Die Sommerferien rücken näher und viele von uns ergreift das Fernweh. Dann wandert der Blick zum Himmel und den Flugzeugen hinterher… mitsamt ihrer weissen Kondensstreifen. Im Netz kursieren die wildesten Verschwörungstheorien, die die wolkig-weissen Bänder zu „Chemtrails“ aufbauschen. Meist sind es Regierungen, Militärs oder Industrien, die Verkehrsflugzeuge „missbrauchen“ sollen, um – aus welchem Grund auch immer – vorsätzlich Chemikalien in der Luft und damit über uns ausbringen würden.
Mein Leser Rene ist da zu Recht skeptisch. Und fragt, wie Kondensstreifen tatsächlich entstehen.
Wer sich jetzt fragt, ob es sich dabei tatsächlich um „Chemtrails“ handeln könnte, dem sei gesagt: Jain!
Was kommt aus Flugzeugturbinen heraus?
Alle grösseren Flugzeuge fliegen heute mit Kerosin. Oder besser Kerosinen. Denn „Kerosine“ bezeichnet eine ganze Gruppe von Stoffgemischen aus Kohlenwasserstoffen mit meist 8 bis 13 Kohlenstoffatomen. Diese Moleküle sind also nur wenig grösser (und damit schwerer) als die des Benzins für Autos.
Wie letzteres wird auch Kerosin aus Erdöl gewonnen. So bleibt es nicht aus, dass im Kerosin neben den „einfachen“ Kohlenwasserstoffen auch sogenannte „aromatische“ Kohlenwasserstoffe wie Benzol enthalten sind. Dazu kommen weitere organische Stoffe – sogenannte Additive – die besondere Eigenschaften haben. Zum Beispiel eine antioxidative – also reduzierende – Wirkung, die den Flugzeugmotor vor Korrosion schützen soll.
Verbrennung von Kohlenwasserstoffen
Eines haben all diese Stoffe jedoch gemeinsam: Sie sind allesamt organische Verbindungen, bestehen also vornehmlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Und damit verbrennen sie im Flugzeugmotor auf die gleiche Weise:
Die Gleichung beschreibt die vollständige Verbrennung von organischen Verbindungen am Beispiel von Octan: Dabei entstehen stets Kohlenstoffdioxid und Wasserdampf.
Weitere Verbrennungsprodukte
Manche Kerosinbestandteile enthalten zusätzlich Schwefelatome (trotz Entschwefelung bleiben immer ein paar übrig). Aus solchen Molekülen entsteht bei der Verbrennung das Gas Schwefeldioxid (SO2) – das mit Wasser zu schwefliger Säure (H2SO3) weiterreagieren kann.
Mit mehr Sauerstoff kann es ausserdem zu Schwefeltrioxid (SO3) weiterreagieren, aus welchem wiederum mit Wasser Schwefelsäure entstehen kann.
Zudem werden nicht alle Moleküle vollständig verbrannt, sodass immer ein paar Kohlenwasserstoff-Trümmer zurückbleiben. Diese Trümmer kennen wir von Kerzenflammen als Russ – und im Abgas von Verbrennungsmotoren als „Feinstaub“.
Alles in allem entstehen in Flugzeugmotoren Abgase, die mit denen von Automotoren vergleichbar sind. Einschliesslich der durch die Verbrennung von Luftstickstoff entstehenden Stickstoffoxide NOx, die hier aber keine Rolle spielen.
Was passiert mit den Abgasen?
Kohlenstoffdioxid ist ein Gas mit Sublimationspunkt (hier wird festes CO2 direkt zu CO2-Gas) bei -78°C bei Atmosphärendruck. Bei niedrigerem Druck in grosser Höhe liegt er noch niedriger. Wasser ist bei über 100°C (Atmosphärendruck) ein Gas, zwischen 0°C und 100°C flüssig und bei unter 0°C fest. Auch der Siedepunkt von Wasser liegt bei geringerem Druck deutlich niedriger, aber nicht entscheidend niedrig.
Auf der Reiseflughöhe von Verkehrsflugzeugen, also etwa 8000 bis 11000 Meter über dem Meer, ist es -40°C bis -60°C kalt. Das könnt ihr während eures nächsten Fluges selbst an eurem Sitz-Bildschirm ablesen.
Das CO2 bleibt auch bei solch niedrigem Druck und niedriger Temperatur ein Gas und verliert sich in der Atmosphäre. Der Wasserdampf kondensiert dagegen schnell und gefriert anschliessend zu Eiskristallen. Oder er resublimiert direkt vom Gas zu Eis. Auf diese Weise entstehen in der Natur Wolken!
Für einen Eiskristall braucht es jedoch immer einen Anfang, der den Mittelpunkt bildet (wenn es im Winter schneit, könnt ihr euch diese filigranen Gebilde unter dem Mikroskop anschauen). Einen solchen „Anfang“ nennen Chemiker „Kristallisationskeim“. Und hier kommen die Schwefeloxide und die Feinstaubpartikel aus dem Flugzeugabgas ins Spiel. Die geben nämlich wunderbare Kristallisationskeime ab.
So kristallisiert an ihnen nicht nur das Wasser aus dem Abgas (das reicht für die Kondensstreifen nicht aus), sondern vor allem die Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft! Wenn es denn welche hat. In grosser Höhe ist das oft der Fall: Hier sind Luftfeuchtigkeiten bis 200% möglich!
Kondensstreifen sind Wolken
Kondensstreifen sind also „Wolken“ aus natürlicher Luftfeuchtigkeit, die von ganz normalen Flugzeugabgasen angeregt entstehen!
Je nach Wetterlage in Reiseflughöhe entstehen diese Wolken entweder gar nicht (es ist zu trocken), sie verschwinden binnen Sekunden/Minuten wieder (es ist nur wenig feucht), oder sie bleiben stundenlang am Himmel sichtbar, wobei sie immer weiter zerfasern und breiter werden (wenn es reichlich feucht ist).
Dann bekommen sie von den Wetterforschern sogar einen eigenen Namen: „Homomutatus“ – lateinisch in etwa für „menschengemachte Veränderung“. Zudem werden sie in die Gruppe der als Schlechtwetterwolken bekannten „Cirrus-„, also Federwolken eingeordnet.
Kondensstreifen als Wetter-Vorboten
Wie die bleibende Kondensstreifen bzw. Homomutatus-Wolken entstehen auch die natürlichen Cirrus-Wolken, wenn es in grosser Höhe feucht und kalt ist. Und das kommt vor, wenn das Wetter umschlägt. So können Homomutatus-Wolken ebenso wie ihre natürlichen Vettern Anzeichen für ein aufziehendes Tiefdruckgebiet, also schlechtes Wetter sein.
Manche Menschen – besonders solche, die schon ein paar mehr Jahre gelebt haben – fragen sich, warum es heute mehr Homomutatus-Wolken zu geben scheint als früher. Die Beobachtung ist sicherlich nicht falsch. Denn es gibt nicht nur mehr Flugzeuge als früher, sondern dank des Klimawandels auch weniger stabiles Wetter und damit mehr aufziehende Tiefs. So ergeben sich mehr Gelegenheiten für die Entstehung bleibender Kondensstreifen. So kann der Himmel in luftverkehrsreichen Gebieten an solchen Tagen schon einmal regelrecht gemustert aussehen:
Können Kondensstreifen das Klima beeinflussen?
Wenn sie als Homomutatus länger am Himmel bleiben ja. Denn wie natürliche Cirrus-Wolken reflektieren sie einen Teil der Sonneneinstrahlung zurück ins All (Albedo-Effekt), sodass es darunter kühler wird. Dafür reflektieren sie ebenso einen Teil der Wärmestrahlung vom Erdboden zurück (Treibhauseffekt), sodass es unter ihnen wärmer wird. Wenn diese beiden Effekte sich nicht aufheben, tragen Kondensstreifen/Homomutatus zur Klimaveränderung bei, die im Zweifelsfall wiederum mehr Kondensstreifen verursacht. Ein Teufelskreis!
Also keine Chemtrails durch geheime operationen?
Wenn man „Chemtrails“ als Spuren von Flugzeugen ausgebrachter Chemikalien definiert, sind Kondensstreifen tatsächlich Chemtrails. Ihre Entstehung liegt allerdings in der Natur eines jeden Verbrennungsmotors: Sie bilden sich durch ganz normale Abgase.
In manchen Situationen werden dennoch besondere Stoffe von Flugzeugen ausgestossen.
Stealth-Technologie
Tatsächlich gibt es Flugzeuge, die zusätzliche Stoffe durch ihre Turbinen gejagt haben sollen. Die dienten aber dazu, die Entstehung von Kondensstreifen zu vermeiden! Zum Beispiel beim B2-Tarnkappenbomber des amerikanischen Militärs.
Es wäre ja auch schön blöd, ein (vor Radarortung) getarntes Flugzeug zu fliegen und anhand des Kondensstreifens am Himmel ganz einfach zu entdecken zu sein. Prof. Blume vermutet, diese Additive könnten Fluorschwefelsäure, perfluorierte Tenside (PFT) wie zum Beispiel die Perfluoroalkylsulfonsäure bzw. -sulfonate sein. Liest sich mit Chemikeraugen alles nicht besonders einladend. Welche Stoffe genau verwendet werden bzw. wurden und wie sie funktionieren ist jedoch – ganz militärisch – streng geheim.
Flugshow mit bunten Himmelsschreibern
Zu Grossanlässen wie Formel-1-Rennen sieht man jedoch manchmal Flugzeuge, die zum Beispiel die Landesflagge des Veranstaltungsortes an den Himmel malen. Dazu produzieren sie sogar ganz bewusst „Chemtrails“: Sie zerstäuben nämlich Paraffinöl (flüssiges Wachs!), ggfs. mit Farbstoffen, das nach der Himmelsshow zu Boden sinkt. Parkiert also nicht euer Auto in der Nähe solcher Flugstrecken – sonst könnt ihr nachher zusehen, wie ihr den Wachs- oder Ölfilm darauf wieder loswerdet!
Fazit
Die Verschwörungstheoretiker unter euch muss ich leider enttäuschen: Kondensstreifen sind natüriches Wasser, das von ganz normalen Flugzeugabgasen zur Wolkenbildung animiert worden ist. Dafür, etwas anderes anzunehmen, gibt es keinen Anlass.
Dass diese Wolken sowohl vom Klimawandel künden als auch diesen fördern mögen, ist dagegen nicht von der Hand zu weisen. Ebenso wie ganz normale Abgase dem Klimaschutz nicht zuträglich sind.
Wenn das Militär tatsächlich einmal zusätzliche Chemikalien mit Flugzeugen „ausbringt“, dann entweder, um die Entstehung von Kondensstreifen zu vermeiden, oder um uns eine bunte Show zu bieten.
Die Umwelt freut sicher keine der genannten Aktionen (mit Verbrennungsmotor fliegen, mit Additiven gegen Kondensstreifen fliegen, bei Flugshows Paraffinöl versprühen) – aber eine Verschwörung ist als Erklärung dafür nicht nötig!
Und was haltet ihr von Kondensstreifen am Himmel?