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Dieser Artikel enthält Affiliate-Links aus dem Amazon-Partnerprogramm (gekennzeichnet mit (*) – (*) ) – euch kosten sie nichts, mir bringen sie vielleicht etwas für meine Arbeit ein. Ich habe für diese Rezension ein Rezensionsexemplar des Buches erhalten. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.

Unendliche Weiten – Eine Einladung in das Universum der Chemie

Chemie – das ist schwierig, kompliziert, gefährlich… Das sind die gängigen Vorurteile gegenüber einer verkannten Wissenschaft. Chemie ist überall – alles ist Chemie — Mein eigener Leitspruch könnte im Schatten dieser Vorurteile wahrlich Anlass zum Gruseln sein.

Ich bin aber kein Fan von Grusel! Ich habe diesen Leitspruch gewählt, weil er aussagt, was Chemie in Wirklichkeit ist: Die natürlichste Sache der Welt (ja, auch die beruht auf Chemie!) und aus unserem Leben nicht wegzudenken. Und das gilt auch und gerade für jene unter euch, die einen „alternativen“ Lebensstil pflegen.

Die Vielfalt der Chemie und ihre zahllosen Rollen in unserem Alltag wie auch bei der Bewältigung der grossen Probleme der Menschheit beschäftigt auch die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), die anlässlich ihres 150jährigen Bestehens mit der Herausgabe des Bildbandes „Unendliche Weiten“ zum Entdecken einlädt:

Eine bunte und überraschende Abenteuerreise durch die faszinierenden Welten des Chemie-Universums: Wie erklärt die Chemie die Entstehung des Lebens, wie hat sie die Welt verändert und wie lassen sich die drängenden Probleme unserer Zeit mit ihrer Hilfe lösen? In zwölf Kapiteln geben uns ausgesuchte Spezialisten, Chemiker und Chemikerinnen, einen Einblick in die Chemie als äusserst kreative und verantwortungsbewusste Wissenschaft. Viele praktische Beispiele, Produkte und Anwendungen zeigen das Potential der Chemie auf. So erfährt man etwa, dass eine moderne Energie- und Rohstoffversorgung ohne Chemie weder denkbar noch machbar ist und welche Bedeutung die Chemie für die moderne Informationstechnologie hat.

Zum Inhalt des Buches

Die Abenteuerreise beginnt mit einem „Prospekt“ des Reiseveranstalters: Das einleitende Kapitel „Faszination Chemie“ von Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger öffnet ein Fenster in die Welt der Chemie – von ihrer Geschichte bis zu ihrer Bedeutung heute, das Lust auf mehr bzw. Genaueres macht. Und Genaueres gibt es in den folgenden Kapiteln zu den Teildisziplinen der Chemie.

Den Anfang macht die Anorganische Chemie. Zusammengestellt von Barbara Albert, Thomas Geelhaar, Wilma Neumann und Armin Reller reicht die „Spielwiese der Anorganischen Chemie“ von den chemischen Elementen und ihrer Entstehung bis zu anorganischen Verbindungen, die heute unser Leben bestimmen. Alle 118 heute bekannten Elemente im Einzelnen beschrieben würden freillich ein eigenes Buch füllen (oder eine Blogartikel-Sammlung), sodass die Autoren sich mit einem Beispiel näher befasst haben – dem etwas exotisch erscheinenden Bor, das trotz seiner relativen Seltenheit im Universum wie in Schulbüchern wichtiger Bestandteil verschiedenster Technologien ist.

Um ein weiteres Element – Kohlenstoff – hat sich eine ganz eigene Disziplin der Chemie gebildet: Die Organische Chemie. Michael Röper nimmt uns im zweiten Kapitel zu einem Ausflug in diesen Fachbereich mit. Dabei erfahren wir nicht nur, warum uns ausgerechnet Kohlenstoff mit einer schier endlosen Vielfalt von Verbindungen beschert und wie wir diese Vielfalt aus Erdöl oder alternativ aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnen können. Darüber hinaus lernen wir die Katalyse als Schlüsseltechnologie der Chemie näher kennen und erhalten einen Einblick in das Konzept der „grünen“, nachhaltigen Chemie, die Forschung und Industrie zunehmend beeinflusst. Dabei geben ausführlich gestaltete Infoboxen vertiefende Einblicke in die Materie (im wahrsten Sinne des Wortes!).

Es folgt ein Rundgang durch mein eigenes „Kerngebiet“: Die Biochemie – die Chemie und Technik des Lebens. Mark Helm, Johanna Bretzler, Nina Simon und Thomas Carell gewähren in ihrem Kapitel Einblick in ausgewählte Gegenstände der aktuellen Forschung und Anwendung. Von neu entdeckten DNA-Basen über Designer-Proteine über das CRISPR-Cas9 – Werkzeug für die einfache Genmanipulation bis zur Biotechnologie tun sich dabei geradezu futuristisch anmutende Möglichkeiten auf.

Bei aller Faszination wird jedoch ebenso viel Wert darauf gelegt, welch grosse Verantwortung Chemie-Betreibende – Forscher wie Anwender – stets tragen. So ist das fünfte Kapitel allein der Wasser- und Umweltchemie gewidmet. Vergeude keine Ressourcen, verwerte sie!, lautet der Leitsatz, wenn es um Wasservorräte, die Mikroplastik-Problematik oder um Klima und Atmosphärenchemie geht. Und in all diesen Feldern können und müssen Chemiker sich als Problemlöser betätigen.

Nun ist es absolut falsch, die Chemie als isolierte Wissenschaft für sich zu betrachten. Vielmehr überschneidet sie sich mit allen Ecken und Enden mit anderen Disziplinen der Natur- und weiterer Wissenschaften. Die vielleicht gängigsten Schnittmenge ist jene mit der Physik. So ist das Kapitel über die physikalische Chemie besonders vielfältig und umfassend und reisst doch nur eine Auswahl der Arbeitsgebiete physikalischer Chemiker an: von theoretischen Berechnungen von Reaktionen über Spektroskopie, Katalyse (einmal mehr), Nanomaterialien, elektrochemische Grenzflächen, Energieversorgung, Nuklearchemie, Forschung bei extrem tiefen Temperaturen und der Rosetta-Mission ist vom einzelnen Atom bis zu den unendlichen Weiten des Weltraums alles dabei.

Zurück zu alltäglichen Belangen finden wir im siebten Kapitel über die Polymerchemie: Ohne Kunststoffe geht heute praktisch gar nichts mehr – und nicht nur die bestehen aus Polymeren, sondern auch das Leben käme ohne sie nicht aus. Und so faszinierend all diese Riesenmoleküle auch sind – auch hier kommen Umweltproblematiken und daraus entstehende Aufgaben für Chemiker nicht zu kurz.

Und auch in Sachen digitaler Kommunikation kommt die Chemie nicht zu kurz. Immer kleiner, .schneller und sparsamer soll unsere Kommunikationstechnik werden. Was die Chemie zur Entwicklung von Computerchips, ihrer Herstellung und ihrer Funktion – und damit zum Bloggen – beigetragen hat und bei der Entwicklung selbstorganisierender Strukturen, dem Gehirn nachempfundenen Datenspeichern und hochflexibler Displays beitragen kann, verrät uns Rainer Waser in Kapitel 8.

So viel Chemie macht Hunger – und wenn es um die Ernährung geht, kommen wir einmal mehr nicht ohne Chemiker aus. ‚Was machen eigentlich Lebensmittelchemiker?‘ fragen die Autoren in Kapitel 9. Die Antwort: Sie sorgen sich um die Einhaltung unserer ausgezeichneten Qualitätsstandards in Mitteleuropa in Sachen Nahrungs- und Verbrauchsmittel. Und dabei sehen sie die Entdeckung einer unerwünschten Verunreinigung und den darauf folgenden Medienrummel als Nachweis ihrer gründlichen Arbeit an denn als Zeichen schlecher Nahrungsmittelqualität.

‚Im Dienste der Gesundheit‘ tut sich in Kapitel 10 dann auch ein weiteres Fachgebiet auf: Die medizinische Chemie, die sich mit der Herstellung von Medikamenten und ihrer Wirkung auf den Organismus beschäftigt. Dabei wird die gängige, aber irreführende Unterscheidung in Natur = gut und Chemie = schlecht auf die Geschichte der Heilkunde zurückgeführt: Seit Beginn der Menschheitsgeschichte suchen Menschen nach heilenden Substanzen – und fanden sie zuerst in der Natur. Den langen Weg zu synthetischen Wirkstoffen zeichnen die Autoren anhand von zwei ebenso alten wie populären Medikamenten nach. Und wie solche Wirkstoffe eine ganze Gesellschaft verändern können, zeigt das Beispiel der Anti-Baby-Pille. Doch auch in Zukunft gibt es in der medizinischen Chemie grosse Aufgaben zu bewältigen: Bezahlbare Medikamente und Impfstoffe für alle sind nur ein Beispiel dafür.

Dieser farbenfrohe Rundgang durch das Universum der Chemie führt schliesslich zu der einen grossen Frage: Wie sieht die Zukunft der Chemie aus? Die vorangehenden Kapitel zeigen eine wahre Fülle von Aufgaben und Problemstellungen auf, mit welchen sich heutige und künftige Chemiker beschäftigten können bzw. müssen. Das elfte Kapitel dreht sich um die Frage nach dem „Wie“: Für die Lösung grosser, drängender globaler Probleme ist ein ebenso umfassendes Denken nötig, meinen die Autoren. Eine Ausweitung der Interessen über den Rand der Chemie hinaus ist unumgänglich, Interdisziplinarität das A und O, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

All das bietet schlussendlich die richtige Grundlage, um – auch und gerade in der Chemie – kreativ zu sein. Wieviel Kreativität in der Arbeit von ChemikerInnen tatsächlich steckt, zeigt Thisbe K. Lindhorst im 12. Kapitel, in welchem sie in faszinierender Weise die Chemie mit der Arbeit von Architekten vergleicht. Und tatsächlich schaffen wir Baumeister der Moleküle mindestens ebenso atemberaubende Werke wie die Baumeister der makroskopischen Welt!

Mein Eindruck vom Buch

Wir haben die Beiträge in diesem Buch zusammengestellt, um für die Chemie breites Interesse in der Gesellschaft zu wecken und auf sie neugierig zu machen.

So schreiben die Herausgeber im Vorwort zu „Unendliche Weiten“. Das könnte glatt aus meiner Feder stammen – und hat mich gleich dazu bewegt, euch dieses Buch vorzustellen.

Ganz besonders haben wir dabei an die Jugend gedacht. Für diejenigen, deren Schulzeit zu Ende geht, steht die Berufswahl an. Sie müssen sich für einen Weg in die Zukunft entscheiden. Dafür sind faire und ausführliche Informationen gefragt. Auch dabei soll das Buch eine Hilfe sein. Es möchte Sie inspirieren und vielleicht auch begleiten auf einem Weg in die weiten Welten der Chemie.

Ich bin diesen Weg schon weit gegangen und habe mich im Rahmen der Lehrerausbildung schliesslich auch mit der Steinigkeit, die sein Anfang für viele bereithält, auseinandergesetzt. Mit anderen Worten: Ich habe erlebt, welche Schwierigkeiten Schülerinnen und Schüler im Umgang mit fachlichen Formulierungen und dem Begreifen eben solcher Zusammenhänge haben und die abschreckende Wirkung von mit dem Vorurteil „schwierig“ behaftetem Stoff gesehen. Und ich kenne ebenso die Freude in den Gesichtern, wenn die Lernenden dieses Vorurteil als falsch enttarnen können und wirkliche Neugier auf „mein“ Fach entwickeln.

Mit eben dieser Freude habe ich dieses Buch gelesen und viel Spannendes und Neues entdeckt – denn selbst studierte Chemiker können naturgemäss immer nur einen Bruchteil dieser ‚unendlichen Weiten‘ im Blick haben. Die Vielzahl an farbigen Abbildungen und vertiefender Textboxen machen die Lektüre dabei um so greifbarer.

Ein Leser ganz ohne „chemischen Hintergrund“ dürfte jedoch über manche Strecken mit dem fachlichen Niveau des Textes Mühe bekunden – oder viel Geduld bzw. Interesse zum Nachschlagen von Begriffen mitbringen müssen. Einige Grundlagen werden zwar kurz und bündig geliefert bzw. aufgefrischt, aber etwas chemisches Basiswissen ist von grossem Wert, um die faszinierende Welt der Chemiker wirklich geniessen zu können. Dabei gehen zwar die meisten Kapitel für sich den einladenden Weg von einfach nach anspruchsvoll, doch ganz und gar breitentauglich – dafür weniger tiefgehend – erschien mir erst das siebte Kapitel über die Polymere.

Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn, wie das Zitat aus der Einleitung sie erwähnt, vornehmlich Maturanden/Abiturienten, finden – aufbauend auf den Grundlagen aus dem Chemieunterricht – einiges Bekanntes wieder und vor allem spannende weiterführende Einblicke in die Welt der Chemie. Überdies präsentiert ihnen das Buch eine breite Fülle von Fragestellungen und Betätigungfeldern, mit bzw. in welchen sie in Chemie-Berufen künftig wichtige und spannende Aufgaben für die Gesellschaft übernehmen können.

Eckdaten rund ums Buch

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(*) Thisbe K. Lindhorst, Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger, Gesellschaft deutscher Chemiker e.V. (Hrsg.): Unendliche Weiten – Kreuz und quer durchs Chemie-Universum(*)

WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 2017
Gebundene Ausgabe, 230 Seiten
ISBN: 978-3-527-34203-7
ePDF-ISBN: 978-3-527-80450-4

Fazit

Die Abenteuerreise in die Unendlichen Weiten ‚Kreuz und quer durchs Chemie-Universum‘ eröffnet besonders Schulabgängern und anderen Lesern mit grundlegendem chemischen Hintergrund ein breites Spektrum von Möglichkeiten, welche Chemie-Berufe und die Chemie als solches für sie und die Gesellschaft bereithalten.

Wer also ein grundlegendes Interesse an Naturwissenschaften hat, findet in diesem Buch einen spannenden Einblick in Forschung und Technik der Gegenwart und Zukunft. Umfassende Grundlagen werden dabei jedoch nicht vermittelt – das ist in diesem Umfang auch gar nicht möglich. Dafür mag dieser Band euch dazu inspieren, auch mal ein Grundlagenbuch zur Hand zu nehmen und euch näher mit der ‚gar nicht so schweren‘ Chemie zu beschäftigen.

Und vielleicht sehen wir uns dann wieder im Universum der Chemie „…wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist!“

Alias-Effekt: Keinsteins Kiste erklärts!

Der Volksmund pflegt zu sagen: „Physik ist, wo es knallt – Chemie ist, wo es stinkt. Ich pflege zu sagen: „Physik ist, wo man spielt (und da sich Physik und Chemie nicht immer trennen lassen, gilt das auch irgendwie für letztere). Denn die wohl spannendsten Spielzeuge sind mit erstaunlichen physikalischen Phänomenen behaftet, welchen sich kleine und grosse Spielende allzu häufig gar nicht bewusst sind.

Begeistert gespielt wird auch bei Emmygunde und ihrem Spatzeküken, und dabei höchst aufmerksam beobachtet – und die Beobachtungen fleissig auf Fotos und Film gebannt. Eine solche Filmaufnahme offenbarte neulich, als das Band – pardon, die Datei – bei seiner Inaugenscheinnahme etwas erstaunliches.

„Das habe ich gar nicht gesehen – nur in dem Film kann man es erkennen!“, mailte Emmygunde mir. Und sie meinte die funkelnden Lichterkreisel, die sie beim Kreiseln im Dunkeln gefilmt hatte:

Ein (Elektro-)Mechanismus sorgt dafür, dass die bei der Drehbewegung auftretenden Kräfte Lampen in den Kreiseln zum Leuchten bringen. Und da diese Lampen fest eingebaut sind, kreiseln sie fleissig mit. Wer das mit dem blossen Auge beobachtet, wird eine Lichtsäule über dem rotierenden (sich drehenden) Kreisel sehen.

Was man mit dem blossen Auge nicht sieht, sind die geisterhaften bewegten Spiralen, welche auf der Filmaufnahme über den Kreiseln erscheinen.

Wie kann etwas auf einem Film zu sehen sein, das in Wirklichkeit gar nicht da ist? Ist das einer dieser übersinnlichen Fälle für Agent Fox Mulder aus „Akte X“?

Ich habe die Ehre dieses Rätsel für Emmygunde und alle anderen faszinierten Kreisel-Beobachter lösen zu dürfen.

 

Die (Un)zulänglichkeit unserer Kameras

Zunächst einmal: Niemand muss das FBI verständigen und Agent Mulder über den grossen Teich bitten. Keine Kamera kann etwas aufzeichnen, das nicht da ist. Auch diese Spiralen sind in gewisser Weise wirklich da. Und sie drehen sich auch wirklich. Aber sehr, sehr viel schneller als der Film es zeigt. So schnell, dass unser Gehirn ihre Drehbewegung gar nicht im Detail verarbeiten kann. Stattdessen setzt es „was immer es da – ohne Kamera – sieht“ zu einer einzigen Lichtsäule zusammen.

Eine Kamera – und das gilt für jedes für Normalsterbliche zugängliche Gerät, nicht nur für Emmygundes „Fusselskamera“, ’sieht‘ dagegen nach einem einfachen technischen Prinzip: Sie schiesst ein Foto nach dem anderen und zeigt uns diese Fotos ebenso schnell wie sie sie aufgenommen hat. Unser Gehirn besorgt den Rest und rechnet diese rasante Diashow zu einem bewegten Bild zusammen.

Die ursprünglichen Kameras, die noch mit Zelluloid-Filmen arbeiteten, haben tatsächlich ein Bild unter das nächste gereiht, wie auf einem endlos langen Dia-Streifen. Dabei hatte jedes Einzelbild das gleiche Format, zeigte einen Bildausschnitt in einem stets gleichartigen „Rahmen“, welcher bei der Wiedergabe gerade auf die verwendete Leinwand passte. An diese Rahmen angelehnt heissen die Datenpakete, die bei einem digitalen Film den Einzelbildern entsprechen, auch heute noch „Frame“, entsprechend dem englischen Wort für ‚Rahmen‘.

Und die Framerate, die Anzahl aufgenommener Bilder pro Sekunde, ist je nach Modell der Kamera höher oder niedriger, aber stets begrenzt. Was immer sich also vor der Linse bewegt, wird nur in Form einer Reihe von Moment-Ausschnitten der Bewegung festgehalten. Als würde man eine Wellenlinie darstellen, indem man nur in regelmässigen Abständen ihre Schnittpunkte mit senkrechten Linien auf dem Bildschirm markiert. Unser Gehirn erkennt sofort, dass diese Ansammlung von Punkten eine Wellenlinie wiedergibt:

 

Punktkurve

Wiederkehrende Bewegung wird zum Problem: Der Alias – Effekt

Wenn man eine fortschreitende Bewegung – zum Beispiel eine Katze, die von links nach rechts durchs Bild läuft – filmen möchte, funktioniert die Darstellung in einzelnen Frames wunderbar. Auch eine Bewegung, die sich langsam in gleicher Weise wiederholt, zum Beispiel ein Kind auf einer Schaukel, lässt sich in Zusammenarbeit mit unserem Gehirn prima wiedergeben.

Wiederholt sich eine Bewegung jedoch zu schnell, ergeben sich aus der Aneinanderreihung der Moment-Ausschnitte seltsame Dinge, die in Wirklichkeit so nicht stattgefunden haben. Eine solche sich wiederholende Bewegung ist auch die Wellenlinie auf dem Bildschirm:

 

Von der Bewegung zum Alias-Effekt


(nach: „Aliasing mrtz“ by mrtz (Own work) [CC BY-SA 2.5], via Wikimedia Commons)

 

Diese Wellenlinie „bewegt“ sich fast ebenso schnell auf und ab (sie hat eine höhere Frequenz als die Wellenlinie im ersten Bild) wie senkrechte Linien aufeinander folgen. Aufgezeichnet werden aber nur die Schnittpunkte der Wellenlinie mit den Senkrechten, die mit einem kleinen Kreis markiert sind. Wenn wir uns diese Momentaufnahmen aneinandergereiht wieder ansehen, setzt unser Gehirn sie zu dem zusammen, was sie scheinbar zeigen – nämlich die rote Kurve! Auch die ist eine Wellenlinie, die zwar die gleiche Auslenkung wie die „wirkliche“ Welle, aber eine sehr, sehr viel kleinere Frequenz hat (anstelle von 20 „wirklichen“ Wellenbewegungen passt gerade einmal eine einzige in das Bild).

 

Diese „fehlerhafte“ Wiedergabe von solch zu schnellen Bewegungen in „zu wenigen“ Einzelbildern wird Alias-Effekt oder kurz Aliasing genannt.

 

Wenn man von der Welle auf dem Papier zu ‚richtigen‘ wiederkehrenden Bewegungen geht, nehmen Alias-Effekte oft skurrile Ausmasse an. Das berühmteste Beispiel ist wahrscheinlich die Drehung von Wagenrädern im Western-Film: Wenn ein Wagen mit Speichenrädern anfährt und immer schneller wird, nähert sich die Frequenz der Speichen, die z.B. eine genau senkrechte Position im Rad durchlaufen, immer weiter der Framerate (im Kinofilm sind das 24 Bilder in der Sekunde) an.

Sobald dabei mehr als halb so viele Speichen die Senkrechte durchlaufen wie Einzelbilder aufgenommen werden, wird die Sache seltsam: Es entsteht ein Alias-Effekt. Denn sobald sich die Räder sich zwischen zwei Einzelbildern um genau den halben Abstand zwischen zwei Speichen drehen, ist der Aneinanderreihung der Einzelbilder nicht mehr zu entnehmen, ob sich das Rad vor- oder rückwärts in die gezeigte Position (wechselweise Speiche und Zwischenraum) gedreht hat.

Drehen sich die Räder noch schneller, zeigt jedes Einzelbild die Speichen in einer scheinbar früheren Position als im vorangehenden Bild: Die Räder, welche der Film zeigt, drehen sich rückwärts (während der Wagen ordnungsgemäss vorwärts rollt)! Auch die rote Welle in der Abbildung oben schwingt „rückwärts“: Ihre Auslenkung erfolgt zuerst nach unten und dann nach oben, während die wirkliche Welle zuerst nach oben schwingt.

Sobald die Räder sich zwischen zwei Einzelbildern um genau eine Speiche weiter drehen (also 24 Speichen in der Sekunde), zeigt jedes aufgenommene Bild die Speichen in exakt der gleichen Position. Zusammengesetzt ergeben diese Bilder den Eindruck, dass die Räder stehen.

Erst wenn der Wagen dann noch schneller fährt, scheinen sich die Räder vorwärts weiter zu drehen, wenn auch zunächst viel zu langsam.

 

Das „Abtasttheorem“, eine mathematische Gesetzmässigkeit, besagt, dass eine wiederkehrende Bewegung höchstens halb so schnell ablaufen darf, wie die Einzelbilder eines Films aufgenommen werden können, wenn man einen Alias-Effekt vermeiden möchte. Anders gesagt: die Framerate der Kamera muss mindestens doppelt so hoch sein wie die Frequenz der aufzunehmenden wiederkehrenden Bewegung.

Lichterkreisel mit Alias-Effekt

Auch Emmygundes Lichtkreisel – und mit ihnen die eingebauten Lichter – drehen sich im Kreis wie die Radspeichen, bewegen sich also wiederkehrend. Und zwar sehr viel schneller als die Kamera Einzelbilder davon aufnehmen kann. Das führt dazu, dass wir anstelle der „wirklichen“ Lichterscheinung, welche die Kreisel erzeugen, auf dem Video „nur“ den Alias-Effekt zu sehen bekommen. (Dass wir das vom Kreisel nach oben abgestrahlte Licht, welches zu den Spiralen führt, überhaupt von der Seite sehen, ist dem Staub und allerlei Partikeln in der Luft zu verdanken, die das Licht auch in Seitenrichtung streuen.)

Wer dabei genau hinsieht, wird feststellen, dass auch die sich langsam drehenden Spiralen zwischendurch die Drehrichtung wechseln, während die Kreisel sich in die gleiche Richtung weiterdrehen – ein deutliches Zeichen für einen Alias-Effekt! Anders als der anfahrende Wagen im Western werden die Kreisel jedoch langsamer (aufgrund von Reibung an Luft und Fussboden), sodass sich die Kreiselfrequenz der kritischen halben Framerate von oben annähert, bis der Alias-Effekt schliesslich aufhört (bzw. aufhören würde, würde der Kreisel nicht vorher umkippen).

Um Alias-Effekte zu verhindern – vor allem bei Tonaufnahmen (auch Schall ist eine Wellenbewegung!) – werden gar zu hohe Frequenzen vor der Aufzeichnung häufig herausgefiltert: Ein sogenannter Tiefpassfilter lässt nur Töne auf die Aufnahme, deren Frequenz höchstens halb so hoch ist wie die Aufzeichnungsrate (denn auch bei Tonaufnahmen gibt es akustische „Frames“). Sehr hohe Töne können die meisten Menschen ohnehin nicht hören – aber auf einem tiefpassgefilterten Kreisel-Video würde man den eigentlichen Inhalt des Films, den Kreisel samt Lichterspiel, nicht mehr kreiseln sehen…und das wäre doch schade.

So wünsche ich weiterhin viel Spass mit ‚Fusselchens‘ Gabe zauberhafte Alias-Effekte zu erzeugen!

 

Und welchen „magischen“ Alias-Effekt konntet ihr schon beobachten?