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DIY Taschenwärmer mit Natriumacetat

Aus gegebenem Anlass habe ich auch an diesem Montag ein Experiment für euch: Denn es ist arktisch kalt draussen. Da kommen euch Taschenwärmer mit Sicherheit sehr gelegen. Und die könnt ihr aus ganz einfachen Zutaten aus dem Haushalt selbst machen – und euch mit einem ganz ungefährlichen Chemie-Trick warm halten! Und so macht ihr euch eure eigenen DIY – Taschenwärmer :

Ihr braucht dazu

  • Soda (Natriumcarbonat, zum Beispiel Waschsoda oder Backpulver)
  • Haushaltsessig (bzw. Essigessenz)
  • Einen wasserdichten Plastikbeutel (zum Beispiel einen „Ziplock“-Beutel)
  • Die Aluminiumhülse eines Teelichts
  • Ein Gefäss mit hohem Rand
  • Kochtopf, Herd, Backofen, Rührstab
  • Ein ganz sauberes Glasgefäss
  • Evtl. Trichter und Filterpapier (z.B. einen Kaffeefilter)
  • eine Schutzbrille (das ist sicherer, damit nichts in eure Augen spritzt)

 

Das braucht ihr für einen DIY Taschenwärmer

Wie ihr einen Taschenwärmer herstellt

Zuerst müsst ihr Natriumacetat herstellen

Das ist das spezielle Salz, das ihr später in den Taschenwärmer füllt. Ihr könnt es auch in der Apotheke oder Drogerie kaufen – dann könnt ihr diesen Abschnitt überspringen. Aber das wäre dann ja nur ein halbes DIY.

Gebt für einen kleinen Handwärmer etwa 250 ml Haushaltsessig (das sind ca. 10% Essigsäure gelöst in Wasser) in das Gefäss mit dem hohen Rand.

Essig und Soda für den Handwärmer

Essig und Soda: Wenn ihr sie abmessen möchtet, helfen Messbecher und Waage. Diesen Messbecher benutze ich übrigens nur fürs Experimentieren! Für die Küche habe ich einen eigenen – das ist sicherer.

Gebt langsam(!) etwa 25 g Soda dazu. Das Gemisch wird stark aufschäumen! Wenn ihr die Soda langsam hinzugebt, schäumt es nicht über. Wenn sich die Soda vollständig unter Schäumen gelöst hat, gebt langsam noch etwas mehr dazu, bis das Aufschäumen nachlässt (Ihr könnt die passende Menge auch genau ausrechnen, wie ich es beim Start meiner Essig-Carbonat-Rakete gezeigt habe). Rührt dabei immer gut um!

Wenn ihr ganz sicher gehen wollt, könnt ihr den pH-Wert der Mischung mit einem pH-Streifen überprüfen: Essig ist eine Säure, die einen Universalindikatorstreifen rot färbt (pH < 7). Wenn die Säure durch die Soda neutralisiert ist, färbt sich der Streifen grün (pH = 7). Dann ist euer Mischungsverhältnis genau richtig. Wenn ihr zu viel Soda – eine Base – hinzu gebt, wird der Streifen blau (pH > 7). Falls das passiert, gebt einfach noch ein paar Tropfen Essig dazu, bis der pH-Wert stimmt.

Ihr habt nun eine Lösung des Salzes Natriumacetat in Wasser. Gebt diese in ein Gefäss, das ihr erhitzen könnt, und lasst das Wasser auf dem Herd einkochen. In meinem relativ grossen Kochtopf ist die Flüssigkeit breit auf der Herdplatte verteilt – so verdampft sie schneller als in einem engen Gefäss.

Natriumacetat-Lösung auf dem Herd

Den ausrangierten Kochtopf benutze ich zum Kochen nicht mehr. Zum Experimentieren taugt er aber noch: Es bilden sich bereits Dampfbläschen in der Lösung.

Der zurückbleibende weisse Feststoff darf nicht heisser als 324°C werden – ab dieser Temperatur zerfällt das Natriumacetat! Passt daher gut auf und nehmt den Topf von der Platte, sobald kein Wasser mehr sichtbar ist (wenn ihr meinen Beitrag über Schmelz- bzw. Verdampfungswärme gelesen habt, wisst ihr, dass siedendes Wasser nicht heisser als 100°C werden kann).

Natriumacetat nach dem Abdampfen

Das Wasser ist verdampft – jetzt kratze ich das feuchte Salz aus dem Topf.

Stellt das noch feuchte Natriumacetat anschliessend ca. 45 Minuten bei 150°C in den Backofen, um es ganz zu trocknen.

Natriumacetat im Ofen

Umgefüllt in ein handliches Gefäss (nicht zwingend nötig) kann das Natriumacetat nun trocknen.

 

Bereitet jetzt die Füllung für den Taschenwärmer vor

Während das Natriumacetat trocknet, schneidet ihr ein handliches Plättchen aus dem Boden der Aluminium – Teelichthülse. Das Metall ist so dünn, dass es sich problemlos mit einer Küchenschere schneiden lässt. Legt den Plastikbeutel und das Plättchen bereit. Bringt schliesslich noch etwas Wasser zum Kochen.

Das mittlere Teil kommt in den Taschenwärmer.

Das mittlere Teil kommt in den Taschenwärmer.

Stellt das Natriumacetat auf der Herdplatte bereit (ich habe es der Handlichkeit wegen vor dem Trocknen und jetzt noch einmal umgefüllt – das ist aber nicht zwingend nötig). Gebt ein wenig kochendes Wasser dazu (je 1 ml Wasser auf 9 g Natriumacetat!) und schaltet sofort die Herdplatte ein, sodass das Gemisch weiterhin beinahe kocht. Wenn ihr gut umrührt, löst sich das Salz vollständig im heissen Wasser. Falls nicht, gebt tropfenweise mehr Wasser hinzu.

Natriumacetat löst sich in heissem Wasser.

Links: Hier muss ich noch etwas rühren. Rechts: Das Salz hat sich vollständig aufgelöst. Jetzt noch schnell filtrieren, dann ist die Füllung für den Taschenwärmer fertig!

Jetzt wird es ein wenig kniffelig: Wärmt euren Trichter am besten vor, indem ihr ihn unter fliessendes heisses Wasser haltet (verbrüht euch eure Finger aber nicht!). Legt das Filterpapier ein und filtriert die heisse Lösung schnell in das sehr saubere Gefäss. Ich habe das saubere Gefäss dazu auf die noch heisse Herdplatte gestellt, denn die Lösung darf bei diesem Schritt nicht abkühlen!

Ihr habt nun eine heisse, klare Natriumacetat-Lösung, die keinerlei sichtbaren Partikel mehr enthält. Bewegt diese Lösung möglichst nicht mehr und lasst sie an der Raumluft abkühlen. Dabei sollte die Flüssigkeit klar und – natürlich – flüssig bleiben. Falls beim Abkühlen Kristalle entstehen, erwärmt den Behälter noch einmal auf der Herdplatte, bis die Kristalle verschwunden sind und lasst ihn wieder abkühlen.

Jetzt könnt ihr euren Taschenwärmer füllen und benutzen

Giesst die abgekühlte Natriumacetat-Lösung vorsichtig in den Plastikbeutel. Fügt das ausgeschnittene Aluminium-Plättchen hinzu und verschliesst den Beutel fest.

Wenn euch kalt ist, knickt das Plättchen (es muss dabei in der Flüssigkeit liegen), bis der Inhalt des Beutels fest zu werden beginnt. Ihr werdet merken: Sobald das Natriumacetat fest wird, wird es ziemlich warm!

Handwärmer in Aktion

Zugegeben: Mein Ziplock-Beutel ist etwas zu gross für das Bisschen Natriumacetat. Aber das macht nichts: Warm wird es trotzdem – das Thermometer beweist es!

Haltet den Beutel in den Händen oder steckt ihn in eine Tasche und geniesst die Wärme!

Ihr könnt diesen Taschenwärmer ausserdem beliebig wiederverwenden:

Legt den Beutel mitsamt Inhalt in kochendes Wasser und die Natriumacetat-Kristalle werden sich wieder auflösen. Lasst den Beutel langsam abkühlen. Wenn euch wieder kalt ist, knickt das Metallplättchen erneut, sodass wiederum Kristalle entstehen und dabei Wärme freisetzen!

Was passiert da?

…Bei der Herstellung von Natriumacetat

Der Taschenwärmer-Trick funktioniert mit einem ganz besonderen Salz, das ihr aus Essigsäure (CH3COOH) und Natriumcarbonat (Na2CO3, Soda) herstellen könnt. Essig ist eine Säure, Natriumcarbonat hingegen eine Base. Beide reagieren miteinander, indem sie sich neutralisieren. Das heisst, aus einer relativ starken Säure und Base entstehen sehr viel schwächer saure und basische Stoffe:

Kohlensäure (H2CO3) ist nicht nur eine sehr schwache Säure, sondern zerfällt zudem leicht in Kohlenstoffdioxid und Wasser:

Das Gas Kohlenstoffdioxid steigt aus der Lösung auf (Deswegen schäumt das Ganze so. Ausserdem ist dieses Gas ein prima Treibstoff für viele andere spektakuläre Experimente!). So erhaltet ihr eine Lösung, die ausschliesslich Natrium (Na+)- und Acetat (CH3COO)-Ionen enthält. Wenn ihr nun das Wasser einkocht und trocknet, bleibt das feste Salz Natriumacetat übrig:

Warum Natriumacetat „auf Kommando“ fest wird

In warmem Wasser löst sich mehr von einem Stoff als in kaltem Wasser. Das gilt auch für Natriumacetat. Deswegen macht ihr das Wasser so heiss wie möglich, um möglichst viel Natriumacetat in sehr wenig Wasser aufzulösen.

Wenn solch eine heisse Lösung abkühlt, „vergisst“ das Natriumacetat leicht, dass es fest werden sollte. So bleibt auch in kaltem Wasser mehr gelöst, als „erlaubt“ ist. Die Chemiker nennen so etwas eine übersättigte Lösung. Und diese spezielle übersättigte Lösung kann man auch als unterkühlte Schmelze ansehen – denn wenn ihr euren Taschenwärmer genau anseht, nachdem er seine Wärme angegeben hat, werdet ihr feststellen, dass von dem Wasser darin nicht mehr viel zu sehen ist: Nahezu der ganze Inhalt ist zu Kristallen erstarrt!

Ob übersättigte Natriumacetat-Lösung  oder unterkühlte Natriumacetat-Schmelze: Das Ganz ist sehr empfindlich. Ein „Tritt in den Hintern“ durch das Knicken des Plättchens oder in der Lösung herumwirbelnde Schwebstoffe oder ein winzigkleiner Natriumacetat-Kristall genügen, um das Salz daran „zu erinnern“, dass es fest zu werden hat. Deshalb muss das Gefäss, indem die Natriumacetat-Lösung abkühlt, so vollkommen sauber sein.

Ansonsten – oder wenn ihr den Prozess durch das Knicken des Metallplättchens gezielt auslöst – geschieht folgendes:

Das heisst, das Wasser, das euch anfangs als Lösungsmittel gedient hat, wird grösstenteils in die Natriumacetat-Kristalle eingebaut. Die Kristalle enthalten also Kristallwasser! Der Stoff rechts vom Reaktionspfeil heisst deshalb korrekterweise „Natriumacetat-Trihydrat“.

Und nun der Trick: Woher die Wärme kommt

Der Umstand, dass es sich bei der Natriumacetat-Lösung in eurem Taschenwärmer eigentlich um eine Schmelze handelt, macht den Trick mit der Wärme möglich: Wie ihr auch an Wasser überprüfen könnt, wird zum Schmelzen Energie – die sogenannte Schmelzwärme – benötigt, die anschliessend der Schmelze innewohnt.

Das gilt auch für eine Natriumacetat-Schmelze, die auf Umwegen, nämlich durch das Auflösen von Natriumacetat in wenig Wasser, entsteht: Die Wärme wird dabei aus der Herdplatte bzw. dem kochenden Wasser in der Lösung „entnommen“ und in der Schmelze gespeichert (d.h. ohne Herdplatte würde das Wasser durch das Auflösen des Natriumacetats abkühlen!). Das heisst, diese Energie verbleibt in der Schmelze auch dann verborgen, wenn sie abkühlt. Erst wenn die unterkühlte Schmelze wieder „auf Kommando“ fest wird, wird diese Energie wieder abgegeben – und eure Hände werden warm!

Ich wünsche euch damit einen warmen Start in die kälteste Woche dieses Winters! Und verratet uns doch: Was tut ihr, um euch warm zu halten?

Hast du das Experiment nachgemacht:

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Wenn etwas nicht oder nur teilweise funktioniert haben sollte, schreibt es in die Kommentare. Ich helfe gerne bei der Fehlersuche!

Verpflegung auf dem Schulhof: Eine Allegorie auf die Reaktionsgeschwindigkeit

Was ist die Reaktionsgeschwindigkeit? Wie kann eine Reaktion schnell oder langsam sein? Wie kann man die Geschwindigkeit einer Reaktion gezielt beeinflussen?

Bei einer chemischen Reaktion werden Ausgangsstoffe in neue Stoffe umgewandelt (mehr dazu auf unserer Grillparty). Je nachdem, ob dies schnell oder langsam geschieht, können die Auswirkungen auf die Umgebung der Stoffe grundverschieden sein. So ist die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion für zahllose Vorgänge im Alltag von grösster Bedeutung.

Selbst in auf den ersten Blick ganz unwissenschaftlichem Umfeld können wir Grundlegendes über die Reaktionsgeschwindigkeit lernen. So hat sich vor einigen Jahren an einem deutschen Gymnasium angeblich folgendes zugetragen:

 

Eine chemische Reaktion in der grossen Pause

An jenem Gymnasium gibt es nach der halben Unterrichtszeit des Tages eine grosse Pause. 1035 Schüler haben dann nach den ersten Lektionen allesamt grossen Hunger. Deshalb hat das Hausmeister-Ehepaar im Foyer des Schulhauses einen Sandwich-Verkauf eingerichtet. So kann sich jeder hungrige Schüler mit einem leckeren belegten Pausenbrot verpflegen. Theoretisch jedenfalls. Denn es zeigte sich, dass die gerade mal 20 Minuten dauernde grosse Pause bei Weitem nicht ausreichen, um an alle hungrigen Schüler Sandwiches auszugeben. Tagtäglich gibt es Gedränge am Ausgabetisch und ein Grossteil der Schüler kehrt am Ende der Pause hungrig und verdrossen in den Unterricht zurück.

„So kann das nicht weitergehen, Kathi“, wendet sich die Schülerin Iris eines Tages empört an ihre Schwester, als es wieder viel zu früh zum Pausenende schellt, „es sollten alle satt werden können.“

„Du hast recht“, gibt Kathi, ebenfalls Schülerin, zurück, „wir müssen etwas unternehmen.“

„Wir? Wie sollten wir das denn anstellen?“ Iris schaut mehr als skeptisch drein.

„Eigentlich ist das ganz einfach“, antwortet Kathi mit einem Grinsen. „Die Versorgung der Schüler mit Sandwiches ist eigentlich nichts anderes als eine chemische Reaktion.“

Grosse Fragezeichen erscheinen in Iris‘ Gesicht.

„Zwei Stoffe reagieren zu einem Neuen:“, erklärt Kathi, „jeder hungrige Schüler ist ein Teilchen des ersten Stoffes, ein Sandwich ist ein Teilchen des zweiten Stoffes. Und hungrige Schüler reagieren mit Sandwiches zu Teilchen eines neuen Stoffs: zu satten Schülern.“ (1)

Verpflegung auf dem Schulhof: Allegorie auf eine chemische Reaktion

Reaktion in der grossen Pause: Hungrige Schüler und Sandwiches reagieren zu satten Schülern.
Bildnachweis Schüler: Gruppen von Menschen from Clipart.me Bildnachweis Sandwich: Essen Obst und Gemüse from de.clipart.me

(1) Eigentlich kann man die Wandlung von hungrigen zu satten Schülern in einer ganzen Reihe von Reaktionsschritten darstellen, die miteinander verkettet zum gewünschten Reaktionsprodukt führen. Unter diesen sei aber die Übergabe der Sandwiches an hungrige Schüler der langsamste Reaktionsschritt. So kann diese eine Reaktion stellvertretend für die ganze Kette betrachtet werden, was die Sache erheblich vereinfacht.

Jetzt versteht auch Iris: „Und am Ende unserer Pause haben nicht alle Schüler mit Sandwiches reagiert. Das muss alles viel schneller gehen!“ Und sogleich misst sie ihre Schwester mit einem unsicheren Blick.

„Können chemische Reaktionen denn schnell oder langsam sein?“

 

Die Geschwindigkeit von Reaktionen

„Natürlich können sie!“, erwidert Kathi. „Erinnerst du dich an das Silvesterfeuerwerk? An die schönen Vulkane, die wir mit Papa abgebrannt haben? Über eine Minute lang haben die Funken gesprüht!“
Iris nickt eifrig. „Und der letzte ist sofort mit einem Riesenknall in die Luft gegangen. Danach war nichts mehr davon übrig. Zum Glück ist niemandem was passiert!“

„Ganz genau“, bestätigt Kathi, „das Abbrennen von Schwarzpulver ist auch eine chemische Reaktion. Und im letzten Vulkan ist diese Reaktion innerhalb von einer Sekunde abgelaufen, während die anderen Vulkane dafür mehr als eine Minute brauchten. Der letzte Vulkan hat also schneller reagiert als die anderen.“

„Hm…“, meint Iris, „das ist einleuchtend. Nur eines will mir nicht recht in den Kopf. In der Physik-Stunde haben wir neulich gelernt, dass etwas, das sich in einer bestimmten Zeit t entlang einer bestimmten Strecke s bewegt, die Geschwindigkeit v = Δs / Δt hat. Aber bei einer chemischen Reaktion bewegt sich doch nichts von einem Ort zum anderen. Wie kann es dann eine Reaktionsgeschwindigkeit geben?“

„In dem Sinne bewegt sich bei Reaktionen tatsächlich nichts. Aber in anderer Weise dafür umso mehr. Bei einer chemischen Reaktion ändert sich die Menge der daran beteiligten Stoffe. Am Anfang der Pause haben wir viele hungrige Schüler und einen grossen Haufen Sandwiches auf dem Ausgabetisch – und keine satten Schüler. Am Ende der Pause gibt es weniger hungrige Schüler und Sandwiches, aber dafür sind zumindest einige satte Schüler anzutreffen. Und weil die Menge hungriger Schüler während der Pause schneller abnehmen muss, damit alle satt werden, hat eine Reaktion, die in einer bestimmten Zeit t eine Stoffmenge n eines beteiligten Stoffes verändert, die Geschwindigkeit v = Δn / Δt.“

Tatsächlich benutzen die meisten Chemiker statt der Stoffmenge n die Konzentration c eines Stoffes und sprechen von einer Reaktionsgeschwindigkeit  Die Konzentration eines Stoffes ist aber nichts anderes als die Stoffmenge in einem bestimmten Volumen (c = n / V), in dem die Reaktion stattfindet. Unsere Pausen-Reaktion findet im Schulfoyer statt, sodass das Volumen dieses Raumes als Reaktionsvolumen dienen kann. Die Konzentration der hungrigen (oder satten) Schüler ist also die (Stoff)Menge der hungrigen (oder satten) Schüler, die sich im Foyer aufhalten.

 

Eine Reaktion beginnt mit dem richtigen Stoss

„Und wann genau werden die hungrigen Schüler satt?“, fragt Kathi schliesslich, als Iris sie nachdenklich ansieht.

„Dann, wenn sie ein Sandwich zum Essen haben!“

„Richtig. Schüler und Sandwiches müssen zusammenkommen, damit sie reagieren können. „

„Und die meisten sind so geschwätzig, dass man sich richtig drauf stossen muss, damit sie anfangen zu essen“, kichert Iris.

„Das ist bei Teilchen eines Stoffs ganz genauso“, gesteht ihre Schwester ein, „die müssen erst richtig, das heisst erfolgreich zusammenstossen, bevor sie zu neuen Teilchen reagieren können. Und bei den Teilchen wie auch bei den Schülern können wir nachhelfen und dafür sorgen, dass sie schneller zusammen kommen.“

„Verstehe“, meint Iris nun überzeugt. „Je schneller hungrige Schüler und Sandwiches zusammen kommen, desto schneller wächst die Menge der satten Schüler. Dann müssen wir die Hungrigen so schnell zu den Sandwiches bringen, dass alle während der 20 Minuten Pause essen können.“

„Genau. Und das machen wir so…“

 

Wie Kathi und Iris die Geschwindigkeit der Sandwich-Reaktion erhöht haben

Gleich nach der Schule haben die Schwestern ihre Freunde zusammengetrommelt und in ihre Sandwich-Verschwörung eingeweiht. Man kann die Geschwindigkeit einer Reaktion nämlich auf drei unterschiedliche Arten beeinflussen. Und miteinander kombiniert zeigen diese Drei die beste Wirkung. So haben Kathi und Iris eine ganze Reihe Aufgaben verteilt, damit ihr Plan gelingen und alle Schüler satt werden können.

Am nächsten Tag, als es zur grossen Pause läutet, geschieht dann folgendes:

1. Konzentration der Ausgangsstoffe erhöhen

Je mehr Reaktionspartner da sind, desto mehr können sich auch finden. Deshalb spurten die schnellsten Läufer gleich beim Läuten aus dem Klassenraum um die Türen zum Pausenhof zu bewachen. So stellen sie sicher, dass alle Schüler zuerst ins Foyer zur Sandwich-Ausgabe gehen müssen. Denn wenn alle Schüler sich gleichzeitig im Foyer aufhalten, wird es dort so voll, dass ständig hungrige Schüler an die Sandwichausgabe drängen. Die Sandwiches sind zum Glück alle pünktlich geliefert, sodass die Konzentration von Sandwiches im Foyer nicht weiter erhöht werden muss. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit der Konzentration der Ausgangsstoffe zu.

2. Zerteilung der Ausgangsstoffe erhöhen

Damit sich im vollen Foyer keine Warteschlangen vor dem Sandwich-Ausgabetisch bilden, schleppen die starken Jungs in Windeseile vier weitere Tische herbei und verteilen die Sandwiches darauf. So können die vielen hungrigen Schüler an fünf Orten gleichzeitig mit Sandwiches „zusammenstossen“. Wenn die an der Reaktion beteiligten Stoffe nämlich fein untereinander verteilt sind, können die Teilchen sich an vielen Orten gleichzeitig finden und miteinander reagieren. Bei einer chemischen Reaktion kann man das erreichen, indem man die Reaktionsteilnehmer zum Beispiel fein zermahlt und miteinander vermengt oder in einem Lösungsmittel auflöst und umrührt. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit dem Zerteilungsgrad der Ausgangsstoffe zu.

3. Temperatur erhöhen

Je schneller sich Teilchen bewegen, desto schneller finden sie auch zusammen, und desto mehr dieser Zusammenstösse sind kräftig und zielgerichtet genug, um auch erfolgreich zu sein und zur Reaktion zu führen. Naturgemäss erfüllt nämlich immer nur ein Teil aller Stösse die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reaktion: Nicht alle Schüler, die an der Ausgabe ein Sandwich sehen, entscheiden sich auch gleich eins zu nehmen.

Und was für die Anhänger von Teilchenmodellen die Bewegung der Teilchen eines Stoffes ist, ist aus Sicht eines menschlichen Beobachters die Temperatur des betreffenden Stoffes.

Die wichtigste und anstrengendste Aufgabe hat also die Werbemannschaft der Sandwich-Verschwörung, die überall unterwegs ist, um die hungrigen Mitschüler anzutreiben und die Unentschlossenen zum Zugreifen an der Ausgabe zu bewegen, bevor die sich wieder verquatschen oder über ihrem Handy die Zeit vergessen können. All das Anfeuern zahlt sich aber durchaus aus. Denn die RGT-Regel, eine Faustregel für richtige chemische Reaktionen, besagt: Wenn die Temperatur der Reaktionsteilnehmer um 10°C steigt, reagieren sie doppelt so schnell wie vor dem Anstieg. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt mit der Temperatur der Ausgangsstoffe zu.

Während das Hausmeisterehepaar von all dem Lärm und Gedränge noch völlig überwältigt ist, leeren sich die Sandwich-Ausgabetische mit rasanter Geschwindigkeit, und die Torwächter können immer mehr satte Schüler auf den Pausenhof durchwinken. Iris kommt schon kaum mehr mit dem Zählen nach. Denn indem man den Anstieg der Konzentration eines Reaktionsprodukts (oder die Abnahme der Konzentration eines Ausgangsstoffs) während eines Zeitabschnitts beobachtet, kann man die Reaktionsgeschwindigkeit messen.

Als Kathi und Iris sich schliesslich die beiden letzten Sandwiches schnappen, sind binnen sage und schreibe 12 Minuten 1035 hungrige Schüler zu satten Schülern reagiert. Das Foyer mit den geplünderten Ausgabetischen und seiner vom Gedränge ramponierten Einrichtung erinnert allerdings an ein Schlachtfeld.

„Das ging jetzt sogar etwas zu schnell“, stellt Kathi fest, „morgen müssen wir unbedingt ein paar Regeln absprechen, damit das Ganze etwas weniger schnell und dafür ohne Begleitschäden abläuft. Zum Glück lässt die Reaktionsgeschwindigkeit sich nämlich auf die gleiche Weise senken, wie man sie erhöhen kann.“

„So, wie die Feuerwerksentwickler die Schwarzpulver-Reaktion in ihren Vulkanen so beeinflussen, dass sie lange kräftig Funken sprühen und uns nicht mit einem Knall um die Ohren fliegen?“, fragt Iris.

„Genau. Aber was im Einzelnen beim Feuerwerk passiert, ist eine andere Geschichte.“

 

Zusammenfassung

Eine chemische Reaktion, also die Umwandlung von Stoffen in andere Stoffe, läuft mit einer veränderlichen Geschwindigkeit ab. Diese Reaktionsgeschwindigkeit entspricht der Änderung der Konzentration eines an der Reaktion beteiligten Stoffes während eines bestimmten Zeitabschnitts (v = c/t).

Je schneller also die Teilchen der Ausgangsstoffe zusammenstossen und zu neuen Teilchen umgebaut werden können, desto schneller verläuft die Reaktion. Das gilt für hungrige Schüler und Sandwiches ebenso wie für die Teilchen miteinander reagierender Stoffe.

Deshalb kann die Geschwindigkeit einer Reaktion gezielt beeinflusst werden: Die Reaktionsgeschwindigkeit steigt mit steigender Konzentration und zunehmendem Zerteilungsgrad der Ausgangsstoffe, sowie mit deren Temperatur.

Fällt dir eine andere chemische Reaktion ein, deren Geschwindigkeit in deinem Alltag wichtig ist?

Auf der Grillparty mit Reto, Lilli, Andi und Dominik sind wir im ersten Teil dieses Artikel-Duos schon fünf chemischen Reaktionen begegnet, die in allen Bereichen der Chemie grundlegend und im Alltag häufig zu finden sind.

In der Organischen Chemie, der Chemie der Kohlenwasserstoff-Verbindungen, gibt es drei weitere wichtige Reaktionstypen. Diese finden sich im Alltag häufig dann wieder, wenn es um Biochemie geht. Denn die Biochemie, die Chemie des Lebens, dreht sich notgedrungen um Kohlenwasserstoff-Verbindungen, sind doch alle irdischen Lebewesen massgeblich daraus aufgebaut.

Drei grundlegende Reaktionen in der Organischen Chemie – und warum auf unserer Grillparty niemand vergiftet wird

Dass es auf unserer Grillparty sehr lebendig zugeht, steht ausser Frage. So wundert es nicht, dass sich auch folgende drei Reaktionstypen dort wiederfinden. Nunja, zum Glück finden nur zwei davon wirklich statt, denn die Reaktion des letzten Typs hätte ziemlich unangenehme Folgen.

1. Die Eliminierung: Warum Gegrilltes so lecker schmeckt – und Lilli trotzdem nörgelt

Steaks und Würstchen brutzeln auf dem Rost, werden braun und knusprig und es duftet verlockend nach Gebratenem. Neue Eigenschaften, neue Stoffe? Da ist eindeutig eine chemische Reaktion im Gange. Sogar eine ganze Menge chemischer Reaktionen. Eiweisse im Fleisch reagieren mit Fett und Zucker und was ein guter Koch sonst noch alles in seine Marinade packt.

In vielen Reaktionen, die teils aufeinander folgen, entstehen so neue Stoffe, die knusprig aussehen, lecker schmecken und gut duften. All diese Vorgänge miteinander werden von den Chemikern „Maillard-Reaktion“ genannt. Die zahllosen Wege der Maillard-Reaktion haben eines gemeinsam: Am Anfang werden stets zwei grössere Moleküle, z.B. Traubenzucker (Glucose) und die Aminosäure Asparagin, aneinander geheftet, wonach drei Atome nicht länger gebraucht werden und ein kleines Wassermolekül, H2O, bilden. Das Wassermolekül wird also im Zuge der Reaktion von den Ausgangsstoffen entfernt (eliminiert). Bei einer Eliminierung wird ein kleines Molekül aus dem Reaktionsgeschehen entfernt.

Maillard-Reaktion


Maillard-Reaktion: Im ersten Reaktionsschritt wird ein Wassermolekül eliminiert. Auch der zweite Schritt ist eine Eliminierung: Dabei bleibt statt Wasser ein Kohlendioxid-Molekül übrig. Acrylamid ist allerdings nur ein unerwünschtes unter vielen erwünschten Endprodukten.

Wenn man zu heiss brät (ab etwa 180°C), kann bei der Maillard-Reaktion übrigens das als krebserzeugend verschriene Acrylamid entstehen. Lilli gefällt diese Aussicht gar nicht, aber uns soll es den Appetit heute nicht verderben. Schliesslich bemühen wir uns ja darum, dass der Grill nicht gar zu heiss wird..

Und Appetit hat inzwischen sogar Reto, der sein Sodbrennen dank seiner Notfalltabletten gut im Griff hat. Schliesslich grillen wir ja nicht nur zum Spass, sondern haben auch einen Nutzen davon, Acrylamid hin oder her.

2. Die Addition: Die Verdauung unter die Lupe genommen

Grillfleisch ist nämlich nicht nur lecker, sondern auch nahrhaft. Es enthält reichlich Eiweisse (die Biochemiker sagen Proteine), die aus Aminosäuren aufgebaut sind. Und die verwendet unser Körper zum Aufbau eigener Eiweisse wieder.

Um an diese Aminosäuren heranzukommen müssen die Bindungen, welche sie im Eiweiss zusammenhalten, aufgehoben werden. Dies geschieht, indem ein Eiweiss-Molekül an den Bindungen zwischen den Aminosäuren (den „Peptidbindungen“) mit Wassermolekülen reagiert: Die Peptidbindung wird durchtrennt und die Atome des Wassermoleküls an die losen Enden angefügt. Bei einer Addition wird ein kleines Molekül an mindestens ein grösseres Molekül angefügt.

Peptid-Hydrolyse

Addtition von Wasser an eine Peptidbindung: Eiweisse (Proteine) bestehen aus langen Ketten von Aminosäuren, die durch Peptidbindungen zusammengehalten werden. Rest 1 und Rest 2 stehen für die Kettenabschnitte beiderseits der dargestellten Peptidbindung.

Und weil die Addition von Wasser an Peptidbindungen bei Körpertemperatur nicht recht in Gang kommt, gibt es im Magensaft das Verdauungsenzym Pepsin, das Eiweisse und Wassermoleküle auf den rechten Weg zur Reaktion bringt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Übrigens, wenn du es schon vermutet hast: Die Addition ist tatsächlich die Umkehrreaktion der Eliminierung: Bei der Bildung von Peptid-Bindungen wird genau dort ein Wassermolekül eliminiert, wo es bei der Zerlegung der Eiweisse wieder addiert wird.

3. Die Substitution: Warum Dominik den Giftnotruf nicht wählen musste

Gut gesättigt und ein kühles Bier in der einen Hand surft Dominik mit dem Handy in der anderen Hand durchs Web. Plötzlich stutzt er und stellt erschrocken seine Bierflasche ab. Da wird in verschiedenen Foren behauptet, unser Trinkalkohol, den Chemikern als Ethanol (CH3CH2OH) bekannt, könne mit der Magensäure zu Chlorethan, einem hochentzündlichen Gas und Nervengift, reagieren!

Tatsächlich steht in meinem Lehrbuch für organische Chemie [1] eine Gruppe von Reaktionspaaren, zu der auch diese beiden gehören:

Substitution

Hat eine Säure dem Ethanol-Molekül erst ein Proton übergeben, kann das so entstandene „angehängte“ Wassermolekül gegen ein Chlorid-Ion ausgetauscht werden. Damit ist die zweite Reaktion eine Substitution. Bei einer Substitution wird eine Atomgruppe eines grösseren Moleküls gegen eine andere ausgetauscht.

Für die von Dominik entdeckte Substitution braucht es laut dem Lehrbuch einzig eine Säure im Reaktionsgemisch, die den Ethanol-Molekülen eine austauschbare Atomgruppe verschafft. Tatsächlich kann die Salzsäure im Magensaft den Ethanol protonieren (das entstehende CH3CH2OH2+ macht eifrigen Trinkern häufig Magenschmerzen), und stellt auch noch Chlorid-Ionen zur Verfügung…

Trotzdem kann ich Dominik beruhigen. Damit die Substitution (hier handelt es sich um eine sogenannte nukleophile Substitution) stattfinden kann, muss das Chlorid das Zielmolekül – bzw. den Atomkern, an den es binden soll – auch genügend mögen (es muss nukleophil = kernmögend sein). Und Chlorid-Ionen sind nicht eben allzu versessen auf protonierten Ethanol.

Das rührt zum Einen daher, dass das Ethanol-Molekül, mit oder ohne Extra-Proton, ziemlich unattraktiv für den Teilchen-Austausch ist. Zum anderen sind nukleophile Teilchen umso kernmögender, je schwächer sie basisch reagieren. Und der Rest (bzw. das Anion) einer starken Säure ist zwar stets eine schwache Base, doch ist die Salzsäure im Magensaft für Dominiks Reaktion nicht stark genug (und die Base Chlorid entsprechend nicht schwach genug).

Daher braucht es eine wesentlich stärkere Säure als Salzsäure, um aus protoniertem Alkohol durch eine Substitution Chlorethan zu machen. Im Labor kann man solch eine Säure herstellen, indem man reichlich Zinkchlorid in konzentrierte Salzsäure gibt:

Mit der so entstehenden Tetrachlorozinksäure kann man im Labor mit etwas Geschick Chlorethan aus Ethanol gewinnen. Aber nicht allein mit der verdünnten Salzsäure in unserem Magensaft.

Wir können das Handy also wegstecken, die Giftnotrufnummer (in der Schweiz lautet die übrigens 143) für heute vergessen und die Grillparty mitsamt dem kühlen Bier geniessen. Und da du nach der Lektüre von Teil 1 und Teil 2 nun die wichtigsten Typen der chemischen Reaktion sowohl für die allgemeine als auch für die organische Chemie kennst, kannst du etwas Ordnung in die Vielfalt der alltäglichen Reaktionen bringen.

Welche chemische Reaktion ist dir in deinem Alltag schon begegnet?

[1] Beyer, H., Walter, W. (1998). Lehrbuch der organischen Chemie (23. Auflage). Stuttgart; Leipzig: Hirzel

Chemische Reaktion : Gleich 5 davon lassen die Grilllparty gelingen

Was ist eine chemische Reaktion?

Woran erkennen wir, dass ein Vorgang in unserem Alltag eine chemische Reaktion ist (oder nicht ist)?

Wie viele und welche Reaktionstypen gibt es?

Ein Lehrbuch für Chemie am Gymnasium [1] sagt:

„Eine chemische Reaktion ist eine Stoffumwandlung. Aus den Ausgangstoffen (Edukte) bilden sich neue Stoffe (Produkte), die andere Eigenschaften haben als die Ausgangsstoffe.“

Das Erkennungsmerkmal schlechthin für eine chemische Reaktion ist also: Es entsteht dabei mindestens ein neuer Stoff. Und der hat eine ganz andere Erscheinung als der oder die Ausgangstoff/e: Er sieht anders aus, riecht anders, verhält sich anders.

Wie kommt das?

Alle Stoffe bestehen aus kleinen Teilchen. Das können Moleküle, Ionen oder Radikale sein – aber sie alle sind aus Atomen aufgebaut (genauer gesagt aus mindestens einem Atom: Elektrisch geladene Atome sind ebenso Ionen wie elektrisch geladene Moleküle).

Bei einer chemischen Reaktion treffen die Teilchen der Ausgangsstoffe aufeinander, und ihre Atome werden zu neuen Teilchen umgruppiert. Da die Eigenschaften eines Stoffes vom Aufbau seiner Teilchen bestimmt werden, hat der neue Stoff, der aus den neuen Teilchen besteht, neue Eigenschaften.

Atome können zu endlos vielen verschiedenen Teilchen gruppiert werden. Entsprechend gibt es nahezu endlos viele Arten von Reaktionen, die auf verschiedene Weise geordnet werden können. Die folgenden 8 Reaktionstypen sollte jedoch jeder kennen, der sich mit der Chemie unserer Welt beschäftigen möchte.

5 grundlegende Reaktionstypen auf einer Grillparty

Chemische Reaktionen begegnen uns im Leben ständig. Auf einer sommerlichen Grillparty bin ich kürzlich 7 der 8 wichtigsten Reaktionstypen begegnet. Nur eine fand, wie sich herausstellte, dort nicht statt. Zum Glück.

Zunächst aber zu den 5 Reaktionstypen, die in allen Bereichen der Chemie grundlegend sind.

1. Redox-Reaktion: Das Geheimnis des Grillfeuers

Holzkohle aufschütten, anzünden, geduldig warten. Für jede Grillparty braucht man einen heissen Grill. Nachdem wir lang genug gewartet haben, stellen wir fest: Der Kohlehaufen im Grill wird immer kleiner, die Kohlen werden weisslich und zerfallen. Indessen lamentiert Lilli, unser Umweltengel, eifrig über all die Treibhausgase, die wir da ausstossen.

Richtig: Hier findet eine chemische Reaktion statt. Die Holzkohlen, die grossteils aus dem Element Kohlenstoff, C , bestehen, reagieren mit dem Sauerstoff, O2 , in der Luft zu dem Gas Kohlenstoffdioxid (oder Kohlendioxid), CO2. Und das ist Lilli als Treibhausgas ein Dorn im Auge.

Dabei tauschen die Reaktionspartner zunächst Elektronen, die winzigen Bausteine der Atomhülle, aus. Eine Redox-Reaktion ist eine Elektronen-Austausch-Reaktion. Deshalb besteht eine Redox-Reaktion eigentlich aus zwei Reaktionen, die immer als Paar stattfinden:

Kohlenstoffatome geben Elektronen ab (Oxidation), Sauerstoffatome nehmen diese Elektronen auf (Reduktion). Schliesslich werden die Atome mitsamt den ausgetauschten Elektronen zu dem neuen Molekül CO2 umgruppiert. Dabei wird eine grosse Menge Energie, die zuvor in den Molekülen der Ausgangsstoffe steckte, freigesetzt. Diese Energie macht sich als Wärme bemerkbar und brät unsere Steaks und Würstchen. Praktisch.

 

2. Säure-Base-Reaktion: Linderung für den geplagten Magen

Die ersten Steaks liegen auf dem Rost und es duftet verführerisch. Uns allen läuft das Wasser im Munde zusammen. Einzig Reto verzieht das Gesicht. „Da bekomme ich ja schon Sodbrennen, wenn ich nur dran denke!“. Zu viel Magensäure? Zum Glück hat Reto seine Notfalltabletten dabei. Die enthalten vor allem Calciumcarbonat, CaCO3, welches mit der Salzsäure im Magensaft reagiert:

Die entstehende Kohlensäure, H2CO, ist, anders als Salzsäure, eine sehr schwache Säure und brennt nicht in Retos Speiseröhre. Diese praktische Reaktion heisst Neutralisation und ist nur eine von vielen Säure-Base-Reaktionen. Wie bei allen Säure-Base-Reaktionen werden bei der Neutralisation Protonen, also Wasserstoff-Atomkerne, ausgetauscht. Eine Säure-Base-Reaktion ist eine Protonen-Austauschreaktion.

 

3. Zerfalls-Reaktion: Nicht alles ist stabil

Kaum ist das erste Steak mitsamt Notfall-Tablette verdrückt, hat Reto schon Druck auf dem Magen. Mit einem kräftigen Rülpser macht er sich Luft und erntet die missbilligenden Blicke der anderen. Was ist denn nun schon wieder los?

Manche Atomgruppierungen halten einfach nicht gut zusammen. Das Kohlensäure-Molekül ist eine davon. Kaum hat es sich bei der Neutralisation in Retos Magen gebildet, fällt es auch schon auseinander. Einfach so.(*)

Dabei entstehen Wasser und das schon bekannte Gas Kohlendioxid. Und letzteres hat im Magen nichts zu suchen. Geschweige denn Platz. So muss Reto notgedrungen rülpsen, um das überflüssige Gas auf schnellstem Wege loszuwerden. Lilli ist begeistert: Noch mehr CO2-Ausstoss. Geht aber nicht anders, denn bei einer Zerfallsreaktion zerfällt ein grosses Molekül in zwei oder mehr kleinere Bruchstücke.
(*) Okay, nicht wirklich einfach so. Tatsächlich ist diese Reaktion Teil eines Systems im chemischen Gleichgewicht. Mehr dazu hat mir Monsieur Le Châtelier neulich auf dem Flughafen verraten.

 

4. Komplex-Reaktion: Bitte lächeln!

Während der zweite Gang auf dem Grillrost brutzelt beschliessen wir, dass es Zeit für ein Gruppenfoto ist. Alle stellen sich auf… und machen grosse Augen, als Andi eine wirklich altmodisch anmutende Kamera bereitmacht. Andi ist nämlich Hobby-Fotograf und entwickelt seine Schwarzweiss-Aufnahmen im hauseigenen Fotolabor mit Dunkelkammer.

In seinem Fotopapier sind Silberionen, Ag+, enthalten, die mit Licht zu Silberatomen reagieren, welche das Papier schwarz färben. Damit man die Fotos nachher jedoch bei Licht ansehen kann, ohne dass das ganze Bild schwarz wird, müssen die Silberionen, die nach dem Entwickeln nicht reagiert haben, noch in der Dunkelkammer ‚unschädlich‘ gemacht werden. Andi nennt das ‚Fixieren‘.

Dazu nimmt er eine Lösung, die Thiosulfat-Ionen, S2O32-, enthält, welche mit den Silberionen zu einem neuen Teilchen reagieren:

Anders als Silberionen reagieren die neuen Teilchen nicht zu Silberatomen, sodass Andis Fotos damit nicht mehr schwarz werden.

Das Besondere an diesen Teilchen ist, dass die Thiosulfat-Ionen ganz allein mit ihren Elektronen für die Bindung an das Silber aufkommen. In gewöhnlichen Molekülen teilen die Atome den Einsatz von Elektronen für ihre Bindungen gerecht untereinander auf. Eine solche ungerechte Verbindung nennen die Chemiker „Komplex-Verbindung“ und schreiben die Formel in eckige Klammern. Eine Komplex-Reaktion ist eine Reaktion, an der mindestens eine Komplex-Verbindung beteiligt ist.

 

5. Fällungs-Reaktion: Trübe Aussichten

Lächeln macht durstig, und Grillparty feiern erst recht. Also greift Dominik in die Kühlbox und zaubert für jeden eine Flasche Bier hervor. Aber oh Schreck, was ist denn das? Das Bier ist ja ganz trüb!

Da sind wir wohl Opfer einer weiteren chemischen Reaktion geworden. Beim Bierbrauen gerät nämlich mit den Zutaten ein Stoff namens Oxalat ins Bier, welcher in grösseren Mengen der Gesundheit schadet und besonders von Leuten mit Hang zu Nierensteinen gefürchtet wird. Deshalb brauen Bierhersteller stets mit ausreichend hartem, also Calciumionen- (Ca2+) haltigem Wasser. Denn Calciumionen reagieren mit dem Oxalat (C2O42-) zu Calciumoxalat, welches sich nicht in Wasser löst:

Calciumoxalat ist ein Feststoff und entsteht zunächst als feiner Staub, der das Bier trübt. Wenn aber mehr davon entsteht, sinkt es irgendwann auf den Boden des Bier-Gefässes. Chemiker sagen „es fällt aus“. Bei einer Fällungsreaktion entsteht in einer Lösung ein Feststoff. Dieser Feststoff fällt aus der Lösung aus.

Deshalb giessen Bierbrauer ihr Bier nach dem Ausfällen des Calciumoxalats durch einen Filter, in dem der Feststoff hängenbleibt. Damit braucht sich kein Freund von klarem Bier Sorgen wegen Nierensteinen zu machen.

Und warum ist unser Bier dann trüb?

Ganz einfach: Die meisten Fällungsreaktionen laufen besser ab, je kälter die Lösung ist. In unserem Bier war wohl noch ein kleiner Rest Oxalat und Calcium, und als Dominik das Bier in die Kühlbox gepackt hat, ist dieser Rest in der Kälte nachträglich noch ausgefallen. Aber so ein wenig Oxalat schadet uns nicht. Wir können das Bier also beruhigt geniessen.

Auf unserer Grillparty gibt es aber noch mehr zu entdecken. Denn in der Organischen Chemie, die für viele Vorgänge in Lebewesen von grosser Bedeutung ist, gibt es drei weitere grundlegende Reaktionen. Und Lebewesen sind schliesslich unglaublich spannend. Deshalb erzähle ich in Teil 2, wo wir diese Reaktionen entdeckt haben – und warum wir alle einer Vergiftung entgangen sind.

[1] Stieger, M. (2010). Elemente – Grundlagen der Chemie für Schweizer Maturitätsschulen (1. Auflage). Zug: Klett und Balmer

Flughafenbetrieb: Eine Allegorie auf das chemische Gleichgewicht

Wie erklärt man das chemische Gleichgewicht? Wie stellt man die spannenden Vorgänge, die sich in abstrakten Konzepten und Reaktionsgleichungen verbergen, anschaulich dar?

Was geschieht in einem System im Gleichgewicht? Und wie kann dieses Geschehen beeinflusst werden?

Diese Fragen haben mich lange verfolgt, und die Antworten fanden sich, wie so oft, unerwartet.

Eine unverhoffte Begegnung mit einem Experten

Wieder einmal viel zu früh am Flughafen beginne ich meine Ferien damit, auf dem Aussichtsdeck über diesen Artikel nachzusinnen. Dabei fällt mir ein Herr ins Auge, der in einem geradezu skurril altmodischen Anzug an der Brüstung lehnt und wie gebannt das Treiben auf dem Rollfeld beobachtet. So fehl am Platze er dort wirkt, so sehr zieht seine Erscheinung mich an. Ehe ich mich versehe, bin ich neben ihn getreten.

„Oh, bonjour, Madame! Ich sah Sie gar nicht kommen. Aber leisten Sie mir doch an diesem spannenden Ort Gesellschaft.“

Ich erwidere den Gruss mit einem verlegenen Lächeln, und schon fährt der freundliche Herr mit seinem eindeutig französischen Akzent fort: „Was führt Sie an diesen überaus spannenden Ort?“

„Ich bin auf dem Weg in die Ferien“, erkläre ich, „einmal den ständigen Gedanken um die Arbeit entkommen.“

Sogleich sehen mich neugierige Augen durch einen antiquierten Zwicker forschend an. „Arbeit klingt interessant. Was tun Sie denn?“

„Ich schreibe einen Blog. Geschichten um Themen aus der Chemie und den anderen Naturwissenschaften. Und ich plane einen Artikel über das Chemische Gleichgewicht. Nur, mir fällt nichts rechtes dazu ein…“

Kaum habe ich die Chemie erwähnt, spreizt der buschige Schnauz meines Gegenübers sich zu einem breiten Lächeln, welches sein bislang so ernstes Gesicht strahlen lässt.

„Mon Dieu! Was eine perfekte Fügung! Ich selbst bin Chemiker, und noch dazu Experte auf dem Gebiet des chemischen Gleichgewichts. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Le Châtelier.“

„Henry Louis Le Châtelier?“ Ich runzle verwirrt die Stirn. „Aber…“

„Oui, das ist korrekt. Und sparen Sie sich die Bemerkung, dass ich seit 1936 tot sein müsste. Das Leben ist dafür einfach zu spannend. Ausserdem bin ich doch zur rechten Zeit am richtigen Ort, oder nicht?“

Ich nicke perplex. „In der Tat. Es wäre mir eine Ehre, von Ihnen über das chemische Gleichgewicht zu hören.“

Le Châtelier lächelt erneut und wendet sich dem Treiben unter uns zu. „Ein Gleichgewicht können Sie einfacher finden, als Sie denken, nicht nur, wenn es um chemische Reaktionen geht. Über die chemische Reaktion haben Sie schon geschrieben?“

Ich nicke. Und denke daran, wie 5 wichtigste Typen chemischer Reaktionen auf einer Grillparty zusammenfanden.

Eine umkehrbare chemische Reaktion auf dem Rollfeld

„Dann wissen Sie ja, was geschieht, wenn zwei Stoffe miteinander reagieren: Die Moleküle der beiden Stoffe treffen aufeinander und ihre Atome werden zu neuen Molekülen neuer Stoffe umgebaut. Das gleiche geschieht hier auf dem Flughafen.“

Der seltsame Franzose deutet weit ausholend auf das Rollfeld hinab.

„Hier besteht ein Stoff, der ‚Fuhrpark‘ heissen soll, aus leeren Flugzeugen, die die Moleküle des Fuhrparks sind. Ausserdem gibt es hier einen Stoff, der ‚Kundschaft‘ heissen soll und aus Passagieren besteht, die die Moleküle der Kundschaft sind. Und dort, an den Gates, treffen diese beiden Stoffe aufeinander und reagieren zu einem neuen Stoff namens ‚Ferienflieger‘, dessen Moleküle besetzte Flugzeuge sind.“

Hin-Reaktion„Und dort drüben steigen gerade Passagiere aus einem besetzten Flugzeug wieder aus“, werfe ich ein.

„Richtig“, kommentiert Le Châtelier, „da läuft die Reaktion in die entgegengesetzte Richtung ab.“

„Und beides geschieht bei denselben Bedingungen im Flughafenbetrieb. Diese Reaktion läuft also zur gleichen Zeit in beide Richtungen.“

2 Richtungen, eine Geschwindigkeit: Der Flughafen im Gleichgewicht

Wir beobachten das Treiben einige Zeit schweigend. An einem Gate steigen Passagiere in ein Flugzeug, an einem anderen Gate steigen sie wieder aus. Nach einer Weile sieht Le Châtelier mich herausfordernd schmunzelnd an:

„Und, Madame, fällt Ihnen etwas auf?“

„Hm…es scheint mir, als würden weder die Gates noch das Rollfeld voller oder leerer, obwohl ständig ein- und ausgestiegen wird. Es sind stets gleich viele Flugzeuge auf dem Rollfeld, besetzte wie leere, und gleich viele Passagiere an den Gates unterwegs.“

„Wunderbar beobachtet!“, ruft der Franzose entzückt aus, „Das ist das Geheimnis des Gleichgewichts! Wir sehen, dass unsere entgegengesetzten Reaktionen ständig ablaufen, aber die Menge der daran beteiligten Stoffe bleibt immer gleich.“

Einen Augenblick bin ich verwirrt, dann ereilt mich ein Geistesblitz. „Das ist aber nur unter einer Bedingung möglich: Nämlich dann, wenn beide Reaktionen gleich schnell ablaufen“, erwidere ich, von Le Châteliers Begeisterung angesteckt.

„So ist es“, gibt er denn gleich zurück, „In der Zeit, in welcher 135 Passagiere einsteigen, steigen irgendwo anders auch 135 Passagiere wieder aus. Das Ein- und das Aussteigen laufen mit der gleichen Geschwindigkeit ab. Die Abfertigung läuft, aber am Gedränge auf dem Flughafen ändert sich nichts. Der Flughafen befindet sich somit im Gleichgewicht. Den Betreiber wird das freuen.“

„Zumal der Betreiber seinen Flughafen kennt und daher weiss, bei welchem Verhältnis der Stoffmengen zueinander sich das Gleichgewicht jeden Tag einstellen wird – wenn Ihr Modell wirklich stimmt.“

„Natürlich stimmt mein Modell. Und Sie haben ganz recht: Wenn der Flughafen sich im Gleichgewicht befindet, hat das Verhältnis von Passagieren und leeren Flugzeugen zu den besetzten Flugzeugen seinen ganz eigenen und immer gleichen Wert. Und das unter – zumindest nahezu – allen Umständen.“

„Der Wert des Verhältnisses der Stoffmengen zueinander ist also eine unverkennbare und unveränderliche Eigenschaft eines chemischen Gleichgewichts.“

Das chemische Gleichgewicht ist ein dynamisches Gleichgewicht

Le Châtelier nickt, als mir plötzlich ein Gedanke kommt. „Weshalb wird solch ein Gleichgewicht dann eigentlich auch dynamisches Gleichgewicht genannt?“

„Nun“, antwortet er, „weil das chemische Gleichgewicht alles andere als starr und unveränderbar ist. Verschiedene Umstände bestimmen, in welchen Mengen die beteiligten Stoffe vorhanden sind, während ein System wie unser Flughafen sich im Gleichgewicht befindet. Ändern sich diese Umstände, so ändern sich auch die Stoffmengen auf einen neuen Wert. Einzig das Verhältnis dieser Stoffmengen zueinander bleibt dabei gleich.“

„Und welche Umstände sind das?“

„Von Bedeutung sind vor allem die drei folgenden. Passen Sie auf!“

Einfluss der eingesetzten Stoffmenge auf das Gleichgewicht

Der Franzose zieht eine Taschenuhr aus seinem altmodischen Anzug und wirft einen prüfenden Blick darauf. „Bislang ist hier verhältnismässig wenig Kundschaft unterwegs. Die wenigen Passagiere, die durch den Abflugbereich streifen, versammeln sich hier und da an den Gates und steigen in ein Flugzeug. Viele Maschinen stehen jedoch leer an der Gangway. Aber die Stosszeit beginnt gerade erst. Sehen Sie nur!“

Ich spähe hinab in den Wartebereich vor den Gates, und tatsächlich: Aus den Eingeweiden des Flughafens strömen nun scharenweise Menschen und ergiessen sich in die langen Gänge zwischen den Gates. Beim Bodenpersonal wird emsige Betriebsamkeit erkennbar, als die Passagiere sich an den Zugängen sammeln und an Bord gelassen werden. So füllt sich ein Flugzeug nach dem anderen, und schon Minuten später rollen deutlich mehr besetzte Flugzeuge zur Startbahn als zuvor.

„Sie sehen“, erklärt Le Châtelier, „eine Erhöhung der Stoffmenge der Kundschaft hat dazu geführt, dass in den letzten Minuten mehr Passagiere einsteigen, also reagieren konnten, als in der gleichen Zeitspanne zuvor. So hat auch die Stoffmenge der besetzten Flugzeuge zugenommen.“

„Wenn man also die Stoffmenge eines der Ausgangsstoffe einer Reaktion im Gleichgewicht erhöht, verschiebt sich das Verhältnis der Stoffmengen in Richtung des Reaktionsprodukts.“

„Richtig! Die Lage des Gleichgewichts verschiebt sich in Richtung der durch die Stoffmengenerhöhung angekurbelten Reaktion.“

„Das heisst, wenn hier plötzlich mehr besetzte Flugzeuge landen und an die Gates rollen, werden wiederum mehr Passagiere in die Gänge strömen und mehr leere Flugzeuge zurückbleiben.“

„So ist es. Und sobald die Stosszeit vorbei ist und weniger Maschinen landen, verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts auch wieder in die andere Richtung. Im Augenblick jedoch hat es sich den Umständen der Stosszeit entsprechend neu eingestellt.“

Tatsächlich erscheint die Anzahl der Passagiere an den Gates und der Flugzeuge auf dem Rollfeld nun wieder gleich bleibend, auch wenn sichtlich mehr Maschinen besetzt und die Gates von sichtlich mehr Passagieren belebt sind als vor der Stosszeit. So erkenne ich auch, dass das Verhältnis von den Passagieren zu den besetzten Flugzeugen das gleiche ist wie vor der Stosszeit am weniger belebten Flughafen.

Einfluss des Volumens auf das Gleichgewicht

Ich möchte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, als plötzlich eine laute Durchsage ertönt: „Achtung an alle! Aufgrund einer technischen Störung wird Terminal E vorübergehend geschlossen! Alle Flüge von Terminal E werden bis auf weiteres an den Terminals A bis D abgefertigt! Weitere Informationen entnehmen Sie bitte den Abflug-Bildschirmen!

„Technische Störung…“, entfährt es mir, „wohl eher ein Bombenalarm… Aber wie wollen die den ganzen Andrang jetzt bewältigen?“

„Schauen Sie nur“, meint Le Châtelier schmunzelnd, „das Personal an den Gates wird bereits ganz hektisch.“

Wir beobachten gespannt, wie das Gedränge in den noch offenen Terminals immer dichter wird, während die wartenden leeren Flugzeuge in fiebriger Eile abgefertigt werden. Gleichzeitig stauen sich die gelandeten Maschinen auf dem Rollfeld.

„Und wieder verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts zu den besetzten Flugzeugen hin – und weg von dem ganzen Gedränge an den Gates.“

„Oui“, bestätigt der Franzose neben mir. „Der Vergleich funktioniert hier aber nur, weil sich die Menschen ihres Jahrhunderts wie Moleküle eines Gases verhalten. Haben sie Platz, verteilen sie sich weitest möglich, und engt man sie ein, rücken sie widerwillig näher zusammen. Wenn sie aber erst mit einem leeren Flugzeug zu einem besetzten Flugzeug reagiert haben, sind sie am Platz sparendsten untergebracht.“

„Das Volumen eines Systems hat also nur dann Einfluss auf die Lage des chemischen Gleichgewichts, wenn wenigstens ein Gas daran beteiligt ist.“

„Und wenn auf einer Seite der Gleichgewichtsgleichung die Anzahl aller Gasmoleküle kleiner ist als auf der anderen. Denn nur dann hilft eine Verschiebung beim Platz sparen.“

Einfluss von Wärme auf das Gleichgewicht

„Dann fehlt jetzt nur noch ein einflussreicher Umstand“, bemerke ich, als sich das Gleichgewicht auf dem Flughafen wiederum neu eingestellt hat.

Le Châtelier nickt. „Und wie es der Zufall will habe ich erfahren, dass der CEO des Flughafenbetreibers heute zur Inspektion seines Betriebs erwartet wird – und zwar in wenigen Minuten. Da wird dort jeder ganz besonders eifrig arbeiten.“

„Es wird also mächtig heiss hergehen“, stelle ich grinsend fest.

„Und ob“, pflichtet mein französischer Begleiter mir bei. „Aber sehen Sie nur, was mit dem Gleichgewicht geschieht!“

Wir beobachten, wie von einer Minute auf die andere der Arbeitseifer des Bodenpersonals zunimmt, als der grosse Boss im Terminal angekündigt wird. Und da Eifer ansteckend wirkt, bewegen sich auch die Passagiere merklich zügiger, stellen sich in Reihen auf und besteigen ein leeres Flugzeug nach dem anderen.

„Es ist gar nicht so einfach, all die Passagiere richtig geordnet in das Flugzeug zu sortieren“, kommentiert Le Châtelier. „Das weiss jeder, der selbst schon einmal mitgeflogen ist. Es verlangt einiges an schweisstreibender Arbeit.“

„Demnach ist die Reaktion der Passagiere mit den leeren Flugzeugen zu besetzten Flugzeugen endotherm, sie ‚verbraucht‘ Energie!“

„Richtig. Und Wärme ist eine Form von Energie.“

„Sobald also die Anwesenheit des CEOs die Wärme im System erhöht, befeuert das die endotherme Reaktion…“

„…und die Lage des Gleichgewichts verschiebt sich auf die Seite mit den energiereicheren Molekülen, hier also den besetzten Flugzeugen.“ Le Châtelier lächelt wissend. „Sobald der CEO seiner Wege geht und die Wärme abnimmt, wird das Aussteigen umso flüssiger gehen. Das tun die Passagiere nämlich wie von selbst und geben ihre mitgebrachte Energie bereitwillig an den Flughafen ab.“

„Die Reaktion der besetzten Flugzeuge zu leeren Flugzeugen und Passagieren ist also exotherm. Und eine Abnahme der Wärme im System verschiebt die Lage des Gleichgewichts auf die Seite mit den energieärmeren Molekülen. So werden sowohl erhitzte Gemüter als auch eine frostige Stimmung vermieden: Durch die Verschiebung hält sich die Temperaturänderung im System in Grenzen.“

Der Franzose wirkt sehr zufrieden mit mir, als er wiederum nickt.

Das Prinzip von Le Châtelier

Ich atme tief durch. „So viele Umstände, Einflüsse und Verschiebungen. Wie soll man sich das nur merken?“

„Dafür habe ich doch mein Prinzip“, erwidert Le Châtelier lächelnd, „das Prinzip des kleinsten Zwanges: Übt man auf ein System im chemischen Gleichgewicht einen Zwang aus, so verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts derart, dass der Zwang gemildert wird!“

„Ganz gleich also, ob die Stosszeit anfängt, es einen Bombenalarm gibt oder der Chef zu Besuch kommt, das Flughafen-Gleichgewicht verschiebt sich so, dass die Folgen des jeweiligen Ereignisses gemildert werden.“

„Und das gilt ebenso für jedes chemische Gleichgewicht. Fällt Ihnen eines ein?“

Mein chemisches Gleichgewicht

„Natürlich!“, gebe ich zurück. „Eines, das jeder kennt: In sprudelndem Mineralwasser ist Kohlensäure, H2CO3, enthalten, die laufend zu dem Gas Kohlendioxid, CO2, und Wasser, H2O, reagiert, während Wasser und Kohlendioxid zu neuer Kohlensäure reagieren. Die Kohlensäure befindet sich also im Gleichgewicht mit Kohlendioxid und Wasser.

Und so lange die Wasserflasche geschlossen ist, liegt das Gleichgewicht auf der Seite der Kohlensäure. Wenn Sie die Flasche jedoch öffnen, wird das Volumen, welches das Kohlendioxid-Gas einnehmen kann, plötzlich sehr viel grösser. Sie können dann sehen, wie sich das Gleichgewicht verschiebt: Die Kohlensäure reagiert dem Platzangebot folgend rasch zu Wasser und Kohlendioxid, das in kleinen Gasperlen aus dem Mineralwasser sprudelt, bis sich das Gleichgewicht wieder eingestellt hat.“

„Oh, oui“, meint Le Châtelier, „und dieses Gleichgewicht liegt ohne den Zwang eines sehr kleinen Volumens sehr weit auf der Seite des Kohlendioxids. Wenn man die Flasche nicht ganz schnell wieder zu macht, schmeckt das Wasser ohne Kohlensäure bald furchtbar schal.“

Fazit

Ich nicke wissend und fasse noch einmal zusammen: „Ein chemisches Gleichgewicht hat sich dann eingestellt, wenn zwei Reaktionen, die einander ungehindert umkehren, stetig und gleich schnell ablaufen. Wie das Ein- und Aussteigen der Passagiere am Flughafen. Denn so bleiben die Stoffmengen der daran beteiligten Stoffe trotz laufender Reaktionen gleich.

Ein solches Gleichgewicht ist dynamisch, kann also durch Veränderung der äusseren Umstände verschoben werden. Dabei folgt es dem Prinzip des kleinsten Zwanges: Wenn die Veränderung der äusseren Umstände einen Zwang bedeutet, verschiebt sich das Gleichgewicht so, dass die Folgen dieses Zwanges gemildert werden.

Nun muss ich das Ganze nur noch zu eine Blog-Artikel zusammenbringen…Was meinen Sie, Monsieur…?“

Doch als ich mich umsehe ist der Herr im altmodischen Anzug spurlos verschwunden. Unser Gespräch über das chemische Gleichgewicht ist mir seither jedoch völlig klar im Gedächtnis geblieben.

Und kannst du das Prinzip von Le Châtelier nun auf dein chemisches Gleichgewicht anwenden?

Bildnachweis:Gleichungen: Gruppen von Menschen from Clipart.me