Dieser Artikel enthält Affiliate-Links aus dem Amazon-Partnerprogramm (gekennzeichnet mit (*) ) – euch kosten sie nichts, mir bringen sie vielleicht etwas für meine Arbeit ein. Ich habe für diese Rezension ein Rezensionsexemplar des Buches erhalten. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.
Die Geschichten in Keinsteins Kiste drehen sich in der Regel um den Alltag von heute – und der allein hat reichlich Spannendes zu bieten. Und manchmal scheint es gar so, als wäre die Wissenschaft fertig, könne alles erklären, was das Leben bietet, als könne die Technik alles leisten, was man zum Leben braucht. Und doch erwarten uns im Alltag von morgen unzählige neue Geschichten, die heute noch geradezu unglaublich klingen mögen – oder eben nach Science Fiction. Und genau diesen Geschichten widmet sich der Physiker Gerd Ganteför in seinem spannenden Buch „Heute Science Fiction, morgen Realität? – An den Grenzen des Wissens und darüber hinaus“.
[…]Doch Forschung ist nie am Ende und die Faszination der Wissenschaft ist ungebrochen, so Ganteför. Schliesslich gebe es Tausende von offenen und sehr spannenden Fragen.
Gibt es ein Ende der Welt? Sind wir dazu verurteilt, alt und schwach zu werden und zu sterben? Gibt es ausserirdisches Leben? Werden wir neue und unerschöpfliche Energiequellen entwickeln?
Diese und viele andere Fragen aus verschiedenen Diziplinen der Naturwissenschaft, die heute längst nicht nur Wissenschaftler bewegen, diskutiert Ganteför in seinem Buch – und die Häufigkeit, mit welcher er dabei zu der Antwort „möglich“ oder gar „bald möglich“ kommt, lässt mich staunen.
Zum Inhalt des Buches
Gibt es eigentlich noch etwas zu entdecken oder wissen wir schon alles? Werden wir immer einen Grossteil unseres Lebens arbeiten müssen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen? Wird es immer Krankheiten geben? […] Werden wir jemals die Sterne erreichen?
Diese Fragen, welche am Anfang des Buches stehen, lassen schon erahnen, dass die Forschung nicht nur in Ganteförs Augen noch lange nicht „fertig“ ist. Es gibt noch zahlreiche spannende und überaus weltbewegende Fragen zu beantworten. Überdies sind Visionen und die Forschung daran notwendig für eine weitere Entwicklung und damit den Erhalt der menschlichen Zivilisation.
So soll Ganteförs Buch in einer Zeit, in welcher viele Menschen dem wissenschaftlichen Fortschritt skeptisch gegenüber stehen, Möglichkeiten bzw. Chancen für die Bewältigung der heutigen grossen Probleme der Gesellschaft, die die Wissenschaft von morgen eröffnet, aufzeigen. Dazu sollen in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft die Grenzen des heutigen Wissens aufgezeigt werden, um dann einen Blick darüber hinaus auf das zu wagen, was uns hinter diesen Grenzen Aufregendes und Nützliches erwartet.
Ganteför beginnt seinen Rundgang ganz und gar nicht bescheiden mit dem Universum selbst. Zu Beginn miit den Eckdaten unseres Kosmos ausgerüstet geht es an die Fragen nach einer zweiten Erde irgendwo da draussen und möglichem Leben darauf. Mit Wasser scheint beides möglich, doch angesichts des unermesslichen Platzes im Universum und der Zeit, die die Evolution benötigt, ist laut Ganteför fraglich, ob zwei intelligente Zivilisationen in erreichbarer Nähe und zeitgleich erscheinen.
Daraus ergibt sich förmlich die Frage nach Reisen zu den Sternen. Da der Hyperraum uns, könnten wir ihn erreichen, uns der unverletzlichen Kausalität wegen die Rückkehr verweigern und das Beamen an den gleichen unfasssbaren Ressourcenmengen, wie sie schon Lawrence M. Krauss vor 19 Jahren in „Die Physik von Star Trek“ beschrieb, scheitern würde, bleibt uns für Langstreckenreisen im Weltraum letztlich die Kombination von Fusionsenergie und einem Staubstrahltriebwerk, das seinen Treibstoff während seiner Reise aus dem Raum aufliest.
Bei der näheren Betrachtung möglicher Energiequellen der Zukunft beschreibt Ganteför neben schwarzen Löchern als recht unwahrscheinliche künftige Energiequelle die Fusionsreaktoren, an welchen heute schon geforscht wird. Die Kernfusion bekommt man darin sogar hin – allerdings sie die Geräte für irgendeine Anwendung noch bei Weitem zu sperrig.
So wendet sich Ganteför als nächstes den Visionen der Biologie zu. Können die Dinosaurier wiederz um Leben erweckt werden? Das ist seit Jurassic Park wohl eine der populärsten Fragen an die Biologie. Unglücklicherweise hält sich DNA, wie gut sie auch konserviert ist, nicht länger als etwa eine Million Jahre, was die Dinos unerreichbar macht. Der Wiederbelebung in jüngerer Zeit ausgestorbener Arten sind Wissenschaftler jedoch aufregend nahe gekommen – wie auch der Molekularbiologie Martin Moder in „Treffen sich zwei Moleküle im Labor“ zu berichten weiss.
Eine weitere grosse Frage der Biologie ist jene nach dem Ursprung des Lebens – der heute im Umfeld heisser Quellen am Meeresgrund vermutet wird, wo die ersten Moleküle, die sich selbst reproduzieren können, entstanden sein mögen. Und da man über derartige Moleküle schon ziemlich viel weiss, ist laut Ganteför auch eine „synthetische“ Biologie von Menschenhand designter Lebewesen denkbar.
Die grossen Visionen der Medizin sind bei Ganteför die Fragen nach der Heilbarkeit aller Krankheiten einschliesslich Nervenverletzungen durch Unfälle, nach einem ewigen Leben oder zumindest einem verlangsamten Altern und der Erschaffung von „Supermenschen“. In allen drei Bereichen führt Ganteför das Verstehen von Körperfunktionen im ganz Kleinen (also auf molekularer Ebene) als Voraussetzung für diese grundsätzlich möglichen Errungenschaften an und gewährt spannende Einblicke in Gegenstände heutiger Forschung unter anderem zu personalisierter Medizin, Regeneration von Nervengewebe und zu den möglichen Gründen dafür, dass wir altern.
Von der Regeneration von Nervengewebe geht es im Kapitel „Geist und Bewusstsein“ zu den Möglichkeiten der Direktverbindung zwischen Computer und Gehirn: Kann man Daten von einem Computer ins Gehirn laden – oder umgekehrt den Inhalt eines Gehirns samt Bewusstsein auf einen Computer-Speicher schreiben? Können Computer Gedanken lesen? Oder gar selbst eine künstliche Intelligenz entwickeln? Was hier reichlich nach Fantasy klingt, ist tatsächlich Gegenstand heutiger Forschung, die Ganteför hier vorstellt.
Von den Visionen geht es schliesslich zu den Grenzen des Wissens in der Physik: Zunächst gibt Ganteför eine Übersicht über das heute etablierte, wenn auch nicht ganz problemfreie Standardmodell der Teilchenphysik, aus welchem sich die Fragen nach einer Weltformel, nach der Natur von Raum und Zeit und Teilchen als solchen bis hin zur Bedeutung des erst vor wenigen Jahren experimentell bestätigten Higgs-Feldes ergeben.
Neben den Teilchen gehören auch scheinbar unverrückbare Naturgesetze und -konstanten zu unserer heutigen physikalischen Welt. Warum die Naturgesetze so sind, wie sie sind, was die Werte der Naturgesetze bestimmt und warum in unserem Universum Leben möglich ist, sind heute noch weitgehend offene Fragen.
Auch das Universum selbst wirft noch unbeantwortete Fragen auf. Heute ist die Urknall-Theorie als Entstehungsgeschichte des Universums anerkannt, obwohl sie Fragen offen lässt: Warum gibt es im Universum keine Antimaterie? Expandierte das Universum am Anfang seines Daseins mit Überlichtgeschwindigkeit? Was war vor dem Urknall? Was ist dunkle Materie und woher kommt die dunkle Energie?
Das elfte und letzte Kapitel ist schliesslich eine Zusammenfassung des vorangehenden bunten Reigens von Visionen und offenen Fragen.
Mein Eindruck vom Buch
Gerd Ganteför bietet seinen Lesern einen spannenden und für Laien gut verständlichen Rundgang durch die Themen der Forschung von morgen: Da erwartet uns in Zukunft viel Aufregendes, das sich in Ganteförs überaus klarem und nüchternem Schreibstil sehr angenehm lesen lässt.
So vielfältig die diskutierten Fragen sind, so oberflächlich werden die einzelnen Forschungsgebiete im begrenzten Umfang des Buches auch dargestellt. Das wird besonders in den Kapiteln deutlich, welche Themen behandeln, die mir besonders vertraut sind: Dort sind mir wiederholt kleine inhaltliche Ungenauigkeiten ins Auge gefallen, wie das Aufzählen der Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante ohne zu erwähnen, dass Licht sich nur im Vakuum mit dieser Geschwindigkeit bewegt, oder die Behauptung, man sei heute noch nicht in der Lage, Energie aus Masse zu gewinnen (genau das ist die Grundlage der Energiegewinnung mittels Kernspaltung!).
Solche Ungenauigkeiten zu erwähnen mag als Korinthenkackerei angesehen werden, aber ich vermag nicht einzuschätzen, inwiefern sie auch in den Abschnitten auftauchen, die mir weniger vertraute Themen behandeln und dort womöglich zur Entstehung fehlerhafter Vorstellungen beitragen.
Wer sich für die beschriebenen Themengebiete näher interessiert, findet jedoch in den Literaturlisten am Ende jedes Kapitels reichlich vertiefendes Material zum Weiterlesen. Dabei kommen auch und vor allem die Netz-Nutzer unter den Lesern nicht zu kurz, denn erstaunlich viele Verweise führen zu Wikipedia und andere Wissens-Sammlungen (was in meinen Augen für die zunehmende Qualität der Inhalte solcher Portale spricht).
Darüber hinaus stellt Ganteför die behandelten Visionen und Möglichkeiten auffallend unkritisch dar. So findet man in seinem Buch keine tödlichen Designerviren, feindlichen Alien-Zivilisationen, ethischen Diskussionen über Tierversuche zur Wiederbelebung ausgestorbener Arten oder Nebenwirkungen von „Verbesserungen“ von Menschen.
Das entspricht der Zielsetzung, die der Autor gemäss Einleitung mit seinem Buch verfolgt: Nämlich in einer Zeit, in welcher Wissenschafts- und Fortschritts-Skeptiker vielerorts den Ton angeben, einen positiven Einblick in die Möglichkeiten, die uns die Forschung in Zukunft eröffnen kann, zu gewähren. Und diese Möglichkeiten sind gemäss Ganteför dafür geeignet, die grossen Probleme der Menschheit zu lösen.
Für eine sachliche Diskussion der Möglichkeiten und Anforderungen künftigen wissenschaftlichen Fortschritts an die Gesellschaft liefert das Buch nur eine Seite der Medaille. Wenn man die andere Seite durch den verbreiteten Wissenschafts-Skeptizismus als gegeben annimmt, liefert „Heute Science Fiction, morgen Realität“ ein wohltuendes, wenn nicht gar aufregendes Gegengewicht zu weit verbreitetem Pessimismus und vielfältiger Panikmache.
Eckdaten rund um das Buch
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Textlink (Amazon): Gerd Ganteför: Heute Science Fiction, morgen Realität? – An den Grenzen des Wissens und darüber hinaus (*)
WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 2016
Hardcover, 224 Seiten
ISBN: 978-3-527-33881-8
Fazit
Mit „Heute Science Fiction, morgen Realität?“ bietet Gerd Ganteför auch und gerade absoluten Wissenschafts-Laien einen spannenden und leicht verständlichen Einblick in die Möglichkeiten der Wissenschaft von morgen, welche ebenso vielfältig bunt sind wie das Cover des Buches. Doch dank ebendieser Themenvielfalt bin auch ich als „Wissenschafts-Profi“ bei der Lektüre hier und da ins Staunen gekommen.
Die dargestellten Visionen kritisch zu betrachten und ethische Gesichtspunkte abzuwägen bleibt dabei ganz dem Leser überlassen. Wer gerne unkritisch staunt und sich von spannenden Aussichten verzaubern lässt, wird in diesem Buch eine kurzweilige und letztlich auch ermutigende Lektüre finden.
Und was ist eure liebste Zukunfts-Vision?