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Ein Bergarbeiterdorf unweit des Bartlett Mountain, Bundesstaat Colorado, USA, 1916. Missmutig blinzelt John Doe in die bereits hoch am Himmel stehende Sonne. Eigentlich sollten er und seine Kumpel längst unter Tage sein, Erz schürfen und Geld verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Doch in der Mine läuft längst nichts mehr, wie es sollte. Nicht nur, dass das Zeug, das sie aus dem Berg holen, niemand haben will – inzwischen wagen die Kumpel kaum noch, ihre Frauen und Kinder allein über Tage zurück zu lassen. Zu gross ist die Angst, dass die Schlägertrupps wieder auftauchen und das traute Heim in einen Scherbenhaufen verwandeln – oder gar schlimmeres tun.

Und das alles wegen… es klingt wie ein Fluch, wenn John Doe den Namen des verwünschten Metalls, das ihm statt einem Lebensunterhalt die Hölle auf Erden beschert, über die Lippen bringt: Molybdenum – „Molly be damned!“

Molybdän ist eigentlich ein überaus nützliches Metall. Und eigentlich spricht man es im Englischen „Moh-lib-dieh-num“ und nicht „Mollyb-dennum“ bzw. „Molly be damned“ aus. Den Minenarbeitern in Colorado war das allerdings einerlei. Sie wünschten sich vielmehr, dass man dieses Metall im Bartlett Mountain nie gefunden hätte. Denn sie mochten sich nicht vorstellen, warum ein Metall, das bislang keiner haben wollte, plötzlich solche Begehrlichkeiten weckte, dass es ihnen den Geschmack des Weltkriegs bis vor die Haustür brachte.

Dabei war der Auslöser des Konflikts um „Molly be damned“ gar nicht mal so neu, wie viele dachten.

 

Molybdän- ein nützliches Metall

Schon im 14. Jahrhundert entdeckte ein japanischer Meisterschmied, dass die Zugabe von Molybdän zu seinem Rohmaterial einen Stahl hervorbringt, aus dem sich Samurai-Schwerter fertigen liessen, die über die Massen hart waren und nicht rosteten. Jener Schmied hütete das Geheimnis seines „Super-Stahls“ jedoch so akribisch, dass er es schliesslich für über 500 Jahre mit ins Grab nahm.

Erst nach der Wiederentdeckung seiner nützlichen Eigenschaften Anfang des 20. Jahrhunderts härtet Molybdän nicht nur Stähle, sondern wird dank seiner überaus hohen Schmelztemperatur auch in stromführenden Drähten und Folien in Halogenlampen verwendet. Damit steht es dem klassischen Material für Glühdrähte, dem noch höher schmelzenden Wolfram (im Periodensystem direkt unter Molybdän anzutreffen!) in wenig nach.

Heute weiss man zudem, dass Molybdän als Spurenelement für nahezu alle Lebewesen unverzichtbar ist: Seine Ionen sind Bestandteil verschiedener Enzyme, die dafür geschaffen sind, auf einfache Weise Elektronen von einem Molekül auf ein anderes zu übertragen und so in lebenden Wesen Redox-Reaktionen zu ermöglichen. Diese sind zum Beispiel nötig, damit Pflanzen den Stickstoff in der Luft in nützlichere Verbindungen wie Ammoniak und Nitrate umwandeln können (Mehr zum Stickstoff-Kreislauf könnt ihr in der Geschichte zu den Stoffkreisläufen im Glas nachlesen) .

 

Eine Mine, die die Welt (noch) nicht braucht

Von all dem wusste man allerdings noch nichts, als vor dem ersten Weltkrieg ein Einheimischer am Bartlett Mountain Erz entdeckte und in der Hoffnung auf verkäufliches Blei oder Zinn einen Claim absteckte. Zu seinem Unglück entpuppte sich „sein“ Metallvorkommen jedoch als damals fast nutzloses Molybdän, das abzubauen seinerzeit mehr kostete als der Verkauf des Erzes einbrachte. So zögerte der erste Eigner des Claims nicht lange, als sich ihm die Gelegenheit bot, seine Schürfstätte an den Unternehmer Otis King aus Nebraska zu verkaufen, der mit einer neuartigen Schürftechnologie aufwarten und das Molybdän damit gewinnbringend verkaufen konnte.

In aller Begeisterung für die neue Technik und den erfolgreichen Abbau an der, wie sich zeigen sollte, grössten Molybdän-Fundstätte der Welt, übersah King jedoch eine entscheidende Kleinigkeit: Haben wollte das Metall nach wie vor kaum jemand. Und ehe er sich versah, hatte der stolze Minenbesitzer fast 3 Tonnen Molybdän auf den Markt gebracht – um dann festzustellen, dass die Welt im Jahr nur 2 davon brauchte. So drohte Kings Geschäftsidee zunächst an fehlender Nachfrage zu scheitern. Da seine Schürftechnik als solche jedoch funktionierte, war diese Neuheit am Bartlett Mountain der US-Regierung 1915 zumindest eine Erwähnung im amtlichen Bergbau-Fachblatt wert.

 

Ein Krieg am anderen Ende der Welt

Indessen tobte im fernen Europa der erste Weltkrieg, in welchem sich unter anderem die westlichen Alliierten (damals noch ohne amerikanische Beteiligung) erbitterte Schlachten mit dem deutschen Kaiserreich lieferten. Zu den am meisten gefürchteten Waffen der Deutschen zählte dabei die „dicke Berta“, eine gewaltige, 43 Tonnen schwere Belagerungskanone, die eine Granate von einer Tonne Gewicht binnen Sekunden über eine Distanz von rund 15 Kilometern schoss.

Die enormen Ausmasse dieser Kanonenrohre und das gewaltige Gewicht ihrer Munition bargen allerdings ein ebenso gewaltiges Problem: Um derart grosse Massen schnell in Bewegung zu setzen, braucht es Unmengen Energie – die in einer Kanone stets in Begleitung einer grossen Menge Wärme frei wird. So war es unvermeidlich, dass die rund sieben Meter langen Kanonenrohre der „dicken Berta“ schnell weich wurden – selbst bei nur wenigen Schüssen in einer Stunde –  und sich schon nach einigen Tagen des Bombardements unwiederruflich verzogen.

Und dieser Umstand machte den Nutzen einer Riesenkanone, deren Montage am Einsatzort 6 Stunden Arbeit von 200 Mann erforderte und innerhalb kürzester Zeit unbrauchbar wurde, mehr als fraglich.

 

Das Geheimnis des Superstahls wird gelüftet

Allerdings hatten die Schöpfer der „dicken Berta“ beim Deutschen Stahlriesen Krupp bald eine Lösung für dieses Problem vor Augen. Denn sie hatten das Geheimnis des „Super-Stahls“ wiederentdeckt, welches der japanische Meisterschmied einst mit ins Grab genommen hatte: Molybdän. Als Beigabe zum Stahl erhöht das Metall, dessen Schmelzpunkt rund 1100°C über dem von Eisen – dem Hauptbestandteil von Stahl – liegt, dessen Temperaturbeständigkeit und Härte ungemein.

Das lässt sich damit erklären, dass Molybdän-Atome grösser sind als die des Eisens, sodass mehr Energie nötig ist, um sie zur Schwingung anzuregen, und dass sie mehr Elektronen besitzen als Eisen-Atome, sodass die Molybdän-Atome nicht nur unbeschadet mehr Wärme absorbieren, sondern auch wie durch zahlreichere Verstrebungen fester miteinander verbunden werden können. Eingebettet zwischen Eisen-Atomen im Stahl bewirken die fest „verstrebten“ Molybdän-Atome überdies, dass sich die Atome des Stahls weniger leicht gegeneinander bewegen lassen, sodass sich das Metall auch bei starken Temperaturänderungen, die solche Verschiebungen bewirken können, weder verzieht noch spröde wird.

So sollte molybdänhaltiger Stahl der „dicken Berta“ Rückgrat verleihen – wenn man es denn auftreiben konnte. Denn die deutsche „Metallgesellschaft“, ein wahrer Bergbau-Gigant mit Sitz in Frankfurt am Main, betrieb zwar Minen, Hütten und Zweigstellen rund um den Globus, aber eine Molybdän-Fundstätte war nicht darunter. Dafür las man in der Zweigniederlassung „American Metal“ in New York das amtliche Mitteilungsblatt der US-Regierung und stiess so auf die weltweit einzige Fundstelle für Molybdän – am Bartlett Mountain, wo Otis King auf seiner praktisch bankrotten Mine sass.

 

Die Schlacht am Bartlett Mountain

Das deutsche Militär war im festgefahrenen Krieg auf jeden Vorteil dringend angewiesen, sodass das „Wundermetall“ zur Härtung der dicken Berta auf schnellstem Wege die weite Reise über den Atlantik antreten sollte. So entsandte die Metallgesellschaft ihren besten Agenten in Colorado, Max Schott, dem ein „geradezu hypnotisch durchdringender Blick“ nachgesagt wurde, um King zur Aufgabe seiner Mine zu drängen.

Als dieser jedoch zögerte seinen Besitz abzutreten – weil er den Grund für das Interesse der Deutschen an „seinem“ Molybdän ahnte, welcher noch niemandem sonst in den Sinn kam -, sandte Schott seine Schergen, um Druck zu machen. Diese Schlägertrupps bedrängten King, seine Arbeiter und deren Familien, zerstörten mitten im bitterkalten Winter deren Unterkünfte – sie taten alles bis an die Grenze zu vorsätzlichem Mord, um die Arbeit in der angeschlagenen Mine zu behindern. Während die Minenarbeiter das Metall, das sie kaum mehr zu schürfen wagten, als „Molly be damned“ verfluchten, drängten die Schläger King selbst im Zuge eines Überfalls über eine Klippe am Berg in einen Abgrund – wo eine Schneewehe ihm das Leben rettete und so die Gelegenheit gab, die umkämpfte Mine schliesslich für lausige 40’000 Dollar an Schott zu verkaufen.

Der Rest der Welt bekam indes von all dem nichts mit. Erst als die Briten 1916 deutsche Waffen eroberten und analysierten, stiessen sie auf das „Wundermetall“ Molybdän im Stahl. Doch selbst nach dem Kriegseintritt der USA 1917 sollte noch ein Jahreswechsel vergehen, bis man American Metal unangenehme Fragen zu stellen begann. Dort wiederum gab man an, die Mine am Bartlett Mountain rechtmässig von King erworben zu haben. Als die US-Regierung schliesslich die Geldmittel der Gesellschaft einfror und die Kontrolle über die Mine übernahm, beschossen „dicke Bertas“ aus molybdän-veredeltem Stahl bereits Paris – aus einer Distanz von rund 120 Kilometern!

 

Und am Ende siegt die Gerechtigkeit?

Nach dem Waffenstillstand zum Kriegsende ging das Unternehmen von Max Schott schliesslich bankrott, als der Molybdän-Preis erneut verfiel. Otis King kehrte in „seine“ Mine zurück – und dieses Mal sicherte er sich seinen Markt, indem er Henry Ford überzeugte, sein „Wundermetall“ in Auto-Motoren zu verbauen. Und so, wie Autos zu einem Renner wurden, wurde King zum Millionär.

Bis zum zweiten Weltkrieg sollte das ihm verwandte Wolfram – in allen Belangen noch leistungsfähiger als sein „kleiner Bruder“ – dem Molybdän den Rang ablaufen, sodass die bewegte Geschichte des verfluchten Wundermetalls weitgehend in Vergessenheit geriet.

Gefunden habe ich sie schliesslich in englischsprachigen Quellen: auf dem Blog „Speak it out“ von Delson Roche und im Buch „The Disappearing Spoon…and other true tales from the Periodic Table“ (*) von Sam Kean.

Die Molybdän-Mine am Bartlett Mountain gibt es jedoch noch heute. Wiedereröffnet als Tagebau gehört sie zur Climax Molybdenum Company und sorgt nicht nur für harten Stahl, sondern auch für (Halogen-)Licht in dunklen Stunden.

 

Und ist euch Molybdän schon einmal begegnet?