie zu optischen Aufhellern: Sie lassen die Wäsche weisser erscheinen (zumindest theoretisch: Die Stiftung Warentest hat 2013 keinen solchen Effekt nachweisen können) – machen sie aber nicht weicher. Ausserdem sind Basen ähnlich wie Säuren aggressiv: Nicht alle Fasern vertragen sie so ohne weiteres.
  • Essig und Natron oder Soda: Reagieren miteinander. Die dabei freigesetzte Kohlensäure zerfällt in CO2-Gas und Wasser. So gehen sowohl die enthärtende Wirkung des Essigs als auch die Fluoreszenz verloren.
  • Ätherische Öle: Werden gerne als „natürlicher“ Ersatz für die Duftstoffe in Weichspülern genannt. Dabei geht jedoch gerne vergessen, dass auch und gerade die Bestandteile ätherischer Öle Allergien auslösen können (viele der fraglichen Duftstoffe in industriellen Produkten kommen sogar auch in ätherischen Ölen vor oder leiten sich davon ab!). Dazu kommt: Die Zusammensetzung von Naturprodukten wie ätherischen Ölen ist weder vollständig bekannt noch garantiert immer gleich – anders als bei „chemischen“ Zubereitungen, die stets bis ins Detail bekannt sind. Daher solltet ihr beim Einsatz fortwährend genau und von Person zu Person beobachten, wer was verträgt und was nicht.  

Wie ich als Chemikerin vorgehe

Da in meinem Haushalt niemand unter Neurodermitis oder ähnlichem leidet, ist mir die Liste der Nachteile von Weichspülern gegenüber ihrem Nutzen viel zu lang.

Ich wasche daher meine Wäsche nur mit einem Vollwaschmittel in Pulverform und verzichte auf Weichspüler. Frottee-Handtücher (die ich nur trocknergeeignet kaufe) trockne ich im Wäschetrockner, denn durch dessen Gebläse wird die Trockenstarre von vorneherein verhindert. Von meiner Bluse aus Viskose (und anderer betroffener Kleidung) weiss ich überdies inzwischen, dass die Trockenstarre von selbst so vollständig vergeht, dass ich die Bluse nicht einmal bügeln muss.

Und wie wascht ihr eure Wäsche? Verwendet ihr Weichspüler? Habt ihr einen besonderen Nutzen davon? Oder warum verwendet ihr sie gerade nicht?

Wirken Antistatik-Sprays gegen Staub?

Schon wieder Staub wischen – wer kennt das Problem nicht? Wohl kaum einer. Deshalb haben zahlreiche Hersteller von Reinigungs- und Pflegemitteln Antistatik-Sprays im Angebot. Diese Mittel sollen – einfach aufgesprüht – dafür sorgen, dass sich weniger Staub auf den Oberflächen in unserem Zuhause absetzt. So müssten wir dann weniger Staub wischen.

Aber was taugen solche Sprays wirklich? Wie funktionieren sie? Und kann man sie auch selber herstellen?

Wie kommt der Staub ins Haus?

Staub im Haus ist etwas ganz normales und überdies unvermeidlich. Grossteils besteht er aus winzigen Hautschuppen von uns und, wenn vorhanden, unseren Haustieren. So lange wir leben, erneuert sich unsere Haut ständig, sodass wir laufend solche Schuppen verlieren.

Dazu kommen Klein- und Kleinstlebewesen, deren Überreste und Ausscheidungen. Auch die sind ganz normal: Selbst der sauberste Haushalt kommt nicht ohne Hausstaubmilben, Einzeller, Spinnen (und Spinnweben) sowie viele andere kleine Mitbewohner aus. Dazu kommen Fasern, Fussel und anderer Abrieb von Textilien und Gegenständen, die wir tagtäglich daheim benutzen.

Auch von draussen tragen wir regelmässig Staub ins Haus: Abrieb von Strassen und Reifen, Pflanzenteilchen und wiederum Kleinstlebewesen. Beim Lüften kommen mit der ausgetauschten Luft Pollen und mehr (Saharastaub, Vulkanausbrüche…) oder weniger (Feinstaub durch Verkehr) natürlicher Staub aus der Luft hinzu.

Insgesamt bilden sich täglich rund 6 Milligramm Hausstaub pro Quadratmeter – oder 130 Gramm pro Person und Jahr! Dass wir regelmässig Staub wischen müssen lässt sich also nicht vermeiden. Es sei denn, es wäre uns gleich, wenn irgendwann alles zustaubt.

Das jedoch kann fatale Folgen haben. Wenn der Staub Lüftungsschlitze elektronischer Geräte verstopft, kann das zur Überhitzung und im schlimmsten Fall zu einem Brand führen. Und als wollten sie uns verhöhnen, ziehen gerade elektronische Geräte den Staub wie magisch an.

Staubige Tasten: Helfen Antistatik-Sprays hier?
Auch Tastaturen ziehen Staub wie magisch an.

Warum ziehen Elektrogeräte besonders viel Staub an?

Staubpartikel gelangen von ihrem Entstehungsort zunächst in die Luft und werden in Strömungen und Wirbeln durch den Raum transportiert. Irgendwann folgen sie trotz ihres verschwindend kleinen Gewichts der Schwerkraft – oder anderen Kräften – und setzen sich auf Oberflächen ab.

Welche anderen Kräfte?

Staubpartikel bestehen aus Molekülen. Wenn solche Partikel von grösseren Gegenständen abgerieben werden, werden nicht nur ganze Moleküle voneinander getrennt. Auch die Moleküle selbst werden abgerieben: Sie büssen dabei Elektronen aus ihrer Hülle ein oder bekommen zusätzliche Elektronen, die von anderen Molekülen abgerieben wurden, aufgedrängt. Kurzum: Diese Moleküle, und damit auch die Staubpartikel, zu denen sie gehören, werden elektrisch geladen.

Und das werden elektronische Geräte auch. Das liegt in der Natur ihrer Funktionsweise: Sie arbeiten mit elektrischem Strom. Das heisst, in ihnen werden Ladungen hin und her geschickt und hier und da gesammelt. Und die Funktionsweise mancher Geräte, zum Beispiel Laserdrucker, beruht sogar darauf, dass bestimmte Bauteile ganz gezielt elektrostatisch aufgeladen werden.

Nur halten sich elektrische Ladungen kaum an Spielregeln oder Grenzen. Stattdessen drängen sie in jeden Stoff in ihrer Umgebung, in welchem sie sich halbwegs bewegen können. So bleibt es nicht aus, dass einige Ladungen in der Aussenverkleidung der Geräte landen. Und wenn in deren Nähe Staub in der Luft vorbeikommt, der zufällig entgegengesetzt geladen ist, ziehen sich die unterschiedlichen Ladungen gegenseitig an. Da die Ladungen in der Geräteoberfläche nicht hinaus können, gibt der fast gewichtslose Staub der Anziehung nach und landet auf dem Gerät.

Was kann man dagegen tun?

Um die vermehrte Anziehung von Staub zu verhindern, müssen die elektrischen Ladungen von der Geräteoberfläche fortgeschafft werden. Das Problem dabei: Die übliche Aussenverkleidung von Elektrogeräten besteht aus nichtleitendem Kunststoff (Verweis PBA). Das heisst, Ladungen, die dort einmal hineingeraten sind, finden kaum bis gar nicht wieder hinaus.

Ein extremes Beispiel ist Polystyrol („Styropor“). Nicht umsonst verwende ich dieses Material beim Erzeugen von Miniatur-Blitzen im DIY-Experiment: Es lässt sich durch Reibung stark elektrostatisch aufladen und gibt die Ladung erst ab, wenn ein elektrischer Leiter (wie die Aluschale im Experiment) in seine unmittelbare Nähe gelangt.

Findige Chemiker und Techniker haben jedoch zwei Wege ersonnen, um den Ladungen das Entkommen aus solchen Materialien zu erleichtern. Beide beruhen darauf, dass die Leitfähigkeit der jeweiligen Oberfläche erhöht wird – indem eigens für den Abfluss von elektrischen Ladungen Wege geschaffen werden.

1. Leiter in die Oberfläche einbauen oder darauf aufbringen

Am naheliegendsten ist vielleicht, eine Metallschicht auf die Kunststoffoberfläche aufzubringen. Metalle sind sehr gute elektrische Leiter und sorgen für einen regen Ladungsverkehr. Andererseits sind sie oft anfällig für Korrosion – und jene, die das nicht sind, sind meist teuer. Ausserdem verändern sie das Aussehen der Kunststoffoberfläche.

Deshalb gibt es viele weitere sogenannte leitende Antistatika, die direkt in das Material hineingemischt werden. Das können Metallpulver sein, die mit Lacken vermengt werden, oder Metallfäden bzw. Leitfähigkeitsruss, die mit einem Kunststoff gemischt werden. Diese Stoffe, insbesondere Russ, sind jedoch tief schwarz und dementsprechend an der Oberfläche sichtbar. Freunde unverändert farbiger Oberflächen haben daher eigens leitfähige Polymere wie PEDOT ersonnen.

Ein leitfähiger Kunststoff ohne Farbe

PEDOT steht für „Polyethylendioxythiophen“ und sieht so aus:

Ausschnitt aus einem PEDOT-Polymer: Die abwechselnden C-C-Doppel- und Einfachbindungen, entlang welcher dieses Polymer leitfähig ist, sind orange markiert.

Wie alle Polymere besteht auch dieser Stoff aus langen Kettenmolekülen, die aus sich immer wiederholenden „Gliedern“ zusammengesetzt sind. Die PEDOT-Moleküle haben dabei eine Besonderheit: Entlang ihrer Ketten wechseln sich C-C-Einfach- und C-C-Doppelbindungen stets ab. Tatsächlich ragt die zweite Bindung (die sogenannte „Pi-Bindung“) einer Doppelbindung, die wie eine Hülle um die erste liegt, an beiden Enden über die eigentliche Bindung hinaus, sodass es zu einer Überlappung mit dem Ende der Doppelbindung am Nachbaratom kommt.

So können die Elektronen der äusseren Bindung sich in die nächste äussere Bindung bewegen und umgekehrt. Entlang sich abwechselnder Einzel- und Doppelbindungen kann also ein Strom fliessen: Die Molekülkette ist also nichts anderes als ein winziges Stromkabel!

Wenn man diese Polymerketten mit anderen mischt, erhält man leitfähige Kunststoffe – zum Beispiel Lack, den man auf eine Oberfläche auftragen kann. Wirklich raffiniert wird PEDOT aber erst dadurch, dass es in einer dünnen Lackschicht farblos erscheint. Die meisten Moleküle, die miteinander vernetzte Pi-Bindungen enthalten, sind nämlich farbig (auch Lebensmittelfarbstoffe, wie sie zum Färben von Ostereiern verwendet werden, zeichnen sich durch derartige Netzwerke aus). PEDOT wirkt dagegen erst in dickeren Schichten bläulich. So kann man damit Oberflächen leitfähig machen, ohne dass sich ihre Farbe ändert.

2. Nichtleitende Antistatika ein- bzw. aufbringen

Ob nun Metall, Russ oder leitfähige Kunststoffe – die Verarbeitung dieser leitenden Antistatika ist immer mit Aufwand und Mehrkosten verbunden. Deshalb verwendet man sie vornehmlich da, wo es nicht anders geht: Zum Schutz von speziellen elektronischen Bauteilen, denen aufgestaute Ladung bzw. zu schnell abfliessende Ströme gefährlich werden können.

Im Alltag verwenden wir, wenn wir es für nötig erachten, stattdessen sogenannte nichtleitende Antistatika. Die bestehen aus einfachen, kleineren Molekülen, die leicht zu handhaben und an ihren Einsatzort zu bringen sind. Aber halt:

Wie können Nichtleiter Strom leiten?

Würden Nichtleiter Ladungen, also elektrischen Strom leiten können, wären sie schliesslich keine Nichtleiter. Deswegen brauchen die Nichtleiter im Antistatik-Einsatz Hilfe von einem leitfähigen Stoff: Wasser. Eigentlich ist reines Wasser nur wenig leitfähig, aber es bietet darin gelösten Ionen immerhin die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Und Ionen sind nun einmal geladene Teilchen. Wasser mit darin gelösten Ionen eignet sich daher prima, um unerwünschte Ladungen abzutransportieren.

Nur kann man mit Wasser nicht einfach Kunststoffe lackieren – zumal die meisten Kunststoffe Wasser nicht mögen – sie sind „hydrophob“ (das ist altgriechisch für „wasserscheu“) – und daher die meisten Wechselwirkungen mit dem kühlen Nass verweigern. So auch den Austausch elektrischer Ladungen.

Hilfreich: Die Superkräfte von Tensiden

Wenn ihr euch schon mit der Superwaschkraft von Seifen beschäftigt habt, kennt ihr dieses Problem wahrscheinlich schon: Wasserscheue (und damit gleichzeitig fettliebende) Stoffe verweigern die Zusammenarbeit mit Wasser. Abhilfe durch Molekül-Diplomatie schaffen da Tenside, die besonderen Moleküle, aus denen Seife besteht.

Besonders sind Tensid-Moleküle deshalb, weil sie – ähnlich wie Streichhölzer – aus zwei ganz unterschiedlichen Teilen bestehen: Einem wasserliebenden „Kopf“ und einem fettliebenden „Schwanz“. Da fettliebende Moleküle nur mit anderen Fettliebenden und wasserliebende Moleküle nur mit anderen Wasserliebenden verkehren wollen, sind solche „Zwitter“ die perfekten Vermittler.

Streichholzmodell: Tenside an der Wasseroberfläche
Auch Luft besteht grösstenteils aus wasserscheuen Stoffen. Deshalb richten Tenside an der Wasseroberfläche ihre „Schwänze“ zur Luft hin aus.

Geraten Tenside nämlich zwischen Wasser und einen fettliebenden Stoff, so richten sie ihre Köpfe zum Wasser aus und ihre Schwänze zum fettliebenden Material. Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh‘! So können Tenside mit beiden Stoffsorten wechselwirken – und das auch noch gleichzeitig. Über so geschaffene „Brücken“ können auch elektrische Ladungen den Weg vom unwegsamen Kunststoff ins bewegliche Wasser finden.

Antistatik-Sprays enthalten Tenside

Um eine Oberfläche leitfähig und damit passierbar für elektrische Ladungen zu machen, kann man also einfach Tenside mit Wasser aufsprühen (oder sie als Zusatzstoff in den Kunststoff einarbeiten). Deren wasserscheue Schwänze haften daraufhin an der Oberfläche, während die wasserliebenden Köpfe für den gewünschten Ladungsaustausch mit dem Wasserfilm darüber sorgen.

Die Wirkung von Antistatik-Sprays hat Grenzen

Der Wirksamkeit von antistatischen Tensiden zum Aufsprühen sind damit allerdings zwei einfache, aber kaum überwindbare physikalische Grenzen gesetzt:

  1. Die Wechselwirkungen zwischen den Molekülen, die zum Haften der Tenside an der Oberfläche führen, sind im Vergleich zu chemischen Bindungen ziemlich schwach. So genügt schon ein wenig Reibung, um die aufgesprühte Schicht wieder zu entfernen. Selbst Luftreibung führt dazu, dass die aufgesprühte Schicht mit der Zeit wieder abgetragen wird.
  2. Die Antistatik-Schicht funktioniert nur so lange, wie sie genügend Wasser enthält. Dass ein Grossteil des mit Antistatik-Spray aufgesprühten Wassers verdunstet, ist so gewollt. Wenn aber die Raumluft zu trocken ist, verdunstet bald zu viel Wasser, sodass die allein gelassenen Tenside ihre Wirkung nicht mehr entfalten können.

Und dann ist da noch die Schwerkraft: Staubteilchen, die von oben herabsinken, werden von Antistatika keineswegs abgelenkt, sondern fallen letztlich da hin, wo ihr Weg nach unten eben endet.

So können Antistatik-Sprays nur vorübergehend und unter den richtigen Bedingungen Wirkung zeigen. Nützliche Helferlein, um im Zimmer die Luftfeuchtigkeit hoch zu halten, sind Pflanzen, Zimmerbrunnen oder im Winter Wasserschalen auf der Heizung. Für solche sind Antistatik-Sprays kein Ersatz, sondern allenfalls eine Ergänzung.

Antistatik-Sprays zum Selbermachen: Was taugen die?

Wenn schon die Wirkung so eingeschränkt ist, lohnt sich dann womöglich teures Antistatik-Spray mit all seinen Inhaltstoffen aus der chemischen Industrie? Oder kann man das auch selber machen?

Viele Seiten, die sich mit nachhaltiger Lebensweise und DIY-Reinigungsmitteln beschäftigen, meinen: Ja. Und geben mehr oder minder unterschiedliche Rezepte an. Insgesamt finden sich neben Wasser vier Bestandteile immer wieder. Doch wie sinnvoll sind die?

Flüssigseife

Enthält Tenside für die Superwaschkraft. Da diese Moleküle ebenso den Austausch von Ladungen zwischen nichtleitenden Oberflächen und Wasser bzw. feuchter Luft ermöglichen sollen, macht diese Zutat noch am meisten Sinn. Inwieweit die als Seife gedachten Tenside solchen, die speziell für den Ladungsaustausch designt sein mögen, gleich kommen, bleibt allerdings offen.

Anion der Stearinsäure („Stearat“), ein gutes Tensid und typischer Bestandteil von Seife

Essig

Enthält Essigsäure – Tafelessig 3 bis 5%, der in der Schweiz gängige Haushaltsessig zum Putzen knapp 10% und Essigessenz bis zu 30%. Essigsäure ist eine Carbonsäure, die aus einem wasserscheuen Kohlenwasserstoffgerüst und einer wasserliebenden Säuregruppe* besteht.

*Besonders wasserliebend wird die Säuregruppe durch ihre Fähigkeit, ein H+-Ion abzugeben und als Carbonsäure-Anion (mit negativer elektrischer Ladung!) leicht mit dem Wasser zu wechselwirken.

Strukturformel von Essigsäure: Bei einem so winzigen wasserscheuen „Schäftchen“ gibt der Kopf den Ton an: Das Molekül als Ganzes ist wasserliebend. Das „H“ im roten Bereich kann zudem leicht als H+ abgegeben werden, was das Molekül zur Säure macht.

Das klingt doch irgendwie nach einem Tensid. Allerdings sind die Essigsäuremoleküle sehr klein, sodass der Anteil der wasserscheu haftenden Wechselwirkung ziemlich gering ausfallen dürfte.

Andere Carbonsäure-Anionen mit längeren Kohlenwasserstoffgerüsten würden da womöglich bessere Dienste leisten. Allerdings haben die nächstlängeren Verwandten der Essigsäure einen weitaus unangenehmeren Eigengeruch (Buttersäure z.B. enthält zwei Kohlenstoff-Atome mehr als Essigsäure, aber die möchte wirklich niemand riechen!).

Stearinsäure, eine langkettige Fettsäure (jede Zacke ist ein C-Atom!): Der lange wasserscheue „Schaft“ verleiht dem Molekül selbst dann noch wasserscheue Eigenschaften, wenn das H+ im roten Bereich abgegeben ist und somit ein Stearat-Anion mit äusserst wasserliebendem Kopf vorliegt. Aus solchen Fettsäure-Anionen bestehen Seifen!

Ausserdem ist Essigsäure – eben eine Säure. Und Säuren reagieren gerne mit verschiedenen Stoffen – besonders dann, wenn sie ständig daran kleben und entsprechend viel Zeit dazu erhalten. Auf Marmor und Kalkstein sollte man zum Beispiel niemals Essig aufsprühen. Diese Gesteine werden nämlich von Säuren sehr leicht angegriffen. Doch auch andere Oberflächen könnten bei längerer Anwendung irgendwann mit unliebsamen Überraschungen aufwarten.

Olivenöl

Besteht hauptsächlich aus Neutralfetten, die auch Triglyceride genannt werden. In diesen Molekülen sind Fettsäuren – also meist besonders langkettige Carbonsäuren – an Glycerin gebunden.

Lewis-Struktur eines Triglycerids: Diese Verbindungen nutzen in Antistatik-Sprays wenig
Ein Triglycerid oder „Fettmolekül“: Dank der langen Kohlenwasserstofketten (hier als Zickzack-Linien), die sich um das Glycerin (schwarz) winden, sind diese Moleküle wasserscheu!

Diese Moleküle tragen von sich aus keine elektrischen Ladungen und sind weder besonders sauer noch basisch – daher der Name. Ausserdem sind sie fettliebend – und damit wasserscheu. Diese Eigenschaften machen frische Pflanzenöle so wenig leitfähig, dass z.B. Rapsöl als flüssiges Isoliermaterial in der Energie- und Hochspannungstechnik eingesetzt werden kann.

Olivenöl als Quelle für Tenside?

Carbonsäuren mit langen Kohlenstoffketten? Die gäben doch prima Tenside ab! Wenn sie denn ungebunden und elektrisch geladen wären. In der Verbindung mit Glycerin zum Fettmolekül, die zur Familie der Ester gehört, sind sie dagegen nur wasserscheue, ungeladene Seitenketten eines wasserscheuen Moleküls. Das kann man ändern, wenn man das Fett mit einer Base mischt, um die Moleküle zu zerlegen: So stellt man schon seit Jahrtausenden Seife her.

In Gegenwart von Essigsäure (wie in vielen Rezepturen für DIY-Antistatik-Spray) können Fettmoleküle zwar auch gespalten werden, doch entstehen dabei – anders als bei der „Verseifung“ mittels Basen – vollständige Carbonsäure-Moleküle anstelle von Carbonsäure-Anionen. Und die geben ihr H+-Ion in Gegenwart der Essigsäure auch nachträglich kaum ab.

Naturgemäss finden sich in Pflanzenölen also stets ein paar freie Fettsäuren. Besonders dann, wenn das Öl schon etwas älter ist. Dann hatten Mikroorganismen und andere äussere Einflüsse nämlich viel Zeit, um das ein oder andere Fettmolekül zu zerlegen. In Gegenwart von Essig werden jedoch kaum Fettsäure-Anionen, sondern fast nur ungeladene Moleküle vorliegen. Wenn unter diesen Fettsäuren solche mit einem penetranten Eigengeruch sind, wird leicht erkenntbar, was dieser Prozess bedeutet: Das Öl wird ranzig.

Warum dann Olivenöl?

Vermutlich zielen solche Rezepturen auf die Pflege von Holzoberflächen oder allgemein den Glanz eines Ölfilms ab. Ob der Einsatz deshalb sinnvoll ist, wage ich dennoch zu bezweifeln. Nicht nur, weil Speiseöle leicht ranzig werden und Mikroben Tür und Tor ins Holz öffnen (Holz- und Möbelexperten empfehlen deshalb technisch aufbereitetes Leinöl, das diese Probleme nicht mitbringt, zur Holzpflege).

Wenn das Antistatik-Spray überdies Flüssigseife enthält, wird zudem ein Grossteil der Tenside aus der Seife mit der Vermittlung zwischen Wasser und Olivenöl beschäftigt, was zu Lasten der eigentlichen Antistatik-Wirkung gehen dürfte.

Ätherische Öle

Wie bereits erwähnt, hat Essig einen Eigengeruch, den nicht jeder mögen muss. Deshalb sollen ätherische Öle dazu dienen, diesen Geruch mit einem angenehmeren Duft zu überdecken.

Generell bin ich keine Freundin von solchen Manövern, zumal der eigentliche Störenfried dabei nicht beseitigt wird. Stattdessen kommen beachtliche Mengen des erwünschten Duftstoffs zum Einsatz, um erfolgreich mit dem Störgeruch zu konkurrieren. Das erachte ich bei Stoffen, die Allergien hervorrufen können (und das können ätherische Öle wie viele andere Naturstoffe auch!), nicht eben als erstrebenswert.

Immerhin: Für den Einsatz in selbstgemachten Reinigungsmitteln könnt ihr ein Öl, das alle (!) Mitglieder eures Haushalts mögen und vertragen, selbst aussuchen.

Zusammenfassung

Die Entstehung von Hausstaub ist unvermeidlich, kann aber nicht nur lästig, sondern auch zum Problem werden. Sogenannte Antistatika sollen Abhilfe schaffen – als leitende Zusatzstoffe in nichtleitenden Kunststoffen oder Lacken in der Elektrotechnik, oder als schnelle Hilfe in Form von nichtleitenden Antistatika zum Aufsprühen.

Die Wirkung solcher Antistatik-Sprays beruht auf Tensiden, also seifenartigen Molekülen, die das Abfliessen von elektrischen Ladungen aus einer nichtleitenden Oberfläche in einen leitenden Wasserfilm fördern sollen. Das funktioniert jedoch nur bei ausreichender Luftfeuchtigkeit und bis die Tensidschicht abgerieben wird.

Trotzdem wird eine Vielzahl von Sprays gegen Staub verkauft und im Netz finden sich viele Rezepturen für Antistatik-Spray zum Selbermachen. Neben Wasser enthalten diese DIY-Produkte in der Regel Flüssigseife (mit Tensiden), Essig (Säure mit Eigengeruch und wenig Tensid-Eigenschaften, die gegenüber manchen Oberflächen aggressiv sein kann), Olivenöl (das ranzig werden kann und die Wirksamkeit der Seife aufhebt) sowie ätherische Öle (als – unter Umständen allergieauslösende – Duftstoffe bzw. zur Überdeckung des Essiggeruchs).

Fazit

Aus meiner persönlichen Sicht ist der eingeschränkte Nutzen von Antistatik-Spray den Aufwand (und das Risiko einer Beeinträchtigung der behandelten Oberflächen) nicht wert. Da wische ich lieber regelmässig Staub – mit einem feuchten Lappen oder Schwamm, sodass ich möglichst wenig davon wieder aufwirbele. So kann ich den Staub ebenso regelmässig ganz aus den Räumen entfernen. Denn so lange er sich nicht absetzt, erscheint mir das kaum möglich.

An der Wirksamkeit von gängigen DIY-Antistatik-Sprays wage ich aus Chemikersicht zu zweifeln. Deshalb gibt es hier auch kein eigenes Rezept. Insbesondere dann, wenn Seife (die ja eigentlich auf Wirksamkeit hoffen lässt) darin auf Speiseöl trifft. Aber auch Chemiker sind nicht perfekt. Vielleicht habe ich ja etwas übersehen?

Dann freue ich mich auf eure Hinweise und Erfahrungen in den Kommentaren und die Möglichkeit, diesen Artikel ggfs. zu überarbeiten.

Experimente Zauber mit Oberflächenspannung

In der Schweizer Fasnacht sind Hexen zentrale Figuren, aber bestimmt sind auch Zauberer, Feen und andere magische Wesen bei der Kostümwahl beliebt. Mache dein magisches Kostüm wirklich einzigartig: Ich verrate dir, wie du wirklich zaubern und deine Freunde und (Mit-)Gäste verblüffen kannst! Die Physik bzw. Chemie machts möglich!

 

1. Die schwimmende Büroklammer

Du brauchst dazu

  • ein sauberes Glas mit Leitungswasser
  • ein wenig Flüssigseife
  • eine Büroklammer
  • eine Pinzette
  • deinen Zauberstab

 Material für Büroklammer vs. Oberflächenspannung

Wie du den Zauber durchführst

  • präpariere den Zauberstab, bevor die Zuschauer dabei sind: Gib ein wenig Flüssigseife auf die Spitze, sodass das nicht auffällt
  • In Gegenwart der Zuschauer: Lege die Büroklammer mit Hilfe der Pinzette vorsichtig auf die Oberfläche des Wassers im Glas. Die Klammer wird schwimmen.
  • Bereite dich mit dem nötigen Brimborium aufs Zaubern vor
  • Führe den Zauberstab dabei nahe an die WasseroberflächeAlles bereit: Jetzt dein Zauberspruch!
  • Tippe, während du deinen Zauberspruch sagst, mit der seifigen Spitze des Stabes 1 – 2 cm von der Büroklammer entfernt auf die Wasseroberfläche. Klammer wird sofort auf den Grund des Glases sinken.Keine Oberflächenspannung mehr: Die Klammer ist versunken!

 

Was passiert da?

Wenn du schon das letzte Experiment rund um die Dichte und die Anomalie des Wassers gelesen hast, wirst du wissen: Nur Dinge, deren Dichte kleiner ist als die von flüssigem Wasser, können darauf schwimmen. So sollte es jedenfalls sein. Trotzdem schwimmt die Büroklammer aus Metall (zum Beispiel Eisen), dessen Dichte um ein Vielfaches höher als die flüssigen Wassers ist!

Die Oberflächenspannung machts möglich

Das rührt daher, dass Wasserteilchen ausserordentlich fest zusammenhalten. Zwischen den Wasserteilchen bzw. -molekülen wirken auch im flüssigen Zustand stark anziehende Kräfte, die sogenannten Wasserstoffbrücken, welche auch einen weiteren Zaubertrick – Harry Potter und der krumme Wasserstrahl – möglich machen. Dank dieser Wasserstoffbrücken halten die Wasserteilchen so dicht zusammen, dass sie an der Luft (mit welcher Wasserteilchen so gar nicht wechselwirken mögen) eine relativ schwer zu durchdringende Oberfläche bilden.

Diese Oberfläche ist so stabil, dass sie sogar der Erdanziehung standhalten kann: Wassertropfen zerlaufen auf einer Unterlage nicht, um der Schwerkraft folgend möglichst flach zu werden. Stattdessen erscheinen sie gewölbt (dazu findet ihr ein Experiment bei Forschen für Kinder)! Wie die Haut eines aufgeblasenen Luftballons steht die Wasseroberfläche dabei unter Spannung. Deshalb wird diese fesselnde Eigenschaft des Wassers (und anderer Stoffe) „Oberflächenspannung“ genannt.

Dank der grossen Oberflächenspannung des Wassers können auch kleine Eisenteile schwimmen, obwohl sie eigentlich zu dicht dafür sind – wenn ihr Gewicht, wie bei der Büroklammer, auf genügend Auflagefläche verteilt wird. So ist nämlich an keiner Stelle die Last gross genug, um die film-artige Wasseroberfläche zu durchbrechen.

Die Zauberkraft der Tenside

Seife – nicht nur flüssige – besteht aus Tensiden. Das sind ganz besondere Teilchen: Sie haben nämlich zwei unterschiedliche Enden, die mit unterschiedlichen wechselwirken! Das macht die Tenside zu kleinen Diplomaten. Während nämlich das eine Ende Wasserteilchen anzieht und von ihnen angezogen wird, pflegt das andere Ende anziehende Wechselwirkungen mit solchen Teilchen, die sich nicht gern mit Wasser mischen.

Das verleiht den Tensiden nicht nur ihre Super-Waschraft, die darauf beruht, dass sie zwischen Wasser und Fett „vermitteln“ und dem Fett ermöglichen, sich mit Wasser zu mischen. Tenside vermitteln nämlich ebenso zwischen Wasser und Luft – die sich in Bezug auf Wechselwirkungen wie Fett verhält, nämlich wasserabweisend.

Was dein Zauber bewirkt

Wenn du mit der Seife am Zauberstab auf die Wasseroberfläche tippst oder kurz hinein tauchst, lösen sich die Tenside vom Stab und ordnen sich an der Wasseroberfläche an: (wasserliebendes) Köpfchen in das Wasser, (fett- bzw. luftliebendes) Schwänzchen in die Höh!

Streichholzmodell: Tenside an der Wasseroberfläche

Dadurch wird der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Wasermolekülen minimiert, wenn nicht gar aufgehoben, sodass die Oberflächenspannung zusammenbricht. Ohne den festen Oberflächenfilm ist nichts mehr da, was die Büroklammer tragen könnte, sodass sie wie ein Stein auf den Grund sinkt, wie ihre Dichte es vorschreibt.

2. Der furchtsame Pfeffer

Du brauchst dazu

  • ein sauberes Glas mit Leitungswasser
  • gemahlenen Pfeffer oder ein anderes wasserunlösliches Pulver
  • Flüssigseife
  • deinen Zauberstab

Material für den Zauber mit Pfeffer

Wie du den Zauber durchführst

  • Bringe wie im 1. Versuch vorab ein wenig Flüssigseife auf die Spitze deines Zauberstabs.
  • Wenn die Zuschauer da sind, bestreue die Wasseroberfläche auf dem Glas dicht mit gemahlenem Pfeffer. Das Pulver wird auf der Wasseroberfläche schwimmen.Pfeffer schwimmt auf der Wasseroberfläche
  • Bereite dich mit dem nötigen Brimborium aufs Zaubern vor. Bringe dabei den Zauberstab in die Nähe der Wasseroberfläche.
  • Wenn du deinen Zauberspruch sagst, tippe die Stabspitze kurz – für höchstens ein bis zwei Sekunden – auf die Wasseroberfläche. Die Pulverkörner auf der Wasserfläche werden sofort vor der Stabspitze Reissaus nehmen und in Richtung der Glasränder drängen!Der Pfeffer flieht vor dem Zauberstab!

Was passiert da?

Es sind einmal mehr die Tenside, welche die Pfefferkörnchen zur Flucht bewegen. Wie eine Schar, die auseinanderstrebt, breiten sich die Seifenteilchen vom Zauberstab fort auf der Wasseroberfläche aus. Dabei schieben sie die schwimmenden Pulverkörner kurzerhand zur Seite.

Da wir die winzigen Seifenteilchen nicht sehen können, erscheint dies so, als würden die sichtbaren Pulverkörner vor dem Stab zurückweichen!

Damit dir und allen anderen Lesern ein fröhliches Ohhh Häx!, Helau!, Alaaf!, Narri! Narro! und was man durch die Länder sonst noch alles ruft!

Hast du das Experiment nachgemacht: 

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Wenn etwas nicht oder nur teilweise funktioniert haben sollte, schreibt es in die Kommentare. Ich helfe gerne bei der Fehlersuche!

Tenside – von dieser Stoffklasse hat bestimmt jeder schon einmal irgendwo gehört – aber weiss denn auch jeder, was Tenside eigentlich sind?

Auf meinen Rundgang durch den Haushalt entdecke ich sie überall: Auf der Packung meines Universal-Waschmittels heisst es „enthält 5 – 15% anionische Tenside sowie < 5% nichtionische Tenside. In meinem Handgeschirrspülmittel sind es sogar 15 bis 30% anionische Tenside und < 5% nichtionische und amphotere Tenside.

Aber Tenside finden sich auch andernorts, zum Beispiel in Lebensmitteln wie Kakaopulver für Trinkschokolade oder in Unkrautvernichtern, die auch den berüchtigten Wirkstoff Glyphosat enthalten.

Was hinter der Bezeichnung „Tensid“ jedoch steckt, mag überraschen: Sie steht für eine Gruppe von Chemie-Produkten, die schon seit rund 5000 Jahren von Menschen genutzt werden! Wie der Chemische Reporter berichtet, haben die Sumerer nämlich vor ebenso langer Zeit schon Seife hergestellt und verwendet. Und Seife ist ein Stoff, wenn nicht der Stoff, der aus Tensiden besteht.

 

Wie man Seife macht

Die Ursprünglichsten der Tenside lassen sich vergleichsweise einfach herstellen – nämlich aus pflanzlichen Fetten. Bei Fetten – unter Chemikern auch Triglyzeride genannt – handelt es sich nämlich um Ester des Glyzerins mit verschiedenen Fettsäuren. Und Verbindungen der Gruppe der Ester können ziemlich einfach zerlegt werden, zum Beispiel durch Zugabe einer Base.

Eine Base ist ein Stoff, der H+-Ionen aufnehmen kann, die er zum Beispiel Wassermolekülen „entwenden“ kann. Das führt dazu, dass Basen in Wasser häufig OH-Ionen erzeugen, falls sie solche nicht selbst schon mitbringen:

Calciumoxid – besser: Das Oxid-Anion – ist eine Base und reagiert mit Wasser zu zwei Hydroxid-Ionen. Das Calcium-Ion bleibt dabei in Wasser gelöst zurück.

Calciumoxid und weitere wasserlösliche Oxide der Alkali- und Erdalkalimetalle finden sich in Pflanzenasche, sodass die Asche basisch reagiert. Und das haben schon die findigen Sumerer zu nutzen gewusst (obwohl die noch nicht wussten was Basen sind), indem sie Asche zu warmen Pflanzenfetten gaben und eine weiche, aber formfeste Masse mit erstaunlichen Eigenschaften erzeugten: Seife. Heutzutage wird Seife noch genauso hergestellt – nur verwendet man anstelle der Asche Natriumhydroxid (NaOH), ein Salz, das mit Wasser die stark basische Natronlauge bildet.

 

Reaktionsschema zur Seifenherstellung : Wie Tenside seit 5000 Jahren gemacht werden

Seifenherstellung: Reaktion von Fetten mit einer Base zu Glyzerin und Fettsäure-Anionen

 

Wer Seife selbst herstellen möchte, findet hier ein Rezept dafür. Natriumhydroxid und Natronlauge sind jedoch stark ätzende Substanzen, die mit gebührender Vorsicht verwendet werden sollten!

Einfache Seife ist also ein Gemisch aus Glyzerin und den Anionen der verschiedenen Fettsäuren (eine gute Seife enthält praktisch keine Hydroxid-Ionen mehr, was erreicht wird, indem die Base bei der Herstellung etwas unterdosiert zum Einsatz kommt, sodass sie während der „Reifezeit“ der Seife von mehreren Wochen praktisch vollständig aufgebraucht wird). Und diese Fettsäure-Anionen sind ganz besondere Moleküle: Sie wechselwirken nämlich auf zweierlei Art mit ihrer Umgebung!

 

Mischung oder Trennung: Alles eine Frage der Anziehung

Die Art und Weise, wie ein Molekül mit anderen Molekülen in seiner Nachbarschaft wechselwirkt, hängt von der Verteilung der Elektronenladung im Molekül ab. Wenn diese nämlich ungleichmässig ausfällt, können Anhäufungen von negativer und positiver Ladungen in verschiedenen Molekülen einander anziehen. Und solche Anhäufungen gibt es, weil verschiedene Atomsorten ihre Elektronen (einschliesslich derer, die an Elektronenpaar-Bindungen beteiligt sind) unterschiedlich stark zu sich hinziehen. So entstehen polare, d.h. unsymmetrische Bindungen. Wie das im Einzelnen vor sich geht und welche Folgen das hat, könnt ihr in der Geschichte um die 13 Vitamine nachlesen.

Festzuhalten ist: Wenn in einem Molekül räumlich getrennte Anhäufungen von Elektronenladung entstehen (man spricht dann von einem Dipol-Molekül), können sich diese Anhäufungen und Bereiche mit einem Mangel an Elektronenladung gegenseitig anziehen. Und wenn Moleküle einander anziehen, lassen die Stoffe, welche aus ihnen bestehen, sich mischen.

Wasser ist der vielleicht bekannteste Stoff, der aus Dipol-Molekülen besteht. Und Stoffe, die sich mit Wasser mischen lassen, die also ebenfalls aus Dipol-Molekülen bestehen, nennt man hydrophil (griechisch für „wasserliebend“).

Auch in vielen organischen Molekülen gibt es solch unregelmässige Ladungsverteilung. Dazu zählen die sogenannten Carbonsäuren – solche Moleküle, die eine Carboxyl-Gruppe beinhalten.

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Essigsäure, eine einfache Carbonsäure, mit Anhäufungen von Ladung

Essigsäure ist eine einfache Carbonsäure. Die Carboxyl-Gruppe enthält Kohlenstoff- und Sauerstoff-Atome, auf welche die Elektronenladung nicht gleichmässig verteilt ist. So können die Essigsäure-Moleküle einander, aber auch andere Moleküle mit ungleichmässiger Ladungsverteilung anziehen: Essigsäure ist deshalb sehr gut mit Wasser mischbar!

Moleküle aus ähnlich „starken“ Atomen, deren Elektronenladung weitgehend gleichmässig verteilt ist, können keine Dipole sein. Und trotzdem ziehen sie einander an – auf eine andere Weise, die sich massgeblich von der Anziehung zwischen Dipolen unterscheidet. Moleküle mit gleichmässiger Ladungsverteilung lassen sich deshalb gut miteinander mischen, jedoch nicht Molekülen, welche die Anziehung zwischen Dipolen bevorzugen!

Da die Fette zu den „gleichmässigen“ Molekülen zählen, nennt man Stoffe aus solchen Molekülen lipophil (griechisch „fettliebend“).

 

Ein einfaches Modell für ein vielseitiges Molekül

Das Besondere an Fettsäure-Anionen ist: Sie sind sowohl hydrophil als auch lipophil! Das heisst allerdings nicht, dass sie sich gleichermassen gut mit Wasser und mit Fetten mischen lassen. Es sind vielmehr unterschiedliche Abschnitte der Moleküle, die entweder hydrophil oder lipophil sind.

So heissen Fettsäuren wie sie heissen, weil sie Carbonsäuren sind. Das heisst, ein Fettsäuremolekül enthält eine Carboxylgruppe, die ein H+-Ion abgeben und zur Carboxylat-Gruppe werden kann, dank welcher die Fettsäure zum Fettsäure-Anion wird. Und ein Anion enthält eine Extremform der Anhäufung von Elektronenladung: Diese Anhäufung ist so gross, dass ihre elektrische Ladung derer eines oder mehrerer ganzer Elektronen entspricht (Die Ladungs-Anhäufungen in Dipol-Molekülen sind stets kleiner als die Ladung eines Elektrons!).

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Und Carboxylgruppen sind (wie Carboxylat-Gruppen auch) hydrophil.

Allerdings befindet sich die Carboxylgruppe einer Fettsäure am Ende einer langen Atom-Kette aus Kohlenstoff- und Wasserstoff-Atomen. Und die sind in Sachen Elektronen-Anziehen nahezu gleich stark. Deshalb sind solche Kohlenwasserstoff-Ketten lipophil.

Während die Carboxylatgruppe eines Fettsäure-Anions also mit Wasser mischbar ist, ist seine Kohlenwasserstoff-Kette mit Fett (und nicht mit Wasser) mischbar. Und beide sind fest miteinander verbunden! Solch ein Molekül gleicht damit einer Schlange: Der Kopf beisst, und der Schwanz kann sich um einen Ast winden. Beide zusammen ergeben ein Tier, das in Bäumen Beute jagen kann.

Oder noch einfacher: Die Carboxylatgruppe sei wie der Kopf eines Streichholzes, der sich an einer Reibefläche entzünden lässt, während die Kohlenwasserstoff-Kette den Schaft zum Festhalten der Flamme bildet.

Streichholzmodell für Tenside

Carboxylat-Anion als „Streichholz“: Der rote Kopf ist wasserliebend, der blaue Schaft ist fettliebend.

 

Damit brauchen wir uns nicht länger mit Atomen, Atomgruppen und ungleichmässig verteilter Elektronenladung herum zu schlagen. Es genügt zu wissen: Die Streichholz-Köpfe mischen sich mit Wasser, die Streichholzschäfte mit Fett und anderen lipophilen Stoffen. Deshalb heissen solche „Streichholz“-Teilchen amphiphil – beides liebend – oder auch „Tensid“.

Die Fettsäure-Anionen, deren „Köpfe“ also eine negative Ladung tragen, gehören zu den „anionischen“ Tensiden. Doch auch Fettsäuren, welche ihr H+-Ion nicht abgegeben haben, sind amphiphil. Sie gehören mangels einer ganzen elektrischen Ladung zu den nichtionischen Tensiden. Ebenso gibt es kationische Tenside mit einer positiven ganzen Ladung am Kopf, und schliesslich amphotere Tenside, die sowohl eine positive als auch eine negative Ladung am Kopf tragen.

 

Wie Seife funktioniert: Streichholz-Tenside und Grenzflächen

Stellt man ein Gefäss mit Wasser an der Luft, hat man zwei Stoffe oder Stoffgemische direkt nebeneinander, die unterschiedlich wechselwirken: Wasser ist hydrophil, während die meisten Luftmoleküle (Luft besteht hauptsächlich aus Stickstoff, N2 und Sauerstoff, O2) lipophil sind. Folglich wollen beide nicht viel miteinander zu tun haben und bilden ihre eigenen Cliquen. Wassermoleküle halten sogar so stur zusammen, dass sie die meisten Luft-Moleküle strikt draussen halten.

Teilchen, die aus der Luft ins Wasser oder umgekehrt passieren möchten, müssen damit Auflagen erfüllen und Mühen auf sich nehmen wie wir mancherorts, wenn wir eine Landesgrenze überschreiten wollen. Dementsprechend wird solch eine trennende Fläche zwischen Luft und Wasser (aber auch zwischen anderen Stoffen) Grenzfläche genannt.

Das Bollwerk, das die zusammenhaltenden Wassermoleküle an der Wasseroberfläche bilden zeigt sich uns als „Oberflächenspannung“: Es ist so fest, dass kleine Tiere wie Wasserläufer darauf laufen können!

Wenn man Seife (Tenside) ins Wasser gibt, sortieren die sich in der bequemsten Ausrichtung – an der Grenzfläche zwischen Luft und Wasser, sodass die hydrophilen Köpfe ins Wasser und die lipophilen Schwänze in die Luft weisen! Damit stören sie den Zusammenhalt der Wassermoleküle an der Oberfläche so empfindlich, dass jeder Wasserläufer auf Seifenwasser umgehend untergehen würde.

Streichholzmodell: Tenside an einer Grenzfläche

Das könnt ihr ganz einfach ausprobieren – aber bitte nicht mit Tieren! Als Ersatz für einen Wasserläufer schwimmt auch eine eiserne Büroklammer (seiner Dichte wegen sollte Eisen sofort sinken!) auf Wasser, wenn man sie vorsichtig darauf legt. Sobald man jedoch Seife in eine Schale Wasser gibt, auf welchem eine Büroklammer schwimmt, wird diese umgehend untergehen.

Die Oberfläche des Wassers in einem Behälter hat jedoch eine begrenzte Grösse. Wenn man genügend Seife hineingibt, wird sie irgendwann gänzlich von Tensiden besetzt sein, sodass die Übrigen keinen Platz mehr finden werden. Diesen ausgegrenzten Molekülen bleibt nichts anderes übrig, als Zuflucht in „Selbsthilfegruppen“ zu suchen: Sie lagern ihre Schwänze so zu einer Kugel zusammen, dass alle Schwanzenden auf deren Zentrum weisen. Damit befinden sich alle Köpfe aussen – dem Wasser zugewandt – sodass sich diese Tensid-Kugeln wunderbar mit dem Wasser mischen können, während ihr lipophiler Anteil in ihrem Inneren verborgen bleibt. Solche Kugeln oder ähnlich abgeschlossenen Tensid-Gebilde werden von Chemikern auch Mizellen genannt.

Streichholzmodell: Tenside bilden eine Mizelle

 

Das Geheimnis der Superwaschkraft

Die Fähigkeit zur Bildung von Mizellen ist auch das Geheimnis der Waschkraft von Seife. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine fettige Pfanne bloss mit Wasser zu reinigen, wird festgestellt haben, dass das Fett sich von Wasser reichlich wenig beeindruckt zeigt und kaum von der Stelle weicht. Taucht man die Pfanne samt Fett jedoch in seifenhaltiges Wasser, eröffnen sich für die Tenside darin ganz neue Möglichkeiten:

Jetzt können sich die lipophilen Schäfte nämlich an die Oberfläche der Fettpartikel anlagern und diese dicht an dicht besetzen. So verschaffen die Tenside den Fetten eine mit Wasser mischbare Oberfläche aus „Streichholzköpfen“. Das Ganze geht sogar so weit, dass die Tenside sich regelrecht zwischen Fettpartikel und Pfannenoberfläche drängen, sodass die Partikel bald abgelöst werden und als vollständig geschlossene „Mizellen mit was drin“ durch das Wasser treiben und weggespült werden können!

Streichholzmodell : Die Super - Fettlösekraft der Tenside

 

Tenside als Spielzeug

Nicht nur für die Waschkraft von Seife zeichnen Tenside verantwortlich, sondern auch für ein seit Generationen beliebtes Spielzeug: Seifenblasen. Wenn man die kauft, erhält man meist einen handlichen Kunststoffzylinder mit einer Seifenlösung und einem kleinen Ring am Stab zum Hineintauchen. Wenn man den Ring aus der Lösung nimmt, spannt sich darin ein dünner Film aus Seife, der sich, sobald man sanft hineinbläst, zu einer Blase ausdehnt, abschnürt und in schillernden Regenbogenfarben langsam durch die Luft davontreibt.

Aber woraus bestehen die ätherischen, fast gewichtslos wirkenden Seifenblasen eigentlich?

Hauptsächlich aus Tensiden, die eine besonders trickreiche Anordnung einnehmen! Ausserhalb und innerhalb einer Seifenblase befindet sich nämlich Luft, sodass es sich anbietet, an der Innen- und Aussenfläche einer Seifenblase Schwänze zu haben. Tatsächlich ordnen sich die Tenside dicht an dicht zu einer doppelten Schicht, wobei alle Schäfte der inneren Schicht nach innen und jene der äusseren Schicht nach aussen weisen. Folglich weisen alle Streichholzköpfe in die Mitte zwischen den Schichten. Und da bietet es sich an, gleich noch eine sehr dünne Schicht Wassermoleküle zwischendrin einzuschliessen, damit es zwischen einzelnen Ladungen der gegenüberliegenden Köpfe nicht zu Abstossung kommt.

Streichholzmodell: Tenside formen eine Seifenblase

Seifenblase, dargestellt als Streichholzmodell (Nach: „Schaumbläschen“ by Roland.chem [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons)

 

Die Anziehung zwischen den geordneten Tensiden ist damit so gross, dass sie selbst in bewegter Luft zu einem hauchdünnen, aber sichtbaren Film zusammenhalten und die eingeschlossene Wasser-Schicht tragen können….fast zumindest. Denn wer Seifenblasen genau beobachtet, wird feststellen, dass sie in der Regel zerplatzen bevor sie ganz zu Boden gleiten oder auf ein Hindernis treffen. Und wer besonders grosse Seifenblasen macht und noch genauer hinschaut (oder eine Zeitlupenkamera sein Eigen nennt), mag bemerken, dass die Blasen zuerst oben aufreissen, ehe sie ganz zerfallen.

Das zeigt uns, dass die Schwerkraft am Ende doch gewinnt. Früher oder später werden die Wassermoleküle der Zwischenschicht nämlich doch zu schwer und in der Seifenblassen-Hülle nach unten gezogen. Dort sammeln sie sich an, während die Blase im oberen Bereich zunehmend trocken fällt – bis sich die Tensid-Köpfe schliesslich berühren und abstossen. So gerät die geniale Streichholz-Doppelschicht gänzlich aus den Fugen und reisst auseinander. Die einstmals schillernde Blase wird wieder zu einem schlichten, ungeordneten Tropfen Seifenlösung, der eben dort landet, wo die Seifenblase ihr kurzes Dasein beendet hat.

 

Tenside als Bausteine des Lebens

Auch in und um Lebewesen gibt es zahlreiche mehr oder minder überwindbare Grenzflächen wie jener zwischen Luft und Wasser. So atmen Landsäugetiere wie wir Menschen Sauerstoff-Moleküle, indem wir ihnen ermöglichen, in unseren Lungenbläschen aus der Luft hinaus und in unsere wasserhaltige Blutbahn einzutreten. Wasserlebewesen bewerkstelligen das Gleiche in ihren Kiemen, die dafür geschaffen sind, im Wasser gelösten Sauerstoff in den Körper hinein zu lassen.

Um mit solchen und vielen anderen Grenzflächen umzugehen, hat sogar das Leben seine ganz eigenen Tenside geschaffen! Diese Moleküle unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Seife, können jedoch ebenfalls in einen hydrophilen Kopf und einen lipophilen Schwanz gegliedert werden. Aus solchen Tensiden besteht zum Beispiel die Aussenhülle von Körperzellen: Dabei handelt es sich um eine doppelte Schicht aus dicht gepackten „Streichhölzern“, deren Schäfte allesamt nach innen und die Köpfe nach aussen weisen – also quasi um eine umgekehrte Seifenblase.  Das ist praktisch, weil sowohl das Innere der Zelle mit Wasser (und vielem anderen) gefüllt ist, als auch Wasser die Zellen im Körper umgibt. Da die Hülle der Zellen jedoch innendrin lipophil sind (dort befinden sich die Tensid-Schäfte!), können sich das Wasser draussen und das Wasser drinnen nicht einfach vermischen! Was hydrophil ist und in die Zelle hinein- oder aus ihr hinaus soll, muss durch speziell dafür vorgesehene „Fenster-“ oder „Tunnel-„Moleküle hindurch.

 

Wann Tenside zum Problem werden

Der Umstand, dass viele Lebewesen sich hervorragend mit den Grenzflächen zwischen ihnen selbst und ihrem Lebensraum „draussen“ arrangiert und allerlei Tricks entwickelt haben, um ihrer Umgebung Nahrung und Sauerstoff zu entnehmen, führt dazu, dass viele Tenside, die wir erfunden haben um ebensolche Grenzflächen zu zerstören (um zum Beispiel Fettreste mit Wasser lösen zu können), für solche Lebewesen giftig sind. Das gilt besonders für Wasserlebewesen, welche die dichten Grenzflächen ihres Lebensraums in vielerlei Hinsicht zum Leben brauchen.

Deshalb müssen die Seifen und anderen Tenside, die wir tagtäglich verwenden, erst abgebaut werden, bevor sie in die Umwelt gelangen dürfen! Das besorgt zum Beispiel ein Klärwerk, in dem Bakterien für genau diesen Job „angeheuert“ werden. Diese Bakterien, die sich im Klärbecken über Tenside hermachen, haben zum Beispiel die zwei folgenden Möglichkeiten, die „Streichholz“-Moleküle unschädlich zu machen:

  1. Sie trennen den Streichholzkopf vom Schaft. Damit bleiben zwei Teilmoleküle, eines wasser- eines fettliebend, die jedes für sich ihre Lieblingsumgebung suchen und keinen Schaden mehr anrichten können.
  2. Sie verpassen dem Schaftende einen zweiten Kopf. So entsteht ein zweiköpfiges „Streichholz“, das nach beiden Enden wasserliebend ist und somit für das Zusammenspiel der Tenside nicht mehr brauchbar ist.

Wer also ein nützliches Tensid „erfinden“ möchte, tut gut daran, nicht nur über die mögliche Giftigkeit des Tensids nachzudenken. Wenn nämlich dessen Abbauprodukte, welche die Bakterien im Klärwerk daraus herstellen, für sich aus irgendeinem Grund ebenso giftig sind, würde die Entsorgung der Tenside damit ihres Sinnes beraubt.

So sind die Seifen unseres täglichen Gebrauchs wohl für viele Wasserlebewesen gefährlich, aber auch für den Abbau im Klärwerk geschaffen. Aus diesem Grund gehört Seifenwasser unbedingt in einen Haushaltsabfluss entsorgt, der an ein Abwassersystem und damit möglichst direkt an eine Kläranlage angeschlossen ist.

Innerhalb eines Gebäudes ist das hierzulande kein Problem. Ein Auto passt jedoch in den seltensten Fällen ins Haus, und das Seifenwasser samt Öl- und anderen Resten beim Autowaschen einfach in die Gegend laufen zu lassen erachten viele wichtige Lebewesen in Wasser und Boden als ganz schlechte Idee (und ist je nach Art des vorhandenen Entwässerungssystems sogar verboten!). Deshalb verdient jedes Auto, das nach einer Wäsche mit Seife verlangt, eine Fahrt durch eine Autowaschanlage, die eine umweltschonende Entsorgung ihrer Abwässer übernimmt.

Richtig problematisch wird es damit erst, wenn Tenside zum Einsatz kommen, um Unmischbares zu mischen, das dazu bestimmt ist, in der Landschaft verteilt zu werden. So stecken in Pflanzenschutzmitteln, die (nicht nur) den berüchtigten Wirkstoff Glyphosat enthalten, in der Regel auch Tenside. Und die gelangen beim Spritzen von Pflanzen auf Äckern und in Gärten ungehindert in die Umwelt, was, wie Sebastian auf Nullius in Verba schreibt der Abschnitt über die Tenside findet sich am Schluss des Beitrags) , die Problematik des eigentlichen Glyphosats, letztlich in den Schatten stellt!

 

Fazit

Tenside gehöhren in Form von Seife zu den am längsten von Menschen genutzten Chemikalien der Welt. Ihre Fähigkeit auf zweierlei Weise mit ihrer Umgebung zu wechselwirken und Grenzflächen durchlässig zu machen macht sie zu starken und vielseitigen Helfern im Alltag. Wo Grenzflächen allerdings lebensnotwendig sind, werden Tenside schnell zur Gefahr. So nützlich ihre Superwasch- und mischkraft auch ist, setzt Seife und andere Tenside mit Bedacht ein und geniesst ihren Nutzen ohne bitteren Beigeschmack!

Und wo begegnen euch Tenside in eurem Alltag?