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Gips- Ein Einmal-Werkstoff?

Warum kann man Gips nach dem Aushärten nicht einfach in Wasser aufweichen und wiederverwenden? – fragt der neugierige Sohn einer Leserin.

Diese spannende Frage habe ich samt Antwort zur Blogparade „Krasse Alltagsfragen“ auf 100Woerter.de eingereicht.

Die gute Nachricht: Wiederverwenden kann man Gips schon, sogar vollständig und beliebig oft!

Die schlechte Nachricht: Einfach wieder aufweichen funktioniert tatsächlich nicht (und für viele Anwendungen, wie Gipsverbände und -modelle ist das ja eigentlich sehr praktisch).

Aber warum wird Gipsmasse eigentlich hart, und wie kann man sie nun wiederverwenden?

 

Was ist Gips?

Gips ist aus Chemikersicht eine Ionenverbindung, also ein „Salz“ namens Calciumsulfat. Er setzt sich also aus Calcium- (Ca2+-) und Sulfat(SO42--)Ionen zusammen, die sich zu einem regelmässig aufgebauten Kristallgitter anordnen. Das besondere an diesem Ionenkristall ist allerdings, dass zwischen den Ionen auch Wassermoleküle in den Kristall eingebaut sind. Die vollständige chemische Formel für Gips – wie er in der Natur vorkommt – lautet daher

CaSO4 * 2H2O (zu lesen: Calciumsulfat mit 2 Wasser).

Der vollständige chemische Name lautet damit „Calciumsulfat-Diyhdrat“. Die Formel verrät uns: In diesem Kristall findet man für jedes Calcium- bzw. Sulfat-Ion zwei Moleküle Wasser. Das Wasser, welches auf solche Weise in Ionenkristallen steckt, wird auch „Kristallwasser“ genannt.

Gips ist ein sehr häufig vorkommendes Mineral und wird von den Mineralienforschern auch Gipsspat oder Selenit genannt.

Mineral: Gips-Kristalle (Gipsspat, Selenit) aus meiner Mineraliensammlung

Gipskristalle aus meiner Mineraliensammlung

Solche Gipskristalle sind genauso wie ausgehärtete Gips-Modelle oder -verbände in Wasser praktisch unlöslich.

 

Wie macht man daraus den Werkstoff zum „Gipsen“?

Die Wassermoleküle in einem Ionenkristall sind nicht fest in das Gitter eingebaut – sie stecken vielmehr passgenau in den Lücken. So kann das Kristallwasser wie flüssiges Wasser verdampfen, wenn man den Kristall erwärmt: Die Wassermoleküle machen sich in die umgebende Luft davon, sodass der Kristall, CaSO4, ohne Wasser zurückbleibt.

Um Gipspulver zum Handwerken, Modellieren oder zur Versorgung von Knochenbrüchen herzustellen, werden Gipsgestein oder Gipsabfälle von anderen Prozessen in der Chemie-Industrie fein gemahlen und auf ca. 130°C erhitzt. Wenn man den Gips nicht zu lange bei dieser Temperatur „brennt“, verdampfen rund drei Viertel des ursprünglichen Kristallwassers aus dem Gips. Zurück bleiben Kristallgitter der Zusammensetzung

Halbe Wassermoleküle gibt es natürlich nicht! Vielmehr sagt uns die Formel, dass nun nurmehr auf jedes zweite Calcium- bzw. Sulfat-Ion ein Wassermolekül kommt.

Diesen „gebrannten“ Gips, auch Calciumsulfat-Halbhydrat oder Bassanit genannt, kannst du im Baumarkt oder im Bastelbedarf in Pulverform zum Ansetzen kaufen.

 

Warum wird angesetzter Gips hart?

Das gebrannte, wasserarme Gipspulver kann sich das fehlende Kristallwasser aus der Umgebung zurückholen – wenn es in der Umgebung Wasser hat. So ist gebrannter Gips mässig wasserlöslich. Sobald du das Gipspulver in Wasser streust (laut Gipsherstellern ca. 150g Gips in 100ml Wasser), wachsen darin binnen Minuten neue Kristalle, welche die ursprüngliche Menge an Kristallwasser (CaSO4* 2H2O) enthalten:

Diese Kristalle haben die Form langer, feiner Nadeln, die in der Enge des Gipsbreies zunehmend miteinander verfilzen. Dieser Kristallfilz erscheint uns schliesslich als feste, starre Masse: Der Gips „bindet ab“.

Dabei wächst die Gipsmasse ein kleines Bisschen: Ihr Volumen wird um ca. 1% grösser! Ausserdem wird beim Abbinden Energie frei (die Reaktion ist exotherm). Die Natur ist nämlich faul, sodass alle Dinge danach streben, möglichst viel Energie loszuwerden. Und Calciumsulfat mit 2 Wasser ist ein energieärmerer („bequemerer“) Zustand als Calciumsulfat mit 1/2 Wasser. So sorgt die Bequemlichkeit der Natur dafür, dass Gipsmasse ohne dein Zutun „von selbst“ abhärtet. Die Temperatur der Gipsmasse kann dabei anfangs sogar um ein paar Grad, also merklich ansteigen!

Gebrannter Gips kann sich sein Wasser damit überigens auch aus feuchter Luft holen – bewahre Gipspulver daher unbedingt trocken und in luftdicht verschlossenen Behältern auf!

 

Wie lange dauert das Abbinden? Kann man die Abbindezeit steuern?

Heimwerker und Gipshersteller geben für frischen Gips, der ohne Umrühren in sauberen Gefässen angesetzt wird, eine Zeit von bis zu 20 Minuten bis zum Abbinden an.

Das Wachstum von Kristallen kann allerdings erleichtert bzw. beschleunigt werden, indem man ihnen einen „Ansatz“ zum Weiterwachsen bietet. Am einfachsten wachsen bereits vorhandene Gipskristalle weiter. So geben Partikel in altem Gips, die sich bereits Wassermoleküle aus der Luft einverleibt haben, oder alte, bereits ausgehärtete Gipsreste im Gefäss perfekte „Kristallisationskeime“ ab. Doch auch andere Salze aus kleinen Ionen, wie Kochsalz, Natron, Kalk oder andere, basische Sulfate können den nötigen „Anreiz“ zum Anwachsen bieten.

Setze deinen Gips daher unbedingt in einem wirklich sauberen Gefäss an – es sei denn, du möchtest, dass er sehr schnell abbindet. Dann kann ein wenig zugegebenes Salz oder auch schon blosses Umrühren der Gipsmasse gemäss Erfahrungen von Heimwerkern das Härten massgeblich beschleunigen.

Erhitze den Gips allerdings nicht, wenn zu viel Wasser darin sein sollte! Kristalle brauchen nämlich Zeit zum Wachsen. Werden sie, zum Beispiel durch das gezielte Verdampfen des Wassers, gehetzt, werden die Kristalle weniger formschön oder gar gross – und der abgebundene Gips damit weniger beständig.

Grosse bis sehr grosse Moleküle in der Gipsmasse stören den Aufbau der Kristalle: Essig und andere organische Verbindungen bestehen aus solchen mehr oder minder sperrigen, oft verzweigten Molekülen. Zu den ganz Grossen zählt auch Tapetenkleister (der besteht aus Methylzellulose, regelrechten „Spaghetti-Molekülen“  aus tausenden bis zehntausenden Atomen!), den manche Heimwerker zur Verzögerung des Abbindens in Gipsmasse mischen. Es ist nämlich ziemlich mühsam, solche Molekülbrocken in regelmässige Kristalle einzubauen – und das Ergebnis ist dann auch nicht gerade schön. So bindet Gips mit solchen Zusätzen nicht nur langsamer ab, sondern ist nachher meist auch weniger beständig.

 

Wie kann man Gips wiederverwenden?

Das Bisherige zusammengefasst: Gips ist ein Mineral, das in der Natur vorkommt. Das Gipspulver, aus dem man Gipsmasse zum Verarbeiten ansetzen kann, wird daraus hergestellt, indem man durch Erhitzen einen Teil des Kristallwassers aus dem Gips entfernt. Beim Abbinden der Gipsmasse wird dann neues Wasser in die Kristalle eingebaut.

Das bedeutet, dass auch bereits ausgehärteter Gips zerkleinert und erneut gebrannt, d.h. erhitzt und um einen Teil seines Kristallwassers gebracht werden kann. Die dazu nötige Temperatur von 130°C kann theoretisch schon in einem Haushaltsbackofen erreicht werden. Anschliessend kann der Gips neu mit Wasser angesetzt und verarbeitet werden.

Deshalb wird Gips von der Industrie auch als „vollständig recycelbarer Rohstoff“ angepriesen!

Bei all dem sollte man nur achtgeben, den Gips nicht zu lange oder gar zu heiss zu brennen: Spätestens bei 1180°C entsteht nämlich Anhydrit, CaSO4, ein wasserfreier „Gips“-Kristall, der sein Wasser nur langsam bis gar nicht zurücknimmt: Dieser Gips ist „totgebrannt“ – nicht mehr zur Verarbeitung zu gebrauchen.

Ob und wie Gips sich im Hausgebrauch recyceln lässt, habe ich hier ausprobiert als Freitags-Experiment vorgestellt: Es funktioniert!