Wie wäscht Seife? Wie kann ein Helikopter fliegen? Warum hilft Streusalz gegen Eisglätte? Antworten auf spannende Fragen von kleinen und grossen Forschern findet ihr hier!

Der Winter ist die Jahreszeit der grossen Temperaturunterschiede: Draussen frostig kalt, drinnen lauschig warm. Und dazwischen das ständige Wechseln zwischen dicker Vermummung und leichterer langärmeliger Wohnungskleidung. Langärmelig? Wo wir uns im Sommer bei der gleichen Raumtemperatur erst im T-Shirt richtig wohl fühlen?

Dieses Phänomen beschäftigt wohl auch meine treue Leserin Claudia, die diese interessanten Fragen gestellt hat:

Warum empfinden wir Temperaturen so unterschiedlich? Warum können minus 3 Grad genauso kalt wirken wie minus 15 Grad? Und umgekehrt: Warum schwitzen und stöhnen wir bei 28 Grad im Sommer, aber im Winter finden wir dieselbe Temperatur kuschelig warm?


Wie wir Temperaturen fühlen können

Damit wir die Temperatur unserer Umgebung ertasten können, ist die menschliche Haut von feinen Nervenenden durchzogen, die als Temperatursensoren arbeiten. Davon haben wir Menschen zweierlei: Wärmesensoren für den Eindruck „warm“ und Kältesensoren für den Eindruck „kalt“.

Diese Wärme- und Kältesensoren messen allerdings nicht direkt die Temperatur der Luft oder was uns sonst umgibt. Stattdessen messen sie die Temperatur des sie umgebenden Gewebes! Und die Gewebetemperatur hängt von vielen äusseren Faktoren ab:

  • Wärmeproduktion im Körper: Je mehr wir in Bewegung sind, desto mehr Wärme fällt aus den Muskeln ab und erwärmt das Hautgewebe.
  • Umgebungstemperatur: Liegt die Temperatur ausserhalb des Körpers deutlich unter der Körpertemperatur von 37°C (das ist die Regel), wird die im Körper produzierte Wärme leicht an die Umgebung abgegeben: Das Hautgewebe kühlt ab. Je wärmer die Umgebung ist, desto schwieriger ist die Wärmeabgabe über die Haut: Das Gewebe bleibt warm.
  • Schweissproduktion: Unser grosser Vorteil gegenüber den meisten anderen Säugetieren: In der menschlichen Haut gibt es Schweissdrüsen, aus welchen Flüssigkeit auf die Hautoberfläche gelangen kann. Wenn diese verdunstet, wird dafür Wärme aufgewendet (diese „Verdampfungswärme“ ist analog zur „Schmelzwärme“, welche ihr mit diesem Versuch erforschen könnt): Das Gewebe unter der feuchten Hautoberfläche kühlt ab, während der aufsteigende Wasserdampf die Wärme mit sich nimmt. So läuft der menschliche Körper auch bei Lufttemperaturen nahe oder über der Körpertemperatur nicht heiss. Der Nachteil: Um die ausgeschwitzte Flüssigkeit zu ersetzen, müssen wir sie trinken. Nässe von aussen (z.B. durch Regen oder nach einem Bad) hat übrigens den gleichen Effekt.
  • Wind: Ein Luftstrom transportiert Körperwärme schneller von der Hautoberfläche ab als stehende Luft. So trägt Wind dazu bei, dass wir unsere Umgebung als kühler empfinden – ganz besonders, wenn unsere Haut feucht ist, sodass der Wind zusätzlich die Verdunstung der Feuchtigkeit fördern kann. – Luftfeuchtigkeit: Wasser kann nur dann zügig verdunsten, wenn noch nicht zu viel Wasserdampf in der die feuchte Haut umgebenden Luft ist. Bei hoher Luftfeuchtigkeit ist kurz gesagt kaum noch Platz in der Luft für weiteren Wasserdampf. Unser Schweiss bleibt also flüssig und der Kühlungseffekt durch das Schwitzen bleibt aus. Der Körper schwitzt daraufhin nur noch mehr, ohne jedoch nennenswert abzukühlen. Deshalb empfinden wir tropisches Klima schon bei mässig warmen Temperaturen als furchtbar heiss, während wir selbst mit Temperaturen oberhalb der Körpertemperatur in einer trockenen Wüste leichter fertig werden (wenn wir genug zu trinken haben!).
  • Kleidung: „Warmblütige“ Tiere haben (in der Regel) ein Fell oder Gefieder, das eine wärmende (oder kühlende) Luftschicht über der Haut einschliessen und festhalten kann. Da wir Menschen weitgehend nackt sind, ersetzen wir das fehlende Fell mit Kleidung. Die hält den Wind und bestenfalls Nässe von der Haut fern und umschliesst stattdessen eine stehende Luftschicht, die geordnet Wärme aus dem Körperinneren aufnehmen und langsam an die Umgebung abgeben kann. Wehe aber, diese Kleidung saugt sich mit Wasser voll: Wenn das verdunstet, wird nämlich reichlich Wärme aus dem Körper abgeführt. Und dem Menschen in nasser Kleidung wird furchtbar kalt. Nützlich ist das nur bei hoher Umgebungstemperatur: Dann erspart uns trocknende Kleidung am Leib nämlich zumindest zeitweilig das Schwitzen.

Feuchtigkeit und Wind sind die beiden wichtigsten Faktoren, die gemeinsam bewirken, dass unsere Haut bei feuchtwindigen -3°C mitunter genauso schnell abkühlt wie bei trockenen -15°C, und wir beide Temperaturen mitunter als gleich empfinden. Diese Unzulänglichkeit unseres Temperaturempfindens stört auch gar nicht weiter. Denn zum (Über-)Leben ist die eine wie die andere Temperatur zu niedrig. Da reicht die Information „Kalt!!!“ völlig aus, um schleunigst ein geschütztes, warmes Plätzchen zu suchen.

Dazu kommen körperliche Unterschiede von Person zu Person


  • Die Wärme- und Kälterezeptoren sind genetisch bedingt von Mensch zu Mensch verschieden zahlreich vorhanden und unterschiedlich auf die Körperoberfläche verteilt.
  • Männer haben meist mehr Körpermasse unter einer relativ kleinen Körperoberfläche, während Frauen eine im Verhältnis zu ihrer Masse grössere Körperoberfläche haben. Und weniger Körperoberfläche bedeutet weniger Gelegenheiten für die Körperwärme, den Körper zu verlassen. So verlieren Männer in der Regel weniger Körperwärme als Frauen in gleicher Umgebung. Mein Partner Reto ist da allerdings eine Ausnahme: Der ist sehr hager und hat merklich schneller kalt als ich.

Und warum empfinden wir die gleiche Temperatur von 28°C im Winter als warm und im Sommer als kühl?

Dieser Umstand wird auf die Funktionsweise der Wärme- und Kältesensoren in unserer Haut zurückgehen. Die funktionieren nämlich zum Einen nur in jeweils einem eng gesteckten Temperaturbereich, und registrieren zum Anderen vor allem Temperaturänderungen

Wie unsere Kalt- und Warmsensoren Temperaturänderungen messen

Dazu senden die Sensoren permanent eine regelmässige Folge elektrischer „Pings“ an das Gehirn, ähnlich dem Sonar eines U-Bootes. Ein gleichförmiges Signal interessiert uns aber wenig, sodass es in der Regel vor dem Eingang ins Bewusstsein ausgefiltert wird. Erst wenn sich die Temperatur des Hautgewebes ändert, steigt die Frequenz der Pings stark und das Bewusstsein wird darauf aufmerksam. Sobald die Temperatur bei einem neuen Wert gleich bleibt, pendelt sich auch die Ping-Frequenz bei einem mässigen, vom Anfang leicht unterschiedlichen Wert ein – und gerät bald wieder in Vergessenheit. Bis zur nächsten Temperaturänderung.

Zwei abgedeckte Temperaturbereiche und ihre Grenzen

Dazu kommt, dass unsere zwei Sorten Temperatursensoren in verschiedenen Bereichen arbeiten:

  • Die Kaltsensoren von 15°C bis 30°C (Wird unsere Haut kälter, fühlt sie sich entsprechend „taub“ an)
  • Die Warmsensoren von 30°C bis 45°C (würde unsere Haut wärmer, verlören die Proteine darin ganz schnell ihre Funktionsfähigkeit: Wir würden gedünstet!).

Dazu kommen Schmerzrezeptoren, die uns davor bewahren, diese Grenzen des mit Leben verträglichen Temperaturbereichs nicht fahrlässig zu überschreiten. Wenn ihr einmal eine heisse Quelle findet, die in ein (an sich kühles) Gewässer mündet, könnt ihr das selbst ausprobieren:

Habt ein (am besten elektronisches) Thermometer bei euch. Betretet barfuss das Gewässer an einer angenehm temperierten Stelle und nähert euch langsam der heissen Quelle. Sobald ihr es nicht mehr im Wasser aushaltet (weil es wehtut!), geht einen Schritt zurück – eben da hin, wo es euch nicht mehr weh tut – und messt die Temperatur.

Ich habe dieses Experiment während unsrer Australienreise machen können: Meine Schmerzgrenze liegt ziemlich genau bei 43°C (also noch innerhalb des Bereichs, den die Warmsensoren abdecken). Das macht Sinn, denn die „offizielle“ Höchsttemperatur, ab welcher unsere Proteine ihre Funktionsfähigkeit verlieren, beträgt 42°C.

Doch auch plötzliche Kälte kann Schmerzreize auslösen. Das ist auch sinnvoll, denn extreme Kälte kann unser Körpergewebe genauso zerstören wie extreme Wärme!

Beispiele für die Arbeit der Warm- und Kalt-Sensoren

Wenn wir im Winter von draussen reinkommen, nimmt der Wärmeverlust über die Haut rasch ab, da die Luft aussen um uns herum schnell einmal 20°C wärmer wird. Die Haut wärmt sich rasch auf und die Kältesensoren melden: Sehr viel weniger kalt! Und sobald die Gewebetemperatur die 30°C überschreitet, beginnen die Wärmesensoren zudem „Warm!“ zu melden.

Wenn wir dagegen im heissen Sommer nach draussen gehen, wird die Wärmeabgabe über die Haut plötzlich schwierig, sodass die Temperatur des Gewebes leicht bei über 30°C ansteigt. Die Wärmesensoren, die zuvor inaktiv waren, melden nun: Warm!. Wenn wir aber wieder in die auf 20°C klimatisierte Wohnung gehen, sinkt die Gewebetemperatur: Die Wärmesensoren melden „weniger warm“. Unterschreitet die Gewebetemperatur dabei die 30°C, beginnen die Kältesensoren zudem, „Kalt!“ zu melden.

Aus der Kälte kommend empfinden die Kältesensoren 28°C (im Gewebe!) also als „Wärmer!“ (= „weniger kalt“), ehe die Wärmesensoren mit einer ersten „Warm!“-Meldung zu arbeiten beginnen.

Indessen beginnen aus der Wärme kommend die Kaltsensoren erst bei knapp unter 30°C mit einer ersten „Kalt!“-Meldung zu arbeiten, nachdem die Wärmesensoren zunächst „weniger warm“ gemeldet haben.

Die Fähigkeit unserer Temperatursensoren, Temperaturänderungen zu messen, erlaubt uns also, die Richtung einer Temperaturänderung (nach oben oder nach unten) zu erkennen, auch wenn uns das Gefühl für die absolute Temperatur damit abgeht.

Kalt haben oder frieren? Wo ist der Unterschied?

Wenn wir Kälte empfinden bzw. „kalt haben“, wie wir hier in der Schweiz sagen, frieren wir nicht automatisch. Das geschieht nämlich erst, wenn die Innentemperatur unseres Körpers unter den Sollwert fällt.

Dazu kommt es entweder, wenn wir zu viel Wärme an die Umgebung verlieren und so eine (beginnende) Unterkühlung erleiden, oder wenn wir Fieber bekommen. Dann nämlich setzt die Körper-Kontrollzentrale den Sollwert für die Temperatur im Körperinneren um wenige Grad Celsius nach oben (die höhere Temperatur bedeutet mehr Energie für Stoffwechselvorgänge zur Infektabwehr und eine unbequemere Umgebung für Krankheitserreger – kurzum: Kriegszustand).

Beim Vergleich des neuen Solls mit dem Ist-Zustand stellen die Gewebe so dasselbe fest wie bei einer Unterkühlung: „Wir sind zu kalt – wir müssen mehr Wärme produzieren und festhalten!“

Viel Wärme können vor allem die Muskeln produzieren, wenn sie sich bewegen. Also fangen die Muskeln wild an zu zucken und zu zittern: Schüttelfrost! Dazu kommt ein generelles Kälteempfinden, das uns unter möglichst warme Decken kriechen lässt – dort geht dem Körper weniger Wärme verloren.

Auch eine „Gänsehaut“ dient(e) übrigens dazu, Wärme im Körper festzuhalten: Sie ist der Versuch, unser (fast) nicht mehr vorhandenes Fell zu sträuben, sodass es eine lauschig warme Luftschicht über der Haut umschliessen kann.

Zusammenfassung

Wir Menschen (und viele andere Tiere) nehmen vornehmlich Änderungen der Temperatur unseres Hautgewebes wahr. Diese Temperatur kann von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden.

Zur Temperaturwahrnehmung kommen zwei Sorten Sensoren für verschiedene Temperaturbereiche zum Einsatz. So kann die Überschreitung der Grenze zwischen den beiden Bereichen je nach Richtung zu unterschiedlichen Signalfolgen führen.

Zusätzliche Schmerzrezeptoren hindern uns daran, den wahrnehmbaren lebensfreundlichen Temperaturbereich leichtfertig zu verlassen.

Kalt haben bedeutet aber nicht automatisch frieren: Wir frieren erst (mit Schüttelfrost und starkem Verlangen nach wärmerer Umgebung), wenn die Körperinnentemperatur unter den Sollwert fällt.

Sind euch diese Eigenheiten unserer Temperaturwahrnehmung auch schon aufgefallen? Bei welchen Umgebungsbedingungen fühlt ihr euch denn am wohlsten?

Zeolithe: Wo die nützlichen Steine uns im Haushalt helfen

Zeolithe sind nicht nur im Haushalt äusserst nützlich. Auch als Nahrungsergänzungsmittel für Entgiftungskuren ist „Zeolith“ überaus populär. Da diese Anwendung dieser vielseitigen Stoffgruppe hier aber den Rahmen sprengen würde, kommt ein zweiter Artikel zu Zeolithen und Detox nächste Woche!

Was ist eigentlich in unserem Waschpulver drin? Diese Frage kam neulich beim Nachtessen mit der Schwiegermutter auf. Na klar: Seife. Oder in der Chemiker-Sprache: Tenside. Und über deren Super-Waschkraft habe ich hier ja schon geschrieben. Aber nachsehen schadet ja nichts, dachte ich. Und siehe da: Mein Universal-Waschpulver vom orangen M enthält nur 5-20% Tenside – und 15%-30% Zeolithe. Was ist das denn nun schon wieder?

Was sind Zeolithe?

Laut Definition im Chemiebuch oder auf Wikipedia sind Zeolithe eine Gruppe von „kristallinen Alumosilikaten“… mit anderen Worten: Steine. Und zwar Steine, welche die chemischen Elemente Silizium und Aluminium enthalten. Das ist an sich nichts besonders, sind Silizium und Aluminium doch das zweit- und dritthäufigste Element in der Erdkruste.

So hübsch sind Zeolithe selten: Natrolith aus meiner Mineraliensammlung – ein natürlicher Zeolith auf Basalt. Dieses Grundgestein hat Naturzeolithen auch die Bezeichnung als „natürliches Vulkangestein“ eingebracht.

Das Ionengitter der Zeolith-Kristalle, aus welchen diese Steine bestehen, ist allerdings ein ganz besonderes: Es enthält grosse Lücken, die den ganzen Kristall zu einem porösen Schwamm machen!

Wie sind Zeolith-Kristalle aufgebaut?

Die allgemeine Verhältnisformel der Zeolithe lautet:

Mn+x/n [(AlO2)x (SiO2)y. z H2O

Ein Schweizer Käse aus Si- und Al-Atomen

Der Inhalt der eckigen Klammer beschreibt das eigentliche Kristallgitter: Es besteht aus Silizium (Si)-, Aluminium (Al)- und Sauerstoff (O)-Atomen, wobei auf x Silizium-Atome stets y Aluminium-Atome kommen. Jedes dieser Atome ist mit vier Sauerstoffatomen verbunden (die wiederum werden dazu je zweimal verwendet, weshalb die Formel nur 2 Sauerstoff-Atome je Metallatom enthält). Anders eingeteilt besteht das Zeolith-Gitter somit einander überlappenden Sauerstoff-Tetraedern mit je einem Silizium- oder Aluminiumatom im Zentrum.

Molekülmodell: Tetraeder

Molekülmodell in Form eines Tetraeders: Die vier weissen Kugeln befinden sich in den vier Ecken dieses geometrischen Körpers, die pinke Kugel liegt in dessen Zentrum.

Wer sich ein etwas mit organischer Chemie auskennt (da sind es Kohlenstoff-Atome, die mit ihren Nachbarn Tetraeder bilden), weiss, dass man aus Tetraedern die vielfältigsten Gerüste bauen kann. Deshalb gibt es ein wahres Sammelsurium von Zeolithen:

60 natürlich vorkommende Mineralien gehören zu dieser Gruppe, über 150 weitere sind von Chemikern entworfen und künstlich hergestellt worden!

Sie alle haben eines gemeinsam: Ihre Gitter umfassen mehr oder weniger grosse Hohlräume – ein richtiger molekularer Schweizer Käse. In Waschmitteln findet man vor allem der synthetische Zeolith A, dessen Kristallgitter so aussieht:

Kristallgitter von Zeolith A

Jede Ecke in der Skizze steht für ein Silizium- oder Aluminium-Atom. Die Sauerstoff-Atome sind dazwischen entlang der Verbindungslinien angeordnet.

Grundbaustein der Zeolithe: Sodalith-Käfig mit Si-, Al- und O-Atomen
Ein Element des Zeolith-A-Gitters mit eingezeichneten Atomen

In der Mitte zwischen acht dieser Einheiten bleibt ein relativ grosses Loch, dessen Wände die Chemiker als alpha-Käfig“ bezeichnen.

Gitter des Zeolith A mit markiertem alpha-Käfig
Die Wände des Alpha-Käfigs in diesem Ausschnitt aus dem Zeolith-A-Gitter sind dunkel eingefärbt.

Im Zeolith A sind ebenso viele Silizium- wie Aluminium-Atome enthalten – die Verhältnisformel für diesen Zeolith lautet damit:

Na12((AlO2)12(SiO2)12) · 27 H2O

Zeolith-Kristalle sind Riesen-Anionen

Wenn ihr euch die allgemeine Verhältnisformel der Zeolithe oder die für Zeolith A genauer angesehen habt, ist euch vielleicht das „-“ an der Aluminium-Einheit aufgefallen. Richtig: Jeder Aluminium-Tetraeder im Gitter trägt eine negative elektrische Ladung. Damit ist das ganze Kristallgitter eines Zeoliths ein einziges riesiges und tausendfach geladenes Anion!

So etwas lässt die Natur aber nicht einfach frei und einsam existieren…entgegengesetze Ladungen müssen für den Ausgleich her. Hier kommen die positiven Metall-Ionen Mn+, die ganz links in der Verhältnisformel stehen, ins Spiel. Für jede negativ geladene Aluminium-Einheit muss ein einfach positiv geladenes (n = 1) Metall-Ion her. Wenn mehrfach positiv geladene (n > 1) Metall-Ionen zur Hand sind, ist die Anzahl x der Aluminium-Einheiten durch die Ladungszahl der Metall-Kationen zu teilen (x/n).

Zeolith A enthält einfach geladene Na+-Ionen – 12 davon für 12 Aluminium-Einheiten, die in den Lücken im Gitter Platz finden und sich locker um das negativ geladene Gerüst herum anordnen.

Zeolithe sind molekulare Schwämme

Ausserdem ist in den Lücken noch reichlich Platz für Wassermoleküle. Die finden sich ganz rechts in der Verhältnisformel wieder. Die Wassermoleküle umhüllen sowohl die Metall-Kationen als auch das Gitter selbst, was den Metallionen den Aufenthalt im Gitter erst richtig gemütlich macht (eine Wasserhülle (in Chemikersprache: „Hydrathülle“) um ein wasserlösliches Ion enthält weniger Energie als das Ion ohne Hülle, was den umhüllten Zustand erstrebenswerter macht).

Durch Erhitzen können diese Wassermoleküle jedoch zum Verdampfen gebracht werden und den Kristall verlassen. Das ist eine charakteristische Eigenschaft von sogenanntem „Kristallwasser“, das einer chemischen Formel mit einem „*“ bzw. Multiplikations-Punkt angehängt wird.

Auf eine Grundeinheit des Zeolith-A-Gitters kommen so normalerweise 27 Wassermoleküle.

Was hat die grosse Menge Zeolith A in Waschmitteln zu suchen?

Zeolithe können Wasser enthärten!

Die Hohlräume der Kristalle der Zeolithe enthalten von Wasser umhüllte Natrium-Ionen. Diese Ionen sind damit regelrecht im Kristallwasser gelöst. Das macht sie leicht darin beweglich. Tatsächlich können sie sich durch den ganzen Kristall und hinaus bewegen. Wenn sich nun andere Metall-Ionen finden, die es in einem Zeolith-Kristall noch behaglicher finden, können die Natrium-Ionen deshalb ganz leicht gegen solche ausgetauscht werden.

Und in unserem Leitungswasser, mit welchem wir unsere Wäsche waschen, finden sich solche Ionen zuhauf. Es ist schliesslich mehr oder weniger „hart“ – es enthält Kalk: Calciumcarbonat, genauer gesagt Calcium- (Ca2+) und Carbonat- (CO32-) Ionen.

[Für die Chemiker unter euch: Carbonat CO32- ist natürlich eine Base und reagiert mit Wasser zu Hydrogencarbonat- (HCO3) und Hydroxid-Ionen (OH) weiter, anstatt einfach gelöst zu werden. Aber das ist hier für einmal nicht von Bedeutung.]

Zusammen bilden diese beiden die gefürchteten Kalkbeläge, welche die Leitungen in unseren Waschmaschinen verstopfen und die Wäsche steif machen können. So etwas will keiner haben.

Wenn Zeolithe im Waschwasser sind, machen es sich die Calcium-Ionen jedoch lieber in den Hohlräumen des Zeolith-Gitters gemütlich und verdrängen dabei die Natrium-Ionen aus dem Zeolith A. Einen vollständigen Austausch von Natrium- gegen Calcium-Ionen könnte man so beschreiben:

Na12((AlO2)12(SiO2)12) · 27 H2O + 6 Ca2+(aq) –> Ca6((AlO2)12(SiO2)12) · 27 H2O + 12 Na+(aq)

Nachdem die Calciumionen sich im Zeolith eingerichtet haben, bleiben im Wasser Natrium- und Carbonat-Ionen zurück. Und Natriumcarbonat (auch als „Soda“ bekannt) ist sehr gut wasserlöslich. So lagert es sich weder in der Maschine noch in der Wäsche ab und kann einfach fortgespült werden.

Das Gleiche geschieht mit dem Zeolith-Pulver. Das ist zwar nicht wasserlöslich, aber so fein gemahlen, dass es einfach mit weggeschwemmt wird.

Womit hat man früher Wasser enthärtet?

Künstliche Zeolithe wie Zeolith A kommen erst seit den späten 1970er Jahren in Waschmitteln zum Einsatz. Davor haben Gerüste aus Phosphor und Sauerstoff – also Phosphate – diese Aufgabe übernommen. Die Phosphat-Gerüste neigen allerdings dazu zu zerfallen, was sie zu ergiebigen Nährstoffen für Pflanzen macht.

Als solche Phosphate vermehrt mit Abwässern in die Umwelt gelangten, wurde das rasch zum Problem: Die Nährstoff-Schwemme führte zu Überdüngung und brachte viele ökologische Systeme aus dem Gleichgewicht. So wurden die Phosphate zunehmend durch Zeolithe ersetzt. Denn letztere sind schliesslich Steine – die taugen nicht als (unnötiger) Dünger.

Einen Haken haben Steine aber dennoch: Sie sind wasserunlöslich. Damit gelangt das ganze Zeolith-Pulver unverändert mit dem Abwasser in die Kläranlagen…und was gibt pulverisiertes Gestein in Wasser? Richtig: Schlamm. Und der sammelt sich in den Klärbecken. Seit Zeolithe in Waschmitteln zum Einsatz kommen, müssen Klärwerke deshalb mit merklich mehr Klärschlamm fertig werden – Grund genug, auch phosphatfreie (und zeolithhaltige) Waschmittel nicht in übertriebenen Mengen einzusetzen.

Zeolithe als Helferlein im Katzenklo

Habt ihr Katzen daheim? Dann kennt ihr Zeolithe wahrscheinlich auch von anderswo. Nämlich aus dem Zoohandel. Da wird nämlich gerne ein Naturzeolith (also ein natürlich vorkommendes Mineral) namens Klinoptilolith als Katzenstreu angeboten.

Die porösen Kristallgitter lassen sich nämlich nicht nur als Ionenaustauscher nutzen, sondern auch wie ein richtiger Schwamm! Das geht dann besonders gut, wenn der Zeolith etwa ebenso viele Silizium- wie Aluminiumatome enthält. Das synthetische Zeolith A ist ein gutes Beispiel dafür: Hier ist das Verhältnis zwischen Silizium und Aluminium 1:1. Aber auch Klinoptilolith mit 5:1 ist noch ein wunderbarer Schwamm.

Diese Zeolithe sind nämlich wahnsinnig heiss darauf, ihre Poren mit zusätzlichem Wasser aus ihrer Umgebung zu füllen (buchstäblich: Da es das Wasser in den Poren so bequem hat, wird eine Menge Energie, genannt „Adsorptionswärme“, dabei frei.

Doch damit nicht genug: Mit dem Wasser saugen sie auch vieles auf, was darin gelöst ist. Zum Beispiel Geruchsstoffe im Katzenurin. So werden die Nasen der menschlichen Dosenöffner geschont, während die Katze ihr Geschäft in natürlichem Gesteinsschutt verscharren kann.

Von Zeolith-Katzenstreu zu Pflanzenerde

Natürlicher Gesteinsschutt, der Wasser und überdies noch Nährstoffe (Urin, auch von Katzen, enthält naturgemäss Stickstoffverbindungen) speichert, kann zudem als Bestandteil von Pflanzenerde nützlich sein (andere formstabile Wasserspeicher sind „Superabsorber“ aus organischen Polymeren („Kunststoffen“), die ich in diesem Experiment als Ersatz für Pflanzenerde verwendet habe). Deshalb gilt Katzenstreu aus Naturzeolithen als geeignet für den Kompost.

Eigentlich sollte für synthetische Zeolithe dasselbe gelten – es handelt sich dabei schliesslich um Designer-Steine. Aber „natürlich“ hat nunmal die weitaus grössere Werbewirkung – und ist in diesem Fall überdies billiger. Naturzeolithe kommen nämlich nahe der Erdoberfläche vor und können im Tagebau gewonnen werden (mit allen Konsequenzen für die Landschaft). Das künstliche Nachstellen der Entstehung von Steinen – so werden synthetische Zeolithe gemacht – ist hingegen ziemlich aufwändig. Mehr zum Vergleich von natürlichen und synthetischen Zeolithen findet ihr hier.

Zeolith im Geschirrspüler

Die „Saugfähigkeit“ von Zeolithen wird seit einigen Jahren auch in der Küche genutzt. Hier kommt eine fest eingebaute Schale mit Zeolith-Pellets in der Spülmaschine zum Einsatz. Und zwar zur energiesparenden Trocknung.

Die Idee dahinter: Nach dem Spülgang ist das Maschineninnere samt Geschirr und Luft noch nass. Ein Ventilator bläst diese feuchte Luft durch den Behälter mit dem Zeolith, welcher das Wasser „aufsaugt“ und dabei eine grosse Menge (Adsorptions-)Wärme abgibt. Die Luft kommt also trocken und warm in den Geschirrspüler zurück und bringt dort weiteres Wasser zum Verdampfen, das anschliessend vom Zeolith aufgenommen werden kann.

Beim nächsten Spülgang wird dagegen der Zeolith geheizt, sodass das Wasser aus den Poren im Kristallgitter verdampft und in den Geschirrspüler zurückgeführt werden kann. So wird der Zeolith für die nächste Trocknung wieder einsatzbereit gemacht.

Das Ganze gilt als sehr energieeffizient – allerdings liest man im Netzt viele Berichte über Geschirrspüler Zeolith-Trocknung (zum Beispiel hier und hier), die bereits nach drei bis fünf Jahren reif für eine unwirtschaftlich teure Reparatur sind. Ob diese Berichte repräsentativ sind, kann ich natürlich nicht sagen – aber es scheint, als wäre diese Technologie noch ausbaufähig.

Schaden oder nützen Zeolithe der Gesundheit?

Mehr dazu gibt es nächste Woche im zweiten Teil über Zeolith für Detox-Kuren!

Und wo sind euch Zeolith bzw. Zeolithe bislang begegnet?


Popcorn : Was den Mais zum Ploppen bringt

Winterzeit ist Popcorn-Zeit! Lange, düstere Tage laden zum Gang ins Kino oder zu gemütlichen Stunden im Heimkino ein. Und zum Film gehört eines praktisch immer dazu: Popcorn. Um so passender ist die heutige Leserfrage:

Was passiert beim Popcornmachen?

Den beliebte Snack könnt ihr herstellen, indem ihr Maiskörner stark erhitzt – in der Pfanne, einer speziellen Popcornmaschine oder der Mikrowelle – bis die Körner regelrecht explodieren und dabei lustig durch ihren Behälter hüpfen. Um zu verstehen, was beim Popcornmachen geschieht, müsst ihr wissen, wie so ein Maiskorn aufgebaut ist.

So ist ein Maiskorn aufgebaut

Wie die meisten Pflanzensamen bestehen Maiskörner aus drei Teilen:

  • dem Embryo, einem winzigen, unscheinbaren „Anfang“ einer neuen Pflanze
  • dem Endosperm, einer weichen Masse, die um den Embryo herum das Innere des Samens ausfüllt und der ersten Ernährung des späteren Keimlings dient
  • der Schale, welche den Samen von aussen fest umschliesst
Querschnitt durch ein Samenkorn: a) Schale, b) Endosperm, c)+d) Embryo

Agnieszka Kwiecień ( Nova) [GFDL, CC BY-SA 3.0 or CC BY 2.5], from Wikimedia Commons

Für das Poppen des Popcorns zuständig ist vor allem das Endosperm. Das besteht zu grossen Teilen aus Stärke – einem Naturstoff, der aus beliebig langen kettenartigen Molekülen besteht. Diese Ketten sind durch Querstreben miteinander vernetzt, sodass sie einen regelrechten Molekül-Schwamm bilden.

Ausschnitt aus einem Stärkemolekül mit Verzweigung (Amylopektin)
Ausschnitt aus dem Stärke-Netzwerk im Endosperm: Stärke besteht aus sechseckigen Zuckermolekülen, die miteinander verkettet sind.

Und wie ein richtiger Schwamm ist dieser Molekül-Schwamm mit Wasser vollgesogen – und zwar mit flüssigem Wasser.

Damit das Ganze nicht auseinander fällt oder das Wasser verloren geht, ist das Maiskorn von einer harten, wasserundurchlässigen Schale umgeben.

Was passiert, wenn man Maiskörner erhitzt

Wenn ihr die Maiskörner erhitzt, beginnt das Wasser im Endosperm spätestens ab 100°C zu sieden: Es will verdampfen. Doch Wasserdampf ist (wie alle Gase) extrem raumfordernd: Der Dampf nimmt bei normalem Atmosphärendruck nämlich mehr als 1600 mal mehr Platz ein als flüssiges Wasser!

Allerdings ist die Schale der Maiskörner so steif, dass sich der Dampf in ihrem Innern nicht ausdehnen kann. Stattdessen steigt der Druck im Innern der Maiskörner, sodass weiteres Wasser vorerst nicht verdampfen kann. Erst bei etwa 200°C gibt die Schale schliesslich dem steigenden Druck nach und zerplatzt.

Damit kann das überhitzte Wasser nun schlagartig verdampfen und der Dampf dehnt sich explosionsartig aus. Dabei reisst er den durch die Hitze aufgeweichten Molekül-Schwamm des Endosperms regelrecht auseinander. Das Stärke-Gewebe kühlt dabei schnell ab und erstarrt. So entsteht ein steifes Molekül-Netzwerk, in dessen vergrösserten Zwischenräumen Luft eingeschlossen wird: Ein Popcorn.

Gepopptes Popcorn in zwei typischen Formen: Links ist die Schale in kleine Stücke zerplatzt und das Endosperm konnte sich relativ gleichmässig ausdehnen. Rechts ist die äussere Schicht des Endosperms vom Inneren abgeplatzt, die Schale des Maiskorns befindet sich auf der Rückseite.
Bunchofgrapes [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC BY-SA 2.5], from Wikimedia Commons

Wie bekommt der Mais Geschmack?

Beim Erhitzen bilden sich im Mais selbst bis zu 23 Aromen, die dem Popcorn den Geschmack und Geruch von geröstetem Getreide verleihen. Für den typischen Popcorn-Geschmack zum Beispiel sorgt 2-Acetyl-1-Pyrrolin (nach Chemiker-Regeln: 1-(3,4-Dihydro-2H-pyrrol-5-yl)ethanon).

Strukturformel des Popcorn-Aromas
2-Acetyl-1-Pyrrolin, das „Popcorn-Aroma“

Werden bei der Zubereitung Fett, Zucker oder/und Salz zum Mais gegeben, bleiben diese Stoffe ebenfalls auf der Oberfläche des Gewebes haften, gehen chemische Reaktionen ein und geben dem Popcorn Geschmack.

Kristallzucker wird bei 143°C bis 160°C zu Karamell, welches das fertige Popcorn als braun glänzende Schicht überzieht. Da bei höheren Temperaturen jedoch bittere Zuckercouleur entsteht, gebt den Zucker nicht zum Poppen mit dazu, sondern vermischt das frisch gepoppte Popcorn erst nachher mit frisch hergestelltem, warmem Karamell!

Funktioniert das mit allen Maiskörnern?

Nein. Damit der Mais bei haushaltstauglichen 200°C platzt, darf die Schale der Körner nicht zu dick sein. Eine ausreichend dünne und dennoch dichte Schale hat nur eine Maissorte: Der sogenannte „Puffmais“ (Zea mays ssp. mays convar. microsperma) wird als Popcornmais zum Selberpoppen verkauft.

Einige Körner Popcorn - Mais
Puffmais, auch als Popcorn-Mais bekannt: Die Körner haben eine dünnere, glasigere Schale als andere Maissorten

Wie funktioniert Popcorn in der Mikrowelle?

Ein gewöhnlicher Herd oder das Heizgerät einer Popcorn-Maschine werden warm und übertragen die Wärme direkt auf den Mais. Wärme ist dabei nichts anderes als die Bewegung (in Feststoffen: das Schwingen im festen Teilchengitter) von Teilchen: Die Teilchen in der heissen Herdplatte bewegen sich schnell, schubsen die Teilchen im Topf an, welche wiederum die Teilchen in den Maiskörnern anschubsen – darunter die Wassermoleküle. Und sobald die sich schnell genug bewegen, fangen sie an zu verdampfen.

So heizt ein Mikrowellenherd

Ein Mikrowellenherd gibt seine Energie direkt an Wasser ab – nicht durch Anschubsen von Teilchen wie auf der klassischen Herdplatte, sondern durch elektromagnetische Wellen. Die Wellenlänge dieser Wellen ist genau so gewählt (und liegt im Mikrowellenbereich, deshalb heisst der Herd so), dass sie Wassermoleküle (und weitgehend nur die) in Bewegung versetzen können. Und bewegte Wassermoleküle sind warm.

Unsere Speisen bestehen zu grossen Teilen aus Wasser, welches durch die Mikrowellen erwärmt wird und alle anderen Moleküle in ihrer Umgebung anschubst. So werden die Speisen warm – die Teile des Tellers, die nicht mit Wasser in Kontakt sind, aber nicht.

Popcorn in der Mikrowelle

Beim Popcorn bewirken die Mikrowellen das gleiche wie die Wärmeübertragung durch einen Herd: Wassermoleküle werden in Bewegung versetzt (und damit heiss), bis sie verdampfen wollen. Und wenn der so entstehende Druck in den Maiskörnern hoch genug wird, platzen die Körner auf.

Weil die bis um 200°C erreicht werden können, sind nicht alle Kunststoffbehälter zum Popcornmachen in der Mikrowelle geeignet. Viele Kunststoffe „schmelzen“ schon ab 150°C! Deshalb sind Mikrowellenschüsseln aus Keramik oder Glas die besser Wahl.

Wie entsteht buntes Popcorn?

Manche Hersteller färben ihr Popcorn mit knallbunten Farben ein, um dann zum Beispiel bunte Spielzeugbehälter zu füllen. Dazu verwenden sie verschiedene Lebensmittelfarbstoffe (die z.B. auch in Ostereierfarben zum Einsatz kommen).

Wenn ihr das nachmachen möchtet: Färbt euer Popcorn erst nach dem Poppen und Abkühlen! Die üblichen Lebensmittelfarbstoff-Moleküle gehen nämlich schon ab etwa 150°C kaputt und verlieren so ihre Farbe! Das musste ich feststellen, als ich versucht habe, gefärbte DIY-Knete auszubacken.

Popcorn als nachhaltiges Verpackungsmaterial

Ohne Fett und Zucker gepopptes Popcorn kann übrigens wie Styroporflocken als Stossschutz- und Isoliermaterial in Verpackungen verwendet werden. Es ist schliesslich fast genauso leicht wie Styropor, besteht im Unterschied dazu aber aus einem nachwachsenden Rohstoff (Styropor hingegen ist ein Erdölprodukt).

Nach dem Transport des Verpackungsinhalts kann es als Vogelfutter verwendet oder kompostiert (und vielleicht für den Maisanbau wiederverwendet?) werden.

Ich vernasche mein Popcorn allerdings am liebsten – karamellisiert oder mit Karamell und Salz (!), wie wir es während unserer Australienreise im Supermarkt erstanden und ständig mit im Auto hatten.

Und wie mögt ihr euer Popcorn am liebsten?

Wie Streusalz wirkt - Nutzen und Gefahren im Winterdienst

(Titelbild: CC BY-SA3.0 by Heidas)

Willkommen im neuen Jahr – mit viel Schnee bis in die Niederungen und entsprechend viel Streusalz auf den Strassen. Letzten Samstag habe ich zwei Schneepflügen zugesehen, die in aller Eile unseren Busbahnhof geräumt haben. Dabei fiel mir am Heck jedes Fahrzeugs gleich ein Streuteller ins Auge. Dieses runde Gerät dreht sich fortlaufend und verteilt – die Zentrifugalkraft ausnutzend – Streusalz auf die frisch geräumte Fläche.

Tatsächlich wird in der Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – besonders wenn man ihre Grösse und Bevölkerung berücksichtigt – nach wie vor ziemlich viel Salz gestreut. Aber warum machen die Städte und Gemeinden das? Wie kann Streusalz verhindern, dass es Glatteis gibt? Und wie sorgt es dafür, dass Eis und Schnee schmelzen?

Was ist Streusalz?

Das Salz, welches gegen Schnee- und Eisglätte gestreut wird, ist tatsächlich nichts anderes als gewöhnliches Kochsalz, also Natriumchlorid, NaCl. In Ländern wie Deutschland, die auf geniessbares Kochsalz eine Salzsteuer erheben, wird das Streusalz „vergällt“. Das heisst, es werden Stoffe hinein gemischt, die das Salz ungeniessbar machen. Deshalb ist Streusalz – das in grossen Mengen gebraucht wird – oft wesentlich preiswerter als Tafel- oder hochreines Labor-Salz.

Wenn das Streusalz auch bei sehr hartem Frost funktionieren soll, wird das Natriumchlorid zudem mit anderen Salzen wie Calciumchlorid, CaCl2, oder Magnesiumchlorid, MgCl2, vermischt. Diese Salze haben auch bei niedrigeren Temperaturen eine auftauende Wirkung.

All diese Salze bestehen aus Ionen, also elektrisch geladenen Atomen, die sich zu einem Gitter – einem Ionenkristall – zusammengelagert haben. In Wasser werden die Ionen jedoch voneinander getrennt: Jedes dieser Salze löst sich in Wasser. Aus Natriumchlorid entstehen dabei Natrium- und Chlorid-Ionen:

NaCl –(H2O)–> Na+(aq) + Cl(aq)

Wie kann Streusalz verhindern, dass Wasser gefriert?

Wenn flüssiges Wasser auf 0°C oder darunter abkühlt, lagern sich auch Wassermoleküle zu Eiskristallen zusammen. Allerdings sind Wassermoleküle nicht elektrisch geladen. Stattdessen sind die Elektronen in solchen Molekülen nicht gleichmässig verteilt, sodass ein Ende eines Wassermoleküls negativer, das andere positiver geladen ist.

Wasserteilchen mit zwei Ladungs-Schwerpunkten
Das Sauerstoff-Ende (rot) eines H2O-Moleküls hat einen negativen, das Wasserstoff-Ende (weiss) einen positiven Ladungsüberschuss.

Das lässt sich übrigens mit diesem spannenden Experiment ganz einfach zeigen.

Die negativ geladenen Enden wenden sich im Eiskristall den positiv geladenen Enden der nächsten Moleküle zu und umgekehrt. So bestimmen die Ladungsüberschüsse in den Wassermolekülen die Form des Eiskristallgitters.

Ein Modell eines Eiskristalls: Die schwarzen bzw. silbernen „Eckstücke“ stellen Wassermoleküle dar, die Verbindungsstäbe stehen für Wasserstoffbrücken zwischen den unterschiedlichen Ladungsschwerpunkten benachbarter Moleküle.

Wenn man nun Kochsalzkristalle („Salzkörner“ sind ganz kleine Kristalle) in flüssiges Wasser mischt, lagern sich die Wassermoleküle mit dem jeweils entgegengesetzt geladenen Ende an die Natrium- und Chlorid-Ionen im Gitter an. Dabei drängen sich die Wassermoleküle derart heftig um die Ionen, dass diese schliesslich aus dem Ionengitter herausgelöst werden! Damit können die einzelnen Ionen vollständig von Wassermolekülen umlagert werden.

Natriumion mit Hydrathülle
Ein Natrium-Ion ist vollständig von Wassermolekülen umgeben, die dem positiv geladenen Ion ihre negativ geladenen Enden zuwenden. An diese innere Hülle lagern sich weitere Wassermoleküle an – das negative Ende wiederum dem Ion zugewandt – an, sodass eine Hydrat-Hülle sehr dick werden kann.

Chemiker sagen, die Ionen sind von einer „Hydrat-Hülle“ umgeben, oder – kurz gesagt – „hydratisiert“ (das „aq“ in der Reaktionsgleichung oben meint genau diesen Zustand: Na+(aq) ist ein Natrium-Ion mit Hydrat-Hülle; „aq“ steht dabei für das lateinische „aqua“ für Wasser).

Wasser ist nicht multitaskingfähig

Damit sind die Wassermoleküle ziemlich schwer beschäftigt. Nicht einmal bei Temperaturen knapp unter 0°C können sie sich von den Ionen losreissen und ihre Plätze in einem Eiskristall einnehmen. Und da die Hydrathülle eines jeden Ions aus weit mehr als einer Molekül-Schicht besteht, ist schnell ein Grossteil aller Wassermoleküle zu beschäftigt, um zu gefrieren. Das Wasser mit den gelösten und hydratisierten Salz-Ionen bleibt also flüssig.

Erst bei Temperaturen unter -21°C (im Labor) bilden sich Mischkristalle, die aus Salz-Ionen und Wassermolekülen bestehen – kurz gesagt: Salzwasser-Eis. Das Kristallgitter von Salzwasser-Eis ist allerdings bei weitem nicht so regelmässig wie das von reinem Wasser-Eis. Das ganze Mischmasch hält einfach weniger gut zusammen. Deshalb ist der Gefrierpunkt von Salzwasser tiefer als der von reinem Wasser. Chemiker und Physiker nennen diesen Umstand „Gefrierpunkterniedrigung“.

Gefrierpunkterniedrigung auf der Strasse

Streut man also Kochsalz auf eine nasse Strasse, so bildet sich auch bei Temperaturen bis zu etwa -10°C kein Eis. Enthält das Streusalz zudem oder stattdessen Calcium- oder Magnesiumchlorid, kann das Wasser auf der Strasse auch bei bis zu -20°C flüssig bleiben. Diese Salze enthalten nämlich Ca2+– bzw. Mg2+-Ionen, die grösser als Na+-Ionen sind. Damit ist das Gitter von Calcium- bzw. Magnesium-Salzwasser-Eis noch unregelmässiger als das von Natrium-Salzwasser-Eis – und hält entsprechend noch weniger gut zusammen.

Und wenn es bereits friert: Wie kann Streusalz Eis schmelzen?

Eiswasser und Le Châtelier: Eine bewegliche Angelegenheit

Erreicht die Temperatur von Wasser (fest oder flüssig) den Gefrierpunkt (bei 0°C) können sich zuvor bewegliche Wassermoleküle zu einem festen Eiskristall zusammenlagern und sich daraus lösen und zu flüssigem Wasser werden. Das heisst: Während an einigen Orten an der Kristalloberfläche neue Moleküle hinzu kommen, werden an anderen Orten andere Moleküle wieder abgelöst. Ob dabei (mehr) Eis entsteht oder schmilzt, hängt davon ab, ob dem Wasser Energie zugeführt oder entzogen wird.

Sobald nämlich flüssiges Wasser und Eis miteinander vorhanden sind, ist das Ganze ein dynamisches (d.h. bewegliches) System, welches dem Gesetz von Le Châtelier gehorcht (das Le Châtelier höchstselbst uns hier am Flughafen erklärt).

Wird dem Eiswasser Energie entzogen (z.B. durch Kühlung), kommen mehr neue Moleküle zum Eis hinzu, als davon abgelöst werden, sodass irgendwann das ganze Wasser zu Eis erstarrt. Wird stattdessen Energie hinzugefügt (z.B. durch Erwärmen), verhält es sich umgekehrt: Es lösen sich mehr Moleküle vom Eis als hinzu kommen, bis das ganze Wasser flüssig ist.

Mit diesem spannenden Experiment könnt ihr feststellen, dass sich die Temperatur des Eiswassers durch Erwärmen tatsächlich nicht ändert, so lange Eis und Wasser miteinander vorhanden sind!

In einer Umgebung ohne sich verändernde äussere Einflüsse (insbesondere ohne Energie-Austausch, was im Alltag ziemlich unrealistisch ist), kann sich sogar ein dynamisches Gleichgewicht einstellen: Wenn stets ebenso viele Wassermoleküle zum Kristall hinzukommen wie sich davon lösen, gefriert und schmilzt das Wasser ständig – aber die Menge des Eises (und des flüssigen Wassers) ändert sich nicht!

Kochsalz übt einen Zwang auf das System aus

Bringt man nun Kochsalz (oder einen anderen Stoff mit „Auftauwirkung“) in ein solches Eiswasser-System, dann wird ein erheblicher Teil Moleküle des flüssigen Wassers mit der Bildung von Hydrat-Hüllen um die Ionen „beschäftigt“. Diese Moleküle „fehlen“ dem Eiswasser-System damit regelrecht. Und gemäss dem Gesetz von Le Châtelier ist das System umgehend darum bemüht, diesen Verlust auszugleichen.

Das Fehlen der flüssigen Wassermoleküle führt also dazu, dass sich mehr Moleküle aus dem Eis lösen, um die Fehlenden zu ersetzen. Das sind mitunter so viel mehr Moleküle, dass insgesamt mehr Wasser flüssig wird als gefriert – obwohl ohne Salz mehr Wasser gefroren wäre! So kann die Gegenwart von Streusalz selbst bei Temperaturen unter 0°C Eis zum Schmelzen bringen.

Wie kommt man bei Frost zum dynamischen System?

Wenn ihr gut aufgepasst habt, werdet ihr jetzt vielleicht einwenden, dass das Auftauen nur funktionieren kann, wenn Eis und flüssiges Wasser vorhanden sind. Und letzteres gibt es bei Frost naturgemäss nicht!

Guter Einwand. Aber die Verwender von Streusalz wissen das natürlich auch. Deshalb streuen sie das Salz gleich mit flüssigem Wasser – als pflotschigen Salz-Matsch oder gar als mehr oder weniger flüssige Salzlösung – also als „Sole“ wie die Fachleute so etwas nennen.

Ausprobieren könnt ihr das Ganze hingegen mit trockenem Salz – in eurer warmen Wohnung. Da beginnt Eis nämlich von selbst zu schmelzen und bekommt so eine feuchte Oberfläche. Wie könnt ihr das nutzen? Das zeige ich euch in dieser ganz herzigen Experimentier-Anleitung.

Wie schadet Streusalz der Umwelt?

So nützlich Auftausalz auch ist, bringt es doch eine ganze Reihe von Problemen für die Umwelt, in die es ausgebracht wird, mit sich.

Beeinträchtigung von Gewässern

Die grossen Mengen an Salzen, die auf Strassen und Wege gestreut werden, lösen sich äussert gut in Wasser. Das sollen sie ja auch, denn sonst würde das Ganze nicht funktionieren. Die Salzlösung, die aus Schneematsch und tauendem Eis entsteht, kann jedoch ebenso leicht wie ablaufendes Wasser in umliegende Gewässer geraten. Und Salzwasser hat eine höhere Dichte als das normalerweise dort vorhandene Süsswasser: Ein Volumen an Salzwasser ist schwerer als das gleiche Volumen Süsswasser!

Ein natürliches Gewässer, das aus mehreren Wasserschichten unterschiedlicher Temperatur und Dichte besteht (die Dichteanomalie des Wassers führt dazu, dass reines Wasser bei rund 4°C die grösste Dichte hat), kann durch den Zufluss von Salzwasser von gestreuten Strassen eine oder mehrere neue Schicht/en erhalten. Solche neuen oder veränderten alten Schichten bringen die natürliche, temperaturgesteuerte Umwälzung der Wassermassen im Gewässer durcheinander, was die Verteilung von Sauerstoff und Nährstoffen beeinträchtigt und damit die Lebewesen im Gewässer gefährdet.

Schädigung von Bäumen und anderen Pflanzen

Die Gewächse im Binnenland und in Süssgewässern sind daran angepasst, dass sie Süsswasser „trinken“ und ihre Nährstoffe daraus beziehen können. Das heisst, der Austausch von Wasser und darin gelösten Stoffen zwischen Wurzeln oder Blättern und ihrer Umgebung, der auf Osmose beruht (die ihr hiermit genauer erforschen könnt) ist fein auf einen geringen Salzgehalt abgestimmt.

Kurz gesagt nehmen viele Pflanzen- (und andere) Zellen um so mehr Wasser auf, je mehr Salze sie enthalten – und geben Wasser ab, wenn draussen mehr Salze sind als in ihrem Inneren. Das gilt jedoch nicht für Wurzeln, die Wasser mitsamt der darin enthaltenen Mineralstoffe (die nichts anderes als Salz-Ionen sind) aufnehmen sollen, von welchen die Pflanze sich ernährt.

Geraten diese Pflanzen nun unverhofft an Salzwasser von gestreuten Strassen, „trinken“ sie das Wasser mitsamt dem vielen Salz. Das wiederum wird in die verschiedenen Pflanzenzellen verteilt und zieht weiteres Wasser nach sich: Die Zellen schwellen an und funktionieren nicht mehr richtig. In Folge dessen kränkeln die Pflanzen und gehen im schlimmsten Fall ein.

Tiere bekommen wunde Pfoten

Wer schon einmal mit einem Kratzer in der Haut im Meer gebadet hat, wird es selbst erfahren haben: Salzlösung tut weh! Sie kann die Haut reizen, besonders an empfindlichen vorgeschädigten Stellen. Wie zum Beispiel in den Zehenzwischenräumen von Säugetieren. Wenn es uns Menschen juckt oder zwickt, dann kratzen wir – die Tiere hingegen lecken solche wunden Stellen mit der Zunge. Im Speichel der Tiere wiederum lauern Keime, die so an die wunden Stellen geraten und Infektionen hervorrufen können, welche zu stärkeren Entzündungserscheinungen führen. Und mehr Salz in diesen Wunden tut wiederum weh, sodass mehr geleckt wird…

Mit dem Haushund oder der Katze können wir zum Tierarzt gehen, Salben auftragen und eine Halskrause anlegen, um das Lecken zu unterbinden – begeistert werden die Haustiere davon aber nicht sein. Und Wildtiere wie Füchse können in der Regel nicht einmal auf diese Hilfe zählen.

Korrosion von Metall- und Betonbauteilen

Vielleicht ist euch ja auch schon einmal aufgefallen, dass man in Häfen oder allgemein an der Meeresküste besonders viel Rost antrifft – tatsächlich rostet Eisen, das Kontakt mit Salzwasser hat, deutlich schneller als Eisen fernab vom Meer.

Das rührt daher, dass Wasser mit darin gelösten Salz-Ionen wesentlich besser elektrischen Strom leitet als Süsswasser oder gar reines Wasser. Und elektrische Leitfähigkeit ist für das Rosten und ähnliche Prozesse, die die Chemiker als „Korrosion“ zusammenfassen, unverzichtbar. Korrosion ist nämliche eine Folge chemischer Reaktionen, bei welchen zwischen den Reaktionspartnern Elektronen ausgetauscht werden. Und Elektronen (oder andere geladene Teilchen) auf Wanderschaft sind…elektrischer Strom.

So können durch salzhaltiges Wasser Elektronen vom Eisen direkt zu dessen Reaktionspartnern wandern, was die Korrosion – das Rosten – besonders einfach macht. Was genau dabei geschieht, könnt ihr übrigens hier in meiner Rostparade nachlesen.

Autos, die über gesalzene Strassen fahren, rosten also ebenso schneller wie Brücken und andere Bauwerke aus Eisen, Stahl oder Stahlbeton, die rund um solche Strassen stehen.

Gibt es Alternativen zum Streusalz?

Da die Probleme, welche das Streuen mit Salz mit sich bringt, den Winterdiensten wohlbekannt sind, gibt es verschiedene Alternativen, die jedoch alle ihren eigenen Haken haben:

Harnstoff oder Ammoniumsulfat

Diese beiden Verbindungen haben eine ähnliche auftauende Wirkung wie Kochsalz und seine schwereren Verwandten. Allerdings enthalten sie Stickstoff (Harnstoff ist CO(NH2)2,Ammoniumsulfat ist (NH4)2SO4 !) in Verbindungen, die für viele Pflanzen sehr nahrhaft sind. Massenweise auf Strassen ausgebracht und im umliegenden Boden versickert können sie daher zu Überdüngung führen. Ausserdem ist auch Ammoniumsulfat eine Ionenverbindung und bringt die gleichen Probleme mit sich wie alle anderen Salze auch.

Abstumpfendes Streugut: Split, Sand, Blähton und ähnliches

Solche Streugüter sind im Prinzip nichts anderes als zerkleinerte Steine – weitgehend wasserunlöslich und unreaktiv. Damit gefährden sie zwar nicht den Stoffwechsel von Pflanzen und Tieren, müssen nach der Verwendung aber wieder eingesammelt und entsorgt werden. Würde man das nicht tun, würden Sand und Steinsplitter irgendwann Rinnsteine und Abflüsse verstopfen.

Und die Entsorgung oder gar Wiederaufbereitung von Streugut ist alles andere als einfach. Nachdem nämlich unzählige Autos darüber gefahren sind, ist das Streugut von Reifenabrieb und anderem Schmutz verunreinigt. Der müsste erst vom Streugut abgeschwaschen und dann seinerseits umweltschonend entsorgt werden.

Was ihr tun könnt, wenn euer Gehweg überfriert

Wenn ihr in Deutschland oder Österreich wohnt, werdet ihr keine grosse Wahl haben. Hier ist nämlich der Einsatz von Streusalz für Privatpersonen verboten (die Winterdienste der Kommunen streuen hingegen bei extremen Wetterbedingungen Salz auf den Strassen).

In der Schweiz gibt es dagegen kein generelles Verbot, sodass ihr hierzulande selbst entscheiden könnt, ob und womit ihr eure Gehwege streut.

Auf eurem privaten Garten- oder Fussweg, fernab von zahllosen Gummireifen, ist abstumpfendes Streugut eine gute Wahl für Pflanzen und Tiere. Ihr werdet es bloss immer wieder nachstreuen und schliesslich wieder einsammeln müssen, sobald Schnee und Eis geschmolzen sind.

Die beste Massnahme gegen Eisglätte auf Wegen und Strassen ist letztendlich das Schneeschippen. Denn was einmal geräumt ist, kann nicht mehr überfrieren und schmilzt im Frühjahr rückstandslos weg. Einzig bei überfrierendem Regen hilft das Schaufeln auch nicht weiter. Aber meiner Erfahrung nach ist das selbst hier in der Schweiz eine Ausnahme-Wettererscheinung.

Bevor ihr irgendetwas streut, empfehle ich euch, erst einmal zu schaufeln was das Zeug hält. Denn ganz ohne den Einsatz von Streugut wird es im heutigen Strassenverkehr kaum mehr gehen. Aber die Menge des dabei verwendeten Streusalzes kann so gering wie möglich gehalten werden. Und dabei könnt ihr alle mitmachen!

Und wie geht ihr gegen Schnee- und Eisglätte vor?

Ein Laien-Defibrillator - Wie funktioniert er?

Eine Fernseh-Notaufnahme in einer typischen Krankenhausserie: Alarmbereitschaft – es herrscht hektisches Treiben. Von draussen ist das Martinshorn des vorfahrenden Rettungswagen zu hören. Die Tür fliegt auf, Sanitäter im Laufschritt schieben eine Rolltrage herein, darauf ein regloser, bereits verkabelter Mensch. Sofort schart sich eine Gruppe blau oder grün gekleideter Gestalten um ihn. Alles ist gleichzeitig zu tun: Beatmungsgerät anschliessen, Tropf erneuern, EKG überprüfen….

Plötzlich ertönt ein alarmierender Dauerpiepton, ein Monitor zeigt eine waagerechte Linie [ein verbreiteter Fehler in solchen Filmszenen… warum? Das erfahrt ihr in diesem Artikel!]: Herzversagen. „Reanimation!“, brüllt der leitende Arzt über das Treiben seiner Helfer und greift nach zwei handtellergrossen, mit einem Gerät verkabelten Platten. In einer fachlich gut beratenen Produktion macht sich einer seiner Helfer inzwischen an eine Herzmassage.

„Defibrillator aufladen – 200 Joule!“, fordert der Arzt mit den Platten an den Händen, und ein schrilles, ansteigendes Pfeifen zeigt an, dass das Gerät in Bereitschaft geht. Schon sind die Platten an die nackte Brust des leblosen Patienten gedrückt. „Achtung, zurück!“ Alle anderen Helfer lösen sich von der Rolltrage. Im nächsten Augenblick endet das Pfeifen des Geräts in einem heftigen Schnappen. Der Oberkörper des Patienten bäumt sich auf, springt regelrecht von der Liege. Danach fällt er zurück, so leblos wie zuvor.

„Noch einmal – 250 Joule!“, befielt der Arzt, und das Geschehen wiederholt sich. Einmal, zweimal,… Ist dem Patienten ein Happy End beschieden, stellt sich auf dem Monitor schliesslich eine gleichmässige EKG-Kurve samt rhythmischem Piepsen ein – das Herz schlägt wieder. Bei einem weniger guten Ende bleibt die Linie waagerecht und die Szene endet mit dem traurigen Dauerpiepton, der einen vollkommenen Herzstillstand anzeigt. Der Patient ist tot.

Herzversagen, ein Defibrillator und unser Alltag – wie passt das zusammen?

Schon längst gibt es Defibrillatoren – Elektroschock-Geräte zur Wiederbelebung – nicht mehr nur in Krankenhausserien und dem Arbeitsalltag von Notärzten und Sanitätern. Gefühlt an jedem öffentlichen Ort hier im Dorf hängt ein grüner Kasten mit den drei Buchstaben „AED“. Darin: Ein Defibrillator zur Benutzung durch Laien.

Und das hat seinen guten Grund: Allein in der Schweiz sterben jährlich 10’000 Menschen  an plötzlichem Herzversagen. Das sind durchschnittlich 27 pro Tag! Damit gehört ein plötzlicher Herztod in Industrieländern zu den häufigsten Todesursachen – und zwar noch vor Schlaganfall und Krebs.

Um auf die Geräte aufmerksam zu machen, die solche Leben retten können – die sind nämlich wirklich einfach zu bedienen – hat Victoria von „Kuchenerbse“ eine spannende Blogparade ins Leben gerufen. Im Zuge derer zeige ich euch, was ein Defibrillator eigentlich tut, und warum es so wichtig und richtig ist, die Laiengeräte bei einem Notfall auch einzusetzen.

Was ein Defibrillator, kurz „Defi“, tut? Er versetzt unserem Herzen buchstäblich einen Tritt in den…nein, nicht den Gesässmuskel, sondern den Herzmuskel, damit der wieder richtig schlägt. Um zu verstehen, wie der Defibrillator das anstellt, müssen wir verstehen, wie unser Herz funktioniert.

Wie funktioniert unser Herz?

Das Herz ist eine Pumpe, bestehend aus einem Muskel mit mehreren Hohlräumen – zwei Vorhöfen und zwei Herzkammern, der sich rhythmisch zusammenzieht und so das Blut in die Blutgefässe pumpt.

Was treibt das Herz zum Schlagen an?

Der Herzmuskel hat seinen eigenen, vom restlichen Körper unabhängigen elektrischen Antrieb. Einige wenige Zellen im oberen Bereich des Herzens erzeugen Elektrizität, die das ganze Organ zum Schlagen anregt.

Wie wird im Herzen Strom erzeugt?

Körperzellen können wie kleine Batterien funktionieren: Ihre Aussenhülle ist nämlich – je nach ihrer Ausstattung mit Proteinen – nur für bestimmte Ionen (elektrisch geladene Teilchen) durchlässig. Einige Proteine bilden für bestimmte Ionensorten kleine Tunnel durch die Zellwand, andere sind richtige kleine Pumpen, die „ihre“ Ionen nur in eine Richtung befördern. So können sich in der Zelle andere Ladungen ansammeln als draussen.

In den sogenannten Schrittmacher-Zellen des Herzens (die bilden den sogenannten Sinusknoten) sind im Ruhezustand in der Zelle mehr negative Ladungen als positive, während mehr positive Ladungen (vor allem Calcium-, Ca2+-Ionen) draussen sind. Würde man jetzt ein Voltmeter mit einem Kontakt in der Zelle und einem Kontakt draussen anlegen, könnte man eine Spannung (Potentialdifferenz) messen. Das ist grundsätzlich an vielen Zellen möglich.

Strompulse durch veränderliche Spannung

Das Besondere an den Schrittmacherzellen ist, dass ihre Aussenhülle für positive Ionen leicht durchlässig ist. Dafür sorgen besondere Protein-Tunnel durch die Zell-Aussenwand (die Mediziner haben Humor, denn sie nennen diese speziellen Tunnel „funny channels“, also „lustige Kanäle“).

Schema für eine Schrittmacherzelle: positive Ladungen sammeln sich draussen, negative drinnen. Durch Ionenkanäle dringen positive Ionen durch die Aussenhülle in die Zelle.

Ein Schema für eine Schrittmacherzelle: rechts oben ein offener „funny channel“, durch den Calcium- (rot) und Kalium-(violett) Ionen in die Zelle gelangen.

So strömen verschiedene postive Ionen mit der Zeit nach innen (Triebkraft dafür ist Osmose, die ich anlässlich der Ei-Experimente hier näher erkläre). Damit wird das Innere der Zelle immer weniger negativ. Wird dabei ein bestimmter Wert (das „Schwellenpotential“) unterschritten, wertet die Zelle dies als Signal, all ihre Eingänge für Ca2+-Ionen zu öffnen.

Schema für eine Schrittmacherzelle: Das Schwellenpotential ist erreicht, Calcium-Kanäle öffnen sich.

Sinkt die Spannung zwischen innen und aussen auf -40 Millivolt, öffnen sich Tunnel für Calcium-Ionen, die so in die Zelle strömen können. Die Spannung sinkt damit sehr schnell weiter.

Nun stürmen die Ca2+-Ionen die Zellen wie Kunden einen Apple-Store beim Erscheinen eines neuen Iphones. So wird die elektrische Ladung drinnen sogar positiv. Das wiederum siganlisiert der Zelle:“Wir sind überfüllt!“ Es öffnen sich „Notausgänge“ für Kalium(K+)-Ionen, die daraufhin eiligst nach draussen strömen, sodass das Potential rasch wieder in negative Bereiche absinkt.

Schema für eine Schrittmacherzelle: Die Spannung wird wieder aufgebaut.

Durch den Einstrom der vielen positiven Ladungen wird die Spannung positiv. Jetzt öffnen sich Tunnel für Kalium-Ionen (die „Notausgänge“), sodass die K+-Ionen nach draussen können. Die Spannung wird dadurch wieder negativ.

Währenddessen (und eigentlich ständig) arbeiten winzige Pumpenproteine in der Zellhülle daran, die Ca2+-Ionen unter Verbrauch chemischer Energie langsam wieder nach draussen zu befördern. Die Durchlässigkeit der Zellhülle für positive Ionen führt jedoch dazu, dass dies eine rechte Sisyphus-Arbeit ist. Denn die Ionen strömen schneller wieder rein, als sie rausgepumpt werden können. So „entlädt“ sich die Zelle bald von neuem und muss wiederum die K+-Notausgänge öffnen, um ihr Ausgangspotential wieder herzustellen.

Das alles geschieht normalerweise 60 bis 100 mal in der Minute.

Wie können solche Signale durch den Herzmuskel fliessen?

Alle Zellen im Herzmuskel sind durch allgemein ionendurchlässige Kanäle miteinander verbunden. Wenn positive Ionen die Schrittmacherzellen stürmen, drängen sie auch durch diese Kanäle in benachbarte Zellen und „entladen“ diese ebenfalls, sodass sie wiederum ihre Nachbarn mit entladen, auch wenn die keine „funny channels“ besitzen.

Längsschnitt durchs menschliche Herz mit eingezeichneten Reizleitungen

Die „Nerven“, durch welche sich die elektrischen Impulse durch das Herz ausbreiten, sind violett eingezeichnet: Der Sinusknoten liegt links oben (1). Von dort breiten sich die Signale über die Vorhöfe aus (einer davon ist links angeschnitten) und münden in den AV-Knoten (2). Weiter werden sie über das His-Bündel zu den Verzweigungen der Purkinje-Fasern (3) in das Muskelgewebe um die Herzkammern weitergeleitet. (von J. Heuser [CC BY 2.5 ], via Wikimedia Commons)

So breitet sich die Entladung zunächst in die Muskelzellen der Herzvorhöfe aus. Und Muskelzellen erkennen viel Ca2+ in ihrem Inneren als Signal für „Zieh dich zusammen!“. So ziehen sich die Vorhöfe zusammen und quetschen dabei das Blut aus ihrem Innern in die Herzkammern.

Indessen erreicht die Ausbreitung der Entladung die nächsten Nachbarn der Vorhof-Muskelzellen – eine besondere Art Nervenzellen, die vom AV-Knoten ausgehen, sich zum His-Bündel und weiter zu den Purkinje-Fasern verzweigen. Diese feinen „Nervenenden“ münden schliesslich in die unteren Enden der Herzkammern (also an der Herzspitze!), von wo die sich ausbreitende Entladung ihren Weg durch die Herzkammer-Muskelzellen nimmt (und zwar von der Herzspitze zurück in Richtung der Vorhöfe!). Die so in die Muskelzellen einströmenden Calcium-Ionen bewirken wiederum, dass die Muskelzellen sich zusammenziehen. So wird das Blut aus den Herzkammern in den kleinen und grossen Kreislauf hinausgedrückt.

Animation der Erregungsausbreitung durch das schlagende Herz - dazu: Verlauf einer normalen EKG-Kurve

Der Weg der sich ausbreitenden Entladungen (rot) durch den schlagenden Herzmuskel: Die Wellen und Zacken im EKG stehen für Änderungen der Spannung an den Zellen. Der erste Hügel zeigt die Ausbreitung der Entladung über die Vorhöfe an, die grosse Zacke die Ausbreitung in die Herzkammern. Der zweite Hügel dahinter entsteht durch die Rückkehr der Herzkammerzellen zur ursprünglichen Spannung. (By Kalumet [GFDL or CC-BY-SA-3.0], from Wikimedia Commons)

Warum es keinen Signal-Salat gibt

Dabei sind die Herzmuskelzellen so eingerichtet, dass es nach der Entladung ein Weilchen (etwa 2-3 Zehntelsekunden) dauert, bis die Notausgänge sich öffnen und das Potential im Inneren wieder negativ wird. In diesem Zeitraum kann sich keine weitere Entladung durch die Zellen ausbreiten (denn die sind ja schon entladen). So wird verhindert, dass ein Impuls vom Sinusknoten anfängt, innerhalb des Herzmuskels im Kreis zu laufen. Stattdessen verläuft das Signal im Sande, sobald es keine Nachbarzellen mehr gibt, die noch nicht entladen sind.

Was passiert, wenn die Sinuszellen kaputt gehen?

So ein lebenswichtiges Organ wie das Herz ist natürlich mit Notfallsystemen ausgestattet. So können auch die Zellen des AV-Knotens als Schrittmacher wirken – allerdings langsamer (40 bis 55 mal pro Minute), sodass normalerweise stets ein Impuls vom Sinusknoten ankommt, bevor der AV-Knoten selbst einen erzeugen kann. Wenn der Sinusknoten aber ausfällt, treibt der AV-Rhythmus zumindest die Herzkammern zum langsamen Weiterarbeiten an. Damit stirbt der Körper nicht sofort, wenn es im Sinusknoten hakt. So erhalten Ärzte die Gelegenheit, dem Patienten einen Herzschrittmacher – ein technisches Gerät, das die Arbeit des Sinusknotens übernimmt und rhythmisch elektrische Entladungen anstösst – einzupflanzen.

Übrigens: Wenn neben dem Sinusknoten auch der AV-Knoten streikt, können die Herzkammern sogar ein wenig von alleine pumpen – allerdings nur 25 bis 40 mal pro Minute, was zur Versorgung des Körpers mit Sauerstoff nicht wirklich ausreicht. Deshalb kann der Notarzt seinen Defibrillator zu einem „äusseren“ Schrittmacher umfunktionieren und durch die Hand-Elektroden, die sonst zur Verabreichung des grossen Elektroschocks dienen, kleinere Strompulse schicken (in so einem Zustand ist der Patient naturgemäss bewusstlos und wird im Folgenden narkotisiert, sodass er von den Stromschlägen nichts mitbekommt). Die halten das Herz des Patienten auf Trab, bis er in der Klinik ankommt und einen richtigen Herzschrittmacher bekommen kann.

Und wann braucht man einen Defibrillator?

Wenn nun innerhalb des Herzgewebes, zum Beispiel in einer Purkinje-Faser, etwas kaputt ist, kann es passieren, dass sich die Zellen an der kaputten Stelle nicht entladen können. Wenn dann ein Impuls vom Sinusknoten eintrifft, versandet er an dieser Stelle. Das führt jedoch dazu, dass die Zellen gleich hinter der kaputten Stelle in Entladungsbereitschaft bleiben. So kann sich der Impuls, nachdem er über eine andere Purkinje-Faser in den Herzmuskel gelangt ist, auch rückwärts durch die beschädigte Faser bis zum Hindernis ausbreiten.

Wenn er dort versandet, ist das nicht weiter schlimm. Wenn der rückwärts gerichtete Impuls allerdings weitere entladungsfähige Zellen findet, kann er sich einen Weg um das Hindernis herum suchen und die inzwischen in die Bereitschaft zurückgekehrten Zellen erneut entladen. Der Impuls läuft dann im Kreis!

Vom Flattern und Flimmern

Und diese Kreisläufe können ziemlich schnell vonstatten gehen. Schon bei einer grosszügigen Entladungspause von 3 Zehntelsekunden wären rein rechnerisch über 180 Umläufe in der Minute möglich: Extremes Herzrasen! Im schlimmsten Fall wächst sich das Ganze zu einem regelrechten Kurzschluss. Die Pulse laufen dann so schnell, dass das Herz nur noch wie rasend zuckt und nicht mehr richtig pumpen kann.

Bei 200 bis 350 Umläufen in der Minute durch die Herzkammern sprechen Ärzte von „Kammerflattern“. Das kann mit einem noch tastbaren aber entsprechend rasenden Puls einher gehen, wenngleich der Patient bewusstlos ist. Dann kann der Notarzt versuchen, den Kurzschluss mit einem Medikament, das die Zellen zeitweise für Ionen undurchlässig(er) macht, zu unterbrechen.

Bei etwa 300 bis 800 Umläufen in der Minute sprechen Ärzte von Kammerflimmern. Eigentlich handelt es sich dabei dann weniger um geordnete Umläufe als um ein wildes Entladungs-Chaos kurzgeschlossener Zellen. In diesem Zustand hat ein Patient keinen Puls mehr – das Herz kann gar nicht mehr pumpen.

Woher kennt man dann die mögliche Anzahl Umläufe bzw. Zuckungen?

Auf dem EKG (Elektrokardiogramm), das den Weg der elektrischen Entladungen durch das Herz aufzeichnet, kann man Kammerflimmern sehen: Es zeigen sich 300 bis 800 kleine Zacken pro Minute auf dem Monitor. Spätestens jetzt kann ein Defibrillator Leben retten.

EKG-Aufzeichnung während eines Kammerflimmerns: Eine dichte Reihe vieler kleiner Zacken.

Kammerflimmern auf dem EKG

Ich kann mich jedoch nicht erinnern, solch eine Zackenreihe je in einem Film oder einer Krankenhausserie gesehen zu haben. Dabei ist genau dieses Flimmern – und nicht ein stehendes Herz (die waagerechte Linie) – der eigentliche Anlass für den Einsatz des Defibrillators. Trotzdem erfreut sich das Defibrillieren in Filmszenen grosser Beliebtheit. Gibt ja schliesslich eine Menge Dramatik her.

Was macht ein Defibrillator?

Weil der Strom im Herzen in Form sich ausbreitender Entladungen von Zellen fliesst, kann man einen Kurzschluss recht einfach unterbrechen: Man sorgt dafür, dass sich alle Zellen auf einen Schlag entladen. Dann muss der kreisende Impuls zwangsläufig versanden. Und um alle Zellen gleichzeitig zu entladen, braucht man einen mächtigen Strompuls als Anstoss. Den liefert der Defibrillator.

Der stärkste aller Schrittmacher

Das Gerät enthält einen Kondensator – ein elektrisches Bauteil, das sich wie eine Mega-Schrittmacherzelle „aufladen“ kann, indem es positive und negative Ladungen voneinander getrennt speichert. Auf Knopfdruck kann der Kondensator entladen und dieser „Puls“ auf die Reise geschickt werden: Durch die Kabel vom Gerät zu den Paddles – den flachen Elektroden – in der Hand des Notarztes oder den Klebe-Elektroden eines automatischen Defibrillators und über deren grosse Oberfläche in den Brustkorb des Patienten.

Dort entlädt der Puls bestenfalls alle Zellen zwischen den Elektroden – alle Herzzellen eingeschlossen – gleichzeitig. Die Brustmuskeln werten die Entladung als Befehl, sich zusammen zu ziehen. Deshalb bäumt sich der Körper des Patienten in der Krankenhausserie beim Defibrillieren so von der Liege auf. Auch die Herzmuskelzellen ziehen sich zusammen und bleiben allesamt für wenige Zehntelsekunden entladen, bevor sie alle zusammen zur „Bereitschaft“ zurückkehren.

Wenn dann die nächste „normale“ Entladung vom Sinusknoten her kommt, kann sie sich ordnungsgemäss ausbreiten, und das Herz schlägt bestenfalls normal weiter. Zumindest vorerst – denn der Schaden an der Leitung im Herzen, der zum Kurzschluss geführt hat, wird durch den Stromschlag oft nicht behoben. Dafür haben die Ärzte nun Zeit, diesen Schaden auszumachen und zu beheben (indem sie zum Beispiel einen Herzinfarkt behandeln).

Warum müssen beim Defibrillieren alle anderen zurücktreten?

Der menschliche Körper, ganz besonders die Hautoberfläche, ist im Ganzen elektrisch leitfähig. So kann der heftige Stromschlag, der sich vom Defibrillator in die Brust des Patienten fährt, auch auf Menschen ausbreiten, die den Patientenkörper berühren. Deshalb warnt der Notarzt vor dem Auslösen des Stromschlags seine Mitarbeiter, und alle treten kurz zurück, damit niemand ungewollt getroffen wird.

Das tut nämlich nicht nur weh, sondern ein unkontrollierter Strompuls von aussen kann auch zum Kurzschluss im Herzen führen (genau deshalb ist es so gefährlich, in Steckdosen oder an Leitungen unter Strom herumzufummeln!). Und der Notarzt will ja nicht als nächstes einen seiner Kollegen defibrillieren müssen…

Wie können Laien mit einem so gefährlichen Gerät umgehen?

An vielen öffentlichen Orten, Bahnhöfen, Schulen, Sportplätzen,… findet man heutzutage tragbare Defibrillatoren, die von Laien eingesetzt werden sollen, wenn plötzlich jemand „wie tot“ zusammenbricht. Doch ist das nicht gefährlich? Kann man damit nicht furchtbar viel falsch machen?

Nein: Diese Laien-Defibrillatoren (AED) sind so aufgebaut, dass sie so gut wie automatisch funktionieren! Eine Bedienungsanleitung mit Bildern (ähnlich der Karte mit den Sicherheitshinweisen im Flugzeug) zeigt, wie man die Elektroden auf den nackten Brustkorb des Patienten klebt. Sobald die Elektroden an das Gerät angeschlossen sind, „liest“ der AED zunächst das EKG des Patienten. So kann er selbst erkennen, ob ein normaler, langsamer, schneller Herzschlag oder die vielen kleinen Zacken eines Kammerflimmerns auftreten.

Ein typischer AED (Laien-Defibrillator) mit Zubehör

Ein halbautomatischer Laien-Defibrillator mit rotem Knopf, Anleitungskarte, Klebeelektroden und Handbuch (By GO (MedPlus Medizintechnik GmbH) [CC BY 4.0 ], via Wikimedia Commons)

Nur dann, wenn das Gerät eine Rhythmusstörung erkennt, die durch einen Stromschlag behoben werden kann (zum Beispiel ein Kammerflimmern), gibt es einen Alarm von sich und fordert den Helfer dazu auf, einen Stromstoss auszulösen. Das wird entweder auf einem Bildschirm angezeigt, oder das Gerät spricht sogar zum Helfer.

In der Regel kann der Helfer die Entladung auslösen, indem er einen grossen roten Knopf drückt. So kann ein Mensch seine Mithelfer warnen: „Achtung, Abstand halten!“, sodass alle Helfer zurückweichen können, bevor der Stromstoss kommt.

Seltener funktionieren die Geräte vollautomatisch und lösen den Stromstoss von selbst aus. Das ist jedoch für die Helfer weniger sicher (wenn jemand die Warnung des Geräts überhört, bekommt er zwangsläufig einen Schlag ab), sodass bevorzugt halbautomatische Geräte mit dem roten Knopf zum Einsatz kommen.

Nach dem Stromstoss verfolgt das Gerät weiter das EKG des Patienten, sodass es bei Bedarf weitere Defibrillations-Versuche machen kann.

Was können wir tun, wenn jemand in unserer Umgebung „umkippt“?

Wenn jemand in eurer Umgebung unvermittelt zusammenbricht, können ganz einfache Massnahmen Leben retten:

  1. Sollte jemand in einer gefährlichen Situation „umgekippt“ sein, bringt ihn oder sie zunächst rasch in Sicherheit oder lasst jemanden die Umgebung sichern (auch um euch selbst als Helfer nicht zu gefährden!).
  2. Wählt die Notrufnummer (oder lasst das jemanden tun: in der Schweiz und Österreich 144, in Deutschland 112). Die Notrufzentrale wird sofort eine/n Ambulanz/Krankenwagen und allenfalls einen Notarzt losschicken. Zudem kann der Mitarbeiter am Telefon euch direkt bei den nächsten Schritten anleiten:
  3. Macht einen kurzen „BAP“- (Bewusstsein-Atmung-Puls-)Check: Sprecht den Patienten eindringlich an („Können Sie mich hören?“ etc.). Wenn er nicht reagiert – also bewusstlos ist – prüft seine Atmung (hebt und senkt sich der Brustkorb?) und seinen Puls (am besten an der Halsschlagader oder ggfs. in der Leistengegend – und nicht mit dem Daumen!).
  4. Findet ihr keinen regelmässigen Puls, schickt jemanden, den nächsten Defibrillator zu holen (oder holt ihn selbst, wenn er in unmittelbarer Nähe ist). Beginnt dann sofort mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung:
  5. Legt den Bewusstlosen auf den Rücken. Macht das Brustbein des Patienten frei (von Knöpfen und anderen Störenfrieden) und platziert eure Handballen etwa drei Finger breit oberhalb der Magengrube – einen über den anderen. So könnt ihr das Brustbein kurz und kräftig nach unten drücken (keine Scheu vor möglichen Rippenbrüchen – die sind im Vergleich zum Tod durch Herzversagen das kleinere Übel!). Drückt in rhythmischen Abständen – etwa 100 bis 120 mal pro Minute. Am besten reanimiert man zu zweit: einer drückt und einer beatmet! Als passender Rhythmus für eine solche Herzmassage bei Erwachsenen* gilt der Beat des BeeGees-Songs „Stayin‘ alive“ (wie passend) oder neuerdings auch von „Macarena“. Wenn euch ein Mitarbeiter der Notrufzentrale am Telefon anleitet, kann er euch den Rhythmus auch vorgeben.
  6. Mund-zu-Nase-Beatmung: Legt den Kopf des Bewusstlosen leicht in den Nacken. Schaut nach, ob die Atemwege frei sind (wenn nicht, macht sie frei). Haltet dann mit einer Hand den Mund zu, indem ihr den Unterkiefer gegen den Oberkiefer schiebt und legt eure geöffneten Lippen über die Nasenlöcher des Bewusstlosen. Dann atmet einfach aus (unsere Ausatemluft enthält noch reichlich Sauerstoff). Der Brustkorb des Bewusstlosen sollte sich leicht heben. Nehmt die Lippen von der Nase und atmet vor der nächsten Atemspende normal ein.
  7. Wenn ihr den AED zur Hand und einsatzbereit habt, macht eine möglichst kurze Pause beim Drücken und klebt die Elektroden auf die nackte Haut des Bewusstlosen. Macht dann mit Herzmassage und Beatmung weiter, bis euch das Gerät andere Anweisungen gibt (z.B. zur Auslösung des Stromstosses).
  8. So lange das Gerät keine Entwarnung gibt (weil es einen „normalen“ Puls registriert), macht auch nach dem Stromstoss mit der Wiederbelebung weiter – bis die Sanitäter oder/und der Notarzt eintreffen und übernehmen!

Eine Herz-Lungen-Wiederbelebung ist mächtig anstrengend und es gibt vieles gleichzeitig zu tun. Fordert daher andere Personen in der Umgebung auf, euch zu helfen und löst euch beim Drücken ab, bis der Arzt kommt (wörtlich gemeint!).

*Kinder haben eine höhere Herzfrequenz: Je kleiner das Kind ist, desto weniger stark (für die Herz-Lungen-Wiederbelebung bei einem Säugling reichen allenfalls zwei Daumen kräftiger Hände aus), aber desto schneller müsst ihr drücken, um den Kreislauf in Gang zu halten. Laien-Defibrillatoren sind grundsätzlich auf Erwachsene ausgelegt. Beachtet allfällige Altersangaben auf dem Gerät! Vielen AEDs liegen aber spezielle Elektroden für Kinder bei. Solch ein Gerät erkennt diese automatisch, wenn sie angeschlossen werden, und schaltet auf einen Kinder-Modus um.

Bei solchen Notfällen gilt zudem immer: Lieber einmal zuviel den Notruf wählen bzw. den AED holen als einmal zu wenig. Scheut euch also nicht, den Laien-Defibrillator zu benutzen – falsch machen kann man damit nichts! – und die Profis zur Hilfe zu rufen.

Wie könnt ihr einen AED-Defibrillator finden?

Hier in der Schweiz sind die Standorte von Laien-Defibrillatoren deutlich durch grüne Tafeln mit „AED“ in weissen Buchstaben gekennzeichnet. Die sind kaum zu übersehen.

Kasten am Flughafen mit Laien-Defibrillator und grüner Hinweistafel mit "AED"

Ein Laien-Defibrillator mit typischer Hinweistafel am Flughafen von Amsterdam.(By Steven Fruitsmaak [GFDL, CC-BY-SA-3.0 or CC BY-SA 2.5 ], from Wikimedia Commons)

Was aber, wenn ihr in einem Notfall nicht wisst, wo der nächste solche Standort ist?

Hier helfen die Website und App von CISALI („Citizens save lives“): Hier sind viele Defibrillatoren rund um den Globus auf einer Google-Map verzeichnet. So könnt ihr auf einen Blick sehen, wo ihr den nächsten findet. Aber woher nehmen die die Daten?

Ganz einfach: Von euch! Jeder, der unterwegs in seiner Umgebung einen Defibrillator findet, gleich von welchem Hersteller oder von wem dort platziert, kann den Standort des Geräts auf der Website oder über die Map melden!

Ich habe heute morgen einen AED im hiesigen Einkaufszentrum entdeckt, der auf der CISALI-Karte noch fehlt. Den habe ich vorhin gleich angemeldet – das geht ganz einfach ohne Registrierung oder dergleichen. Vielleicht kann damit irgendwann einmal ein Leben mehr gerettet werden. Viva la Reanimation!

 

Und was ist mit euch? Habt ihr schon einmal jemanden wiederbeleben müssen? Oder wurdet gar selbst reanimiert? Wisst ihr, wo in eurer Umgebung es einen AED gibt? Und würdet ihr ihn im Notfall auch benutzen?

 

Fliegenpilz hebt Moos ab - Wie Pilze wachsen - das Geheimnis weicher Kraftprotze

Zur Zeit haben sie wieder Hochsaison: Pilze – die nicht nur im Wald aus dem Boden schiessen. Dabei nehmen nicht nur die Pilze selbst zuweilen wunderliche Formen an. Auch ihr Standort erscheint uns manchmal unmöglich. So hat meine Leserin Pia schon Pilze gefunden, wo eigentlich Autos fahren sollten – und damit eine Anregung zu ihrer Leserfrage:

Mich fasziniert immer, dass ein Pilz-Fruchtkörper durch ziemlich harte Oberflächen kommt, obwohl er doch selber weich ist. Ich habe einmal Champignons gesehen, die eine asphaltierte Hofeinfahrt durchbrochen haben. Wie „macht“ der Pilz das?

Röhrling wächst zwischen Steinen

Dieser Röhrling (Birkenröhrling? Kiefernsteinpilz? Egal – in jedem Fall lecker) hat seinen Weg zwischen den Steinen hindurch gefunden. Dabei hilfreich: Der Hut wächst erst dann in die Breite, wenn der Stiel ihn über die Hindernisse hinaus gehoben hat. Was aber, wenn es keine Lücken zum Hindurchwachsen gibt?

 

Was sind eigentlich Pilze?

Biologen teilen die Welt der Lebewesen in zwei grosse Gruppen ein: Solche, deren Zellen ohne Zellkern auskommen (diese nennen sie Prokaryonten) und solche, deren Zellen einen Zellkern haben (diese nennen sie Eukaryonten).

Die Prokaryonten sind meist einzellige Lebewesen, wie zum Beispiel Bakterien. Und sie sind erdgeschichtlich die ältere Art von Leben – den Zellkern hat die Evolution nämlich erst nach der lebensfähigen kernlosen Zelle hervorgebracht.

Vielzellige Lebewesen, die wir mit dem blossen Auge überall sehen können, zählen zu den Eukaryonten. Die werden von den meisten Menschen unbedarft in zwei Reiche eingeteilt: Die Pflanzen und die Tiere (zu denen auch wir Menschen zählen). Dabei fällt allerdings eine dritte und um so spannendere Gruppe durchs Raster: Das Reich der Pilze.

Richtig: Pilze sind weder Tiere noch Pflanzen, sondern eine ganz eigene Sorte Lebensform!

Wie sind Pilze aufgebaut?

Ohne Vergrösserungshilfen gesehen besteht ein vielzelliger Pilz hauptsächlich aus einem Fadengeflecht, dem sogenannten Myzel, das meist verborgen im Boden oder in totem Holz wächst (es gibt auch einzellige Pilze wie die Bäckerhefe, mit der ich hier experimentiert habe). Was wir im Wald an der Oberfläche sehen, sind die Fruchtkörper, die aus dem Myzel-Geflecht wachsen, damit der Pilz sich vermehren kann.

Pilze sind jedoch weder Tier noch Pflanze, sodass sich Pilzzellen deutlich von Tier und Pflanzenzellen unterscheiden. Pilzmyzel und Fruchtkörper bestehen nämlich aus Bündeln von langen, schlauchartigen Zellen (die die Pilzforscher Hyphen nennen). Die Formgebenden unter diesen Schlauchzellen sind teilweise alles andere als „weich“, sondern haben ein Zell-Aussenskelett aus grossen Proteinen.

Das Zellskelett hält das Innere der Zelle in gewünschter Form zusammen: weiche Zell-Innereien, Proteine, Nährstoffe finden so ihren Platz…und natürlich auch Wasser. Und zwar eine ganze Menge davon. Wer schon einmal Speisepilze im Ofen oder in der Sonne getrocknet und gesehen hat, was dann übrig bleibt, kann erahnen wie viel Wasser in so einem Pilzfruchtkörper steckt.

Die Wassermenge wird über die Menge der wasserlöslichen Stoffe in den Zellen gesteuert: Je mehr solche Salze und Proteine in den Zellen sind, desto mehr Wasser gelangt durch Poren dazu, und desto praller werden die Zellen: Auf die Zellaussenwand wirkt von innen ein zünftiger osmotischer Druck.

Wie wachsen Pilze?

Die Stränge des Myzels wachsen, indem jeweils an der Spitze der Hyphen-Bündel weitere Zellen angebaut werden. Wenn im Wald andauerndes warmes sowie feuchtes Wetter herrscht, wachsen ausserdem neue Hyphen-Bündel in Form von Fruchtkörpern.

Pilze vermehren sich durch Sporen

Viele dieser Fruchtkörper haben die „klassische“ Form mit Stiel und Hut. Auf der Hutunterseite befinden sich dann feine Lamellen oder Röhren, in denen die Enden besonderer Hyphen verborgen sind – nämlich solcher, die Sporen produzieren und freisetzen können.

Ständerpilz mit Stiel und Hut, hier seitlich aus einer Steinstufe wachsend

Typische Pilzfruchtkörper aus Stiel und Hut mit Lamellen. Diese hier wachsen seitlich aus einer Stufe aus porösem, steinähnlichem Material – nicht unbedingt dort, wo man Pilze erwarten würde.

Als ich neulich ein paar schöne Maronenpilze mit herrlich hellgelben Röhren gefunden und abgeschnitten habe, waren die Röhren im Handumdrehen dunkelgrau verstaubt: Durch die Bewegung hatten sich Sporen daraus gelöst und in meinem Tragebehälter alles eingestaubt. Dem Geschmack tut das übrigens keinen Abbruch – das Pilzgericht daraus war nachher trotzdem sehr lecker.

Diese Sporen haben die gleiche Aufgabe wie Samen von Pflanzen: Sie gehören eigentlich in den Waldboden, wo jede einzelne von ihnen den Anfang für ein neues Pilzmyzel machen kann.

Das Myzel wird übrigens nicht beschädigt, wenn ihr den Stiel eines Fruchtkörpers sorgfältig mit einem scharfen Messer abschneidet. So können die „Pilze“, die wir sammeln, über Jahre hinweg aus dem gleichen Pilzgeflecht nachwachsen!

Wie Pia schon beobachtet hat, schieben die Fruchtkörper mitunter nicht nur Laub und Tannennadeln, sondern zuweilen erstaunlich schwere Hindernisse auf ihrem Weg an die Erdoberfläche „beiseite“.

Woher nehmen die Pilze diese Kraft?

Wachstum bedeutet, dass in komplexen biochemischen Reaktionen sehr grosse Moleküle aufgebaut und angeordnet werden. Diese Biochemie wird allerdings nicht davon beeinflusst, dass irgendwer vorab eine Raumplanung macht. Aber die Produkte dieser Reaktionen müssen schliesslich irgendwo hin. Und Platz gäbe es in der Regel auch genug – wenn da die Sache mit dem Wasser nicht wäre.

Wenn neue Zellen entstehen, voller Salze und Proteine, ziehen sie das Wasser aus ihrer Umgebung durch Poren geradezu in sich hinein. Den Vorgang habe ich anlässlich der Experimente zur Osmose mit Ei ausführlich erklärt. So entsteht in den Zellen ein beträchtlicher Druck. Der hält nicht nur die Zellen prall, sondern wirkt auch auf ihre direkte Umgebung.

Wenn es dort Schwachstellen oder Schlupflöcher gibt, nimmt der wachsende Pilz den Weg des geringsten Widerstands. So finden die Pilzfruchtkörper leicht einen Weg durch porösen Humus oder Laub und Nadeln auf dem Waldboden.

Wiesenchampignons

Auch diese Champignons haben es nicht leicht auf ihrem Weg durch das Wurzelgeflecht des Rasens. Dafür beherrschen sie einen zusätzlichen Trick: Die Fruchkörper entfalten sich erst, nachdem sie durchgedrungen sind, zu ihrer vollen Grösse.

Ist die Umgebung jedoch von härterer Natur, weil sie zum Beispiel von Asphalt oder Pflaster bedeckt ist, lastet der Druck fortlaufend darauf. Der Fruchtkörper beginnt also im porösen Untergrund zu wachsen. Er hat es leicht, bis er auf die harte Decke stösst. Dann drückt er laufend von unten dagegen. Besonders wenn der Asphalt ähnliches Risse oder Schwachstellen hat (die müssen für uns nicht immer sichtbar sein), geben die der Dauerbelastung langsam aber sicher nach.

Langsamkeit ist Trumpf

Und Langsamkeit ist neben dem osmotischen Druck das Geheimnis der Kraft der Pilze. Denn weil sie (relativ) langsam wachsen, können sie den Asphalt durch ausdauerndes Dagegendrücken zum Nachgeben bringen, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen.

Ein Material muss also nicht unermesslich hart sein, um feste Körper aufzubrechen, sondern sich nur ausreichend langsam und ausdauernd ausbreiten!

 

Wo ihr eure Leserfrage stellen könnt

Habt ihr auch eine spannende Frage rund um Naturwissenschaftliches im Alltag? Und möchtet ihr gern eine Antwort darauf in Keinsteins Kiste lesen? Jeden Sonntag könnt ihr eure Fragen auf meiner Facebook-Seite kommentieren. Es ist gerade nicht Sonntag? Dann könnt ihr natürlich jederzeit einen der älteren Fragen-Beiträge nutzen!

Habt ihr auch schon einmal einen seltsamen Pilz oder einen Pilz an einem seltsamen Ort gefunden? Was glaubt ihr, wie er dorthin kam?

Wie funktioniert die Liebe? Terra incognita der Wissenschaft

Einmal mehr ist es soweit: Der Blog-Schreibwettbewerb auf Scienceblogs.de läuft. Und zwar noch bis Ende Oktober. Viele wissenschaftlich begeisterte Schreiber mit und ohne eigenen Blog haben spannende und lesenswerte Beiträge zu einem bunten Strauss aus Themen eingereicht. Und ich bin wieder mit dabei!

Gerade rechtzeitig dazu flatterte auf der Keinsteins-Kiste-Facebook-Seite eine spannende Leserfrage herein, die ich in meinem Wettbewerbs-Beitrag beantworte:

Welche Hormone bewirken, ob und wann wir uns verlieben?

Die Suche nach Antworten führte mich rasch du einem besonders interessanten Ergebnis: Einem weissen Flecken auf der Landkarte der Wissenschaft. Die Biochemie der Liebe ist nämlich ein Gebiet, dass erst ansatzweise wissenschaftlich erforscht ist. So zeige ich in diesem Artikel nicht einfach einige Moleküle, über deren Rolle in Liebesdingen schon einiges bekannt ist, sondern auch die Grenzen dessen, was die Wissenschaft zur Zeit erklären kann.

In einfachen – hoffentlich kindgerechten Worten wecke er die Entdeckerlust der Forscher von morgen, die eines Tages diesen und andere weisse Flecken auf der wissenschaftlichen Landkarte füllen mögen.

Ihr könnt auch etwas gewinnen!

Den ganzen Artikel könnt ihr ab jetzt hier auf Astrodicticum Simplex lesen – und auch ihr könnt in diesem Schreibwettbewerb wieder die Gewinner mitbestimmen. Und dabei auch noch selbst einen Preis gewinnen!

Dazu müsst ihr nur am Leser-Voting teilnehmen und eure Stimme(n) für eure(n) Lieblingsartikel abgeben. Wie das geht, erklärt der Veranstalter Florian Freistätter hier. Einsendeschluss für die Leserstimmen ist der 11. November 2018. Ihr könnt also in Ruhe die Veröffentlichung aller anderen Artikel mitverfolgen und erst am Schluss entscheiden, für wen ihr stimmen möchtet.

Ganz besonders würde es mich natürlich freuen, wenn ihr eine Stimme für meinen Beitrag da lasst. Der Preis unter den Leser-Juroren wird aber unabhängig davon, für wen ihr stimmt, verlost. Deshalb findet ihr eine Übersicht über alle Beiträge hier.


Der Scienceblogs-Schreibwettbewerb 2018 ist zu Ende und die Gewinner stehen fest: Mein Artikel „Wie funktioniert die Liebe?“ hat einen megamässigen 6. Platz gemacht! Herzlichen Dank an alle Leser, die mir ihre Stimme gegeben haben – und natürlich an Florian Freistätter und die Juroren, ohne die dieses tolle Event nicht möglich gewesen wäre!

Die Teilnehmer-Beiträge bleiben bis auf Weiteres auf Astrodicticum Simplex online, sodass ihr sie jederzeit nachlesen könnt.

So wünsche ich euch jetzt viel Spass beim Stöbern und Schmökern – und beim Verlieben!

Eure Kathi Keinstein

Was ist Krebs? - Zellbiologie erklärt zur Solidaritätskampagne von Kinderkrebs Schweiz

Meine Familie hat Glück gehabt. So weit ich zurückdenken kann oder aus Erzählungen der Älteren weiss, hat bei uns noch kein Kind Krebs bekommen. In Retos Familie ist das anders. Reto hat eine seiner Schwestern nie kennengelernt. Denn sie ist vor seiner Geburt an Leukämie gestorben – der häufigsten Krebs-Sorte, die Kinder bekommen.

Das ist jetzt über 40 Jahre her. Und trotzdem spüre ich bis heute die selischen Narben, die dieses furchtbare Schicksal bei Retos Familie hinterlassen hat. So etwas sollte keine Familie durchmachen müssen.

Heute – 40 Jahre später – kommt es schon weniger oft so weit. Heute werden nämlich vier von fünf Kindern, die Krebs bekommen, wieder gesund. Das heisst – so gesund wie es eben möglich ist. Denn der Kampf gegen den Krebs ist bis heute für den Körper und die Seele schrecklich anstrengend und ermüdend. Und für kleine Kinderkörper und -seelen ist er ganz besonders anstrengend.

Kinderkrebs Schweiz

Deshalb setzt sich der Dachverband Kinderkrebs Schweiz dafür ein, dass fleissig weiter an Mitteln gegen den Krebs geforscht wird, die den Kampf damit erleichtern, und damit aus 4 von 5 eines Tages 5 von 5 wieder gesunden Kindern werden.

Und auch jenen Kindern und Familien, die heute gegen den Krebs kämpfen müssen, möchte der Verein ein Stück Kraft und Zuversicht schenken. So sammelt Kinderkrebs Schweiz noch den ganzen September über eure lieben Wünsche an ein krebskrankes Kind auf dieser Website, um die schönsten darunter zu den Kindern zu bringen, die in den Kinderspitälern wegen Krebs behandelt werden müssen.

Mein Beitrag

Ganz gewiss haben die erkrankten Kinder selbst, ihre Geschwister, Eltern, Freunde und Verwandte ganz gewiss viele Fragen zu dem, was da mit ihnen bzw. ihren Angehörigen geschieht. Darum widme ich meinen heutigen Beitrag allen Kindern und Familien, die dieses schwere Schicksal teilen oder miterleben. Und ich versuche, darin einige Antworten in Worte für Kinder (und Laien) zu kleiden.

Was ist Krebs?

Krebs ist, wenn das Material, aus welchem euer Körper besteht, ungebremst zu wachsen beginnt. Und zwar dort, wo es nicht wachsen soll.

Bestimmt fragt ihr euch nun: Woraus besteht ein menschlicher Körper, und wie wächst er?

Woraus besteht dein Körper?

Der Körper jedes Menschen besteht aus winzigkleinen Zellen. Jede Zelle ist ein winziger Sack aus einer Haut aus Molekülen. Dieser Sack enthält (in der Regel) einen Zellkern und verschiedene winzige Organe, die für verschiedene „Körperfunktionen“ der Zelle zuständig sind. Im Zellkern ist das Erbgut der Zelle, die DNA, gelagert. Das ist eine Sammlung von Bauplänen für alle Bestandteile der Zellen und alle Stoffe, die die Zellen herstellen können.

Die Zellen sind so unglaublich klein, dass ihr sie ohne ein Mikroskop nicht sehen könnt. Ein erwachsener Mensch besteht aus 100 Billionen von ihnen – das sind 100’000’000’000’000, also 1000 x 1000 x 1000 x 1000 x 100, oder eine 1 mit vierzehn Nullen!

menschliche Zellen unter dem Fluoreszenzmikroskop: Der Zellkern ist blau, das Zellskelett grün gefärbt

Menschliche Körperzellen unter dem Mikroskop: Die Zellkerne mit der DNA sind mit blauer, das „Skelett“ der Zellen, welches zu ihrer Hülle gehört, mit grüner „Leuchtfarbe“ eingefärbt. So leuchten sie unter einer UV-Lampe in diesen Farben auf – sie fluoreszieren. Ein Mikroskop mit einer UV-Lampe nennt man deshalb „Fluoreszenz-Mikroskop“. Mit einem solchen wurde dieses Bild gemacht. ( By ZEISS Microscopy from Germany [CC BY 2.0 ], via Wikimedia Commons)

Wie ein Mensch entsteht

Jeder Mensch bestand am Anfang seines Lebens aus einer einzigen Zelle, die durch Verschmelzung von Mamas Eizelle und Papas Spermienzelle entstanden ist (wie das geht, habe ich hier beschrieben). Diese eine Zelle hat ihre ganze Bauplan-Sammlung abgeschrieben, ihre Bestandteile allesamt noch einmal hergestellt und sich schliesslich geteilt. Und die beiden neuen Zellen haben das gleiche getan. Und noch einmal, und noch einmal.

Durch die Auswahl von bestimmten Bauplänen aus der Sammlung wurden einige der neuen Zellen zu Knochen- andere zu Muskel-, zu Haut-, zu Augen-, zu Herz- und Lungen- und Blut- und vielen anderen verschiedenen Zellsorten, aus denen ein vollständiger Körper besteht.

Und sie werden es noch. Damit Kinder immer grösser werden können, müssen ständig neue Zellen her. Selbst in den Körpern von Erwachsenen gibt es Zellen, die sich das ganze Menschenleben lang teilen. Hautzellen und Blutzellen (die ständig durch neue ersetzt werden) gehören dazu, aber auch solche, aus denen Haare und Fingernägel wachsen.

Wenn aus Wachstum Krebs wird

Damit einem Menschen genau zwei gerade Arme und Beine und passende Organe in der richtigen Grösse wachsen, enthalten die Baupläne in den Zellen Angaben und Regeln, wie schnell und wann welche Zellen sich wohin ausbreiten und welche Stoffe sie wann in welcher Menge herstellen sollen.

Molekülmodell eines DNA-Abschnitts

Ein kleines Stück eines DNA-Moleküls: Kohlenstoff-Atome sind grau, Wasserstoff-Atome weiss, Sauerstoff-Atome rot, Stickstoff-Atome violett und Phosphor-Atome gelb. Die Art und Weise, wie diese Atome miteinander verbunden sind, ist eine Art Geheimschrift: Sie kann in die Baupläne für unsere Zellen übersetzt werden!

Empfindliche Baupläne

Nun ist die DNA ist ein chemisches Molekül wie andere auch. Das heisst, sie kann in chemische Reaktionen verwickelt werden: Die Begegnung mit anderen, angriffslustigen Molekülen, oder der Einfluss von Licht oder anderer Strahlung kann dazu führen, dass Atome der DNA augetauscht werden oder verloren gehen. Oder dass Atome dazu kommen, die nicht zum Bauplan gehören. Ausserdem kommt es vor, dass die Zellen beim Abschreiben ihrer Baupläne für die Zellteilung Schreibfehler machen.

Deshalb gibt es in jeder Zelle Proteine, die ständig Korrektur lesen und Fehler oder Schäden an der DNA ausbessern. Und wenn sich etwas gar nicht mehr reparieren lässt, befehlen sie der einzelnen Zelle, lieber Selbstmord zu machen, bevor dem Körper etwas schlimmeres passiert.

Niemand ist perfekt – auch die Korrekturleser in den Zellen nicht

Wenn die „Rechtschreib“-Kontrolleure einer Zelle allerdings einen Fehler übersehen, passieren schlimme Dinge. Besonders dann, wenn der übersehene Fehler eine jener Regeln unlesbar macht, die die Zellteilung und damit das Wachstum von Körperteilen ordnen und begrenzen soll. Dann bleibt eine Zelle übrig, die ihre Grenzen nicht mehr kennt, sich unkontrolliert teilen kann und vielleicht sogar Stoffe von sich gibt, die kein Mensch braucht. Kurzum: Das ist ein furchtbar schlecht erzogener Rabauke – eine Krebszelle.

Und das schlimmste ist: Wenn die Krebszelle sich erneut teilt, schreibt sie den Fehler ganz ungeniert mit ab. So gibt es dann bald zwei von der schlimmen Sorte, dann vier, dann acht…

Im glücklichen Fall kommt ein Spezialagent des Immunsystems, eine „natürliche Killerzelle“ (über die und ihre Kollegen vom Immunsystem ihr hier mehr lesen könnt), vorbei und erkennt eine einzelne oder wenige Krebszelle/n von aussen. Dann gibt die natürliche Killerzelle ihnen sofort den Befehl zum Selbstmord – und schafft das Problem so aus der Welt.

Ein Tumor entsteht

Im unglücklichen Fall teilen sich die Krebszellen aber unbemerkt weiter und wuchern da hin, wo es ihnen gerade passt. Und uns nicht. Aus ein paar Zellen wird so ein Haufen, aus dem Haufen ein Gewebeknötchen, aus dem Knötchen eine Geschwulst, die wir spüren und manchmal sogar sehen können.

Manche dieser Zellen begnügen sich damit, ihre eigene Clique zu gründen, gemeinsam abzuhängen und einfach im Weg zu sein. Von solchen spricht man von einem „gutartigen“ Tumor. Der lässt sich meist einfach wegoperieren, wenn er stört, und die Sache ist in der Regel erledigt.

Wenn die Zellen aber richtige Rabauken sind, die sich mit „Ellbogen“ ihren Weg durch andere Zellgruppen in benachbarte Gewebe bahnen, handelt es sich um wirkliche Krebszellen, die einen „bösartigen“ Tumor bilden.

Schema: Krebszellen durchdringen eine Gewebegrenze

nach: Cancer Research UK (Original email from CRUK) [CC BY-SA 4.0 ], via Wikimedia Commons

Die fiesesten unter ihnen verlassen „ihren“ Tumor sogar irgendwann und reisen in der Blutbahn oder der Lymphe durch den Körper, um sich anderswo festzusetzen und Rabauken-Kolonien zu gründen. Die werden von den Krebs-Ärzten dann „Metastasen“ genannt.

Wie entstehen unerkannte Schreibfehler?

Schreibfehler entstehen dort, wo abgeschrieben wird. Wann und wo genau ein Abschreibfehler passiert und übersehen wird, ist letztenendes reines Pech. Für Pech gilt aber: Je mehr abgeschrieben wird, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass dabei mal ein Fehler passiert und der Korrektur entgeht.

Alles in allem sind schlimme Schreibfehler besonders wahrscheinlich wenn

  • in den Körpern älterer Menschen die Korrekturleser nachlässig werden
  • äussere Einflüsse (z.B. Strahlung) die DNA häufiger beschädigen
  • viele andere Moleküle/Atome mit der DNA reagieren können
  • Fehler schon in der ersten Zelle eines Kindes vorhanden waren und so vererbt wurden
  • bestimmte Viren ihr Erbgut in die DNA von Zellen einbauen und dabei die Teilungsregeln beschädigen (gegen einige dieser Viren, wie das Gebärmutterhalskrebs-Virus HPV oder den Erreger der Leberentzündung Hepatitis kann man sich aber impfen lassen!)
  • und vor allem: Wenn in Zellen, die sich häufig, schnell und fortlaufend teilen, naturgemäss viel abgeschrieben wird
    → dazu gehören nachwachsende Gewebe wie die Haut
    → und die Zellen in Körpern von Kindern – denn Kinderkörper wachsen ja noch

In welchen Körperteilen kann Krebs entstehen?

Grundsätzlich in praktisch allen. Und obwohl man meinen könnte, dass das ganz besonders für Kinder gilt, bekommen Kinder anderswo Krebs als Erwachsene und alte Menschen. Warum das so ist, haben die Forscher noch nicht wirklich herausgefunden.

Besonders häufig – in drei Vierteln aller Fälle – werden bei Kindern nämlich die Zellen des Immunsystems und ihre Vorläufer (45%: 33% Leukämien, 12% (Non-)Hodgkin-Lymphome) oder die Zellen von Gehirn und Nerven (30%: 20% Hirn und Rückenmark, 7% sympathisches Nervensystem, 3% Augenkrebs) zu bösartigen Rabauken.

(Zahlen: Krebsliga Schweiz)

Augenkrebs?! Warum steht der hier unter Hirn und Nerven?

Ja, Augenkrebs gibt es wirklich. Der kommt aber nicht davon, dass ihr zu viel am Bildschirm sitzt oder schrille Farben anschaut, wie gern einmal behauptet wird. Stattdessen entstehen in der Netzhaut im Auge Rabauken-Zellen durch ebensolches Pech, wie bei anderen Krebsarten auch. Und die Netzhaut ist streng genommen ein ausgelagerter Teil des Gehirns – deshalb ordne ich den Augenkrebs bei den Krebsarten der Nerven ein.

Zum Glück lässt sich so ein „Retinoblastom“ – so heisst der Augenkrebs in der Ärztesprache – leicht erkennen und gut behandeln. Wie das geht, erklärt Kinderkrebs Schweiz hier. Bei früher Erkennung werden sogar 19 von 20 statt 4 von 5 Kindern mit Augenkrebs wieder gesund!

Weitere Krebsarten bei Kindern

Dazu kommen Weichteilkrebs (also Muskeln, Fett- und Bindegewebe, 7%), Nierenkrebs (5%), Knochenkrebs (4%) und Krebs der zur Fortpflanzung gedachten Keimzellen (3%). Habt ihr mitgerechnet? Da fehlen noch 6% bis zu den runden 100%! Das sind wohl verschiedene, bei Kindern sehr seltene Krebsarten an anderen Körperteilen.

Warum bekommen Kinder gerade dort Krebs?

Während Nervengewebe tatsächlich besonders im Kindesalter wachsen, werden Blut- und Immunzellen das ganze Leben lang neu gebildet. Allein daran wie häufig sich Zellen teilen, lässt sich also nicht festmachen, wo Krebs entsteht. Warum Kinder an ganz bestimmten Stellen – und an anderen als Erwachsene – Krebs bekommen, müssen die Forscher erst noch herausfinden.

Wie kann man Krebs behandeln?

Der simpelste Weg, Rabaukenzellen loszuwerden ist, sie in einer Operation aus dem Körper heraus zu schneiden. Das geht bei gutartigen Geschwulsten (meistens) recht einfach. Bei Krebszellen, die wild in anderes Gewebe eindringen, ist es aber schwer bis unmöglich, sie wirklich alle wegzuschneiden. Und bei Krebsarten der Blutzellen ist das ganz unmöglich, weil die Rabauken dabei nicht an einem festen Ort versammelt, sondern im Körper verteilt und oft beweglich sind. Deshalb müssen sie auf andere Weise getötet werden.

Dazu verwenden kann man

Zellgifte = Chemotherapie

Diese Medikamente (sogenannte Zytostatika, d.h. „Zellbremsen“) stören Zellen bei der Teilung, in dem sie sich Beispiel an die DNA heften und so das Abschreiben der Baupläne verhindern. So entstehen keine neuen Krebszellen, während die alten Krebszellen an den Schreibblockaden sterben.

Cisplatin, ein nach wie vor häufig genutztes Medikament zur Chemotherapie, lagert sich an DNA an.

Moleküle des Chemotherapie-Medikaments „Cisplatin“ (in dessen Mitte befindet sich tatsächlich ein Platin-Atom) verbinden sich mit einem Strang der DNA-Doppelspirale. Die Abschreibe-Proteine der Zelle laufen die DNA-Stränge entlang und bleiben an einem solchen Hindernis hängen. So kann die DNA nicht weiter abgeschrieben werden. Das funktioniert bei den allermeisten Krebsarten – aber leider auch bei gesunden Zellen. (By AlchemistOfJoy [CC BY-SA 3.0 ], from Wikimedia Commons)

Solche Gifte wirken auf sich schnell teilenden Zellen besonders stark – also auf Krebszellen, aber auch auf solche, aus denen Haare wachsen oder Blutzellen entstehen. Deswegen fallen vielen Krebspatienten, die eine Chemotherapie erhalten, die Haare aus. Ausserdem werden auch viele andere Zellen bei ihrer Arbeit gestört – deshalb wird den Patienten von der Chemotherapie nicht selten furchtbar schlecht.

Damit all das nicht (oder weniger) geschieht, versuchen Forscher, die Zellgifte gut verpackt direkt zu den Krebszellen zu bringen und erst dort loszulassen. Oder sie erfinden neue Zellgifte, die Krebszellen (besser) von normalen Zellen unterscheiden können.

(Be-)Strahlung

Dass Strahlung die DNA-Baupläne beschädigen kann, hatte ich weiter oben schon erwähnt. Und wenn die Beschädigungen gross genug sind, sterben die Zellen daran. Auch die Krebszellen. Zudem kann man Strahlung genau auf bestimmte Stellen bündeln. Dazu können die Krebs-Ärzte Röntgenstrahlen (also sehr energiereiches, unsichtbares Licht) oder Elektronen bzw. Protonen (das sind winzige Teilchen, die auf Zellen wie Kanonenkugeln wirken) verwenden.

Auch wenn man solch einen Beschuss ziemlich genau auf ein Krebsgeschwulst richten kann, leiden darunter auch die gesunden Zellen in der Umgebung. So kann einem leider auch von der „Bestrahlung“ ziemlich schlecht werden.

Antikörper

Das sind ganz besondere Proteine, die normalerweise von Zellen des Immunsystems hergestellt werden, um Krankheitserreger zu erkennen und zur Bekämpfung zu markieren (wie das im Einzelnen vor sich geht, könnt ihr hier bei mir nachlesen). Krebsforscher versuchen nun, passende Antikörper zu den jeweiligen Krebszellen eines Patienten zu basteln. Wenn die ihr Ziel – die Krebszellen – finden und sich daran heften, rufen sie die Zellen des Immunsystems auf den Plan. Die können nun die Krebszellen (und bestenfalls nur die) gezielt angreifen und vernichten.

 

Zum Töten von Krebszellen NICHT verwenden kann man

Methoden und Mittel aus der „alternativen Medizin“

Wer gesagt bekommt, dass er Krebs hat, hat Angst. Angst um sein Leben und vor den unangenehmen Behandlungen, die auf ihn zukommen mögen. Das ist ganz natürlich. Genauso natürlich ist auch die Verlockung, die davon ausgeht, wenn jemand einen „einfacheren“, „sanften“ oder gar „natürlichen“ Weg verspricht, die fiesen Krebszellen wieder los zu werden.

Homöopathische „Medikamente“, Wunder- und Geistheiler, eine besondere Ernährungsweise oder das unsinnige Verwenden teils gefährlicher Chemikalien sind nur eine kleine Auswahl dessen, was den Menschen (auch) „gegen Krebs“ verkauft wird. Häufig deshalb, weil jemand damit viel Geld verdienen möchte.

Wo „alternative“ Methoden dennoch helfen können

Manche Vorgehensweisen aus dem Bereich „neben“ der Medizin können dennoch ihren Nutzen haben. Nämlich dann, wenn sie zur Begleitung der Behandlung durch den Krebs-Arzt (den „Onkologen“) angewendet werden. Dazu zählen besonders solche Dinge, bewirken, dass ein Patient mit Krebs sich besser fühlt, weniger Angst hat und weniger unter den Nebenwirkungen seiner Behandlung leidet.

Es ist aber ganz wichtig, solche Massnahmen immer mit dem Krebsarzt/den Krebsärzten zu besprechen. Viele solche Mittel und Methoden – auch solche, die ganz harmlos erscheinen – können nämlich mit den eigentlichen Krebsmedikamenten „in Streit“ geraten und deren Wirkung stören. NIE solltet ihr die eigentlichen Krebsmedikamente ohne Besprechung mit eurem Krebsarzt einfach weglassen, um „etwas anderes“ zu probieren!

Dazu, wie ihr hilfreiche Angebote für Krebskranke von den „Geldverdienern“ unterscheiden und sie gut mit eurem Krebs-Arzt besprechen könnt, hat die Krebsliga Schweiz eine tolle Broschüre herausgegeben, die ihr hier als .pdf-Datei herunterladen könnt.

Besondere Hochachtung habe ich übrigens vor den ehrenamtlichen Klinik- bzw. Spitalclowns, welche die (nicht nur krebs-)kranken Kinder im Spital besuchen und Freude in ihren schweren Alltag bringen. Lachen soll schliesslich sehr gesund sein! Die Clowns – wie meine treue Leserin Claudia alias „Clownine Kunst“ in Leipzig, Deutschland – kosten die jungen Patienten und ihre Familien in Regel gar nichts und haben gewiss eine grössere Wirkung als manch überteuertes „Mittelchen“.

Kann man die Krankheit Krebs ganz und gar besiegen?

DAS wirksame und nebenwirkungsarme Mittel gegen alle Krebsarten hat man leider noch nicht gefunden. Dazu kommt, dass die meisten Krebsbehandlungen zuerst für Erwachsene erfunden werden. Kinder funktionieren aber in vielen Dingen anders als Erwachsene. Denn Kinder müssen schliesslich noch wachsen. So muss für jedes neue Mittel noch einmal neu untersucht werden, ob und wie es auch bei Kindern eingesetzt werden kann.

Denn Kinder sollen schliesslich nicht nur gesund, sondern auch gross werden und ein möglichst normales Leben führen können.

Dazu wird immer wieder der Erfolg neuer Behandlungsweisen bei Kindern an mutigen jungen Patienten untersucht. Bei so einer „Frühen Klinischen Studie“ (Early Clinical Trial, ECT) werden Methoden und Medikamente, die z.B. bei Erwachsenen schon funktionieren, versuchsweise bei Kindern eingesetzt. Dabei passen die Ärzte ganz besonders genau auf ihre Schützlinge auf. Denn sie wollen schliesslich nicht nur „ihre“ Kinder gesund machen, sondern möglichst nützliche Ergebnisse sammeln, um später noch mehr Kinder gesund machen zu können.

Mein Wunsch an krebskranke Kinder

Deshalb lautet mein Wunsch für ein – eigentlich für alle krebskranken Kinder: Behaltet eure Zuversicht. Freut euch an den kleinen Dingen und geniesst es, euren schweren Alltag für ein paar Augenblicke zu vergessen. Immer wieder. Und ich wünsche euch, dass aus 4 von 5 schnell 5 von 5 werden: Dass bald ein Weg für euch erforscht wird, der leichter zu gehen und für euch alle zu schaffen ist!

Eure Kathi Keinstein

Blitz und Donner - Wie entstehen eigentlich Gewitter?

Wir alle haben lange unter der Hitze gestöhnt und sehnlichst darauf gewartet, dass endlich ein Gewitter kommt und uns Regen und lang ersehnte Abkühlung bringt. In den letzten Tagen hat es dann über der Schweiz gehörig geblitzt und gerumpelt…denn Gewitter bringen noch mehr als Regen: Blitze und Donner nämlich. Und um die soll es heute gehen.

Wie entstehen eigentlich Gewitter?

Sicher habt ihr schon beobachtet, dass Gewitter sich durch riesige Wolkenberge am Horizont ankündigen. Diese Wolkenberge werden immer schwärzer und bedrohlicher, während sie sich nähern. Irgendwann schliesslich blitzt und kracht es ganz gewaltig, und der Himmel öffnet seine Schleusen für stürmische Windböen und einen mächtigen Regenguss.

Damit Wolken überhaupt entstehen, muss allerdings erst einmal Wasser verdunsten. Das bewerkstelligt die warme Sommersonne, die auf Gewässer und feuchten Erdboden scheint. Das flüssige Wasser wird mit Hilfe der Sonnenenergie gasförmig, sodass die einzelnen Teilchen des Wasserdampfs sich in der Luft verteilen können – die somit feucht wird.

Schwülwarme Luft + Kaltfront = Gewitterwolken

Wenn es dann so richtig düppig bzw. schwül, d.h. feuchtwarm ist und ein Schwall kühlerer Luft (eine „Kaltfront“) auf den feuchtwarmen Teil der Atmosphäre zustrebt, schiebt sich die kalte Luft zunächst über die warme Schicht. Wer allerdings schon einmal Heissluftballon gefahren ist, weiss, dass warme Luft stets nach oben steigt (weil warme Luft eine geringere Dichte hat als kühlere). So steigt die feuchtwarme Luft in die kalte Schicht auf und wird dabei abgekühlt.

Warum wird die aufsteigende Luft kühl?

Das Abkühlen rührt nicht etwa daher, dass sich kühle und wärmere Luft vermischen. Stattdessen ist der Luftdruck dafür verantwortlich: Der nimmt nämlich in grossen Höhen rasch ab (wer schon einmal mit dem Auto ins Gebirge gefahren ist, kennt ein untrügliches Anzeichen dafür: Das Knacken in den Ohren, wenn sich der Luftdruck im Innenohr dem niedrigeren Aussendruck anpasst).

Mit dem sinkenden Druck dehnt sich die Luft aus – und das bedeutet Arbeit. Arbeit wiederum ist ein anderer Ausdruck für aufgewendete Energie. Und die Gesetze der Thermodynamik schreiben vor, dass aufgewendete Energie stets irgendwo her bezogen werden muss – zum Beispiel aus der Wärme der sich ausdehnenden Luft (auch Wärme ist eine Form von Energie). Und wenn die Wärme zum Ausdehnen „verbraucht“ wird, wird es eben kalt.

Vom Schäfchen zur Gewitterwolke

Damit werden aus den anfangs gasförmigen Wasserteilchen winzige, flüssige Wassertröpfchen, die regelrechte Nebelballen bilden: Wolken. Ist nur wenig Luftfeuchtigkeit da, die sich verflüssigen („kondensieren“) kann, entstehen so harmlose Quellwolken – mehr oder weniger grosse „Schäfchen“, die die Wetterforscher „Cumulus-Wolken“ nennen.

Wenn genug Wasserdampf in der Luft ist, können diese Wolken allerdings sehr hoch werden. Der Umstand, dass beim Verflüssigen Energie frei wird (die sogenannte Verdampfungs- bzw. Kondensationswärme – eine Schwester der Schmelzwärme, die ihr in diesem Versuch erforschen könnt), sorgt dafür, dass die Ausdehnung der Luft nicht gleich zur völligen Abkühlung führt. So kann die feuchtwarme Luft sehr hoch steigen – bis die Temperatur der feuchten Luft schliesslich doch auf die Temperatur der Umgebung absinkt. Und die kann gut und gerne deutlich unter 0°C liegen, sodass sich die Wassertröpfchen teilweise zu Eiskristallen verfestigen.

Dann ist ziemlich plötzlich Schluss mit Aufstieg, sodass grosse Wolkentürme (die die Wetterforscher dann „Cumulonimbus“ nennen) mitunter oben platt erscheinen.

Cumulonimbus-Wolke: Daraus wird ein Gewitter

Da braut sich etwas zusammen: Eine mächtige Cumulonimbus-Wolke türmt sich auf – hier ist ein Gewitter im Anzug! (Quelle: Pixabay)

Gewitterwolken sind Windkraftwerke

Das ganze Aufsteigen, Ausdehnen und allenfalls Absinken kälterer Luftmassen hält die Luft- und Wasserteilchen in der Wolke kräftig in Bewegung: In den Gewitterwolken toben wilde Winde (das ist ein Grund, weshalb man mit dem Flugzeug besser nicht da hinein fliegt). Und wo Wind weht, ist eines unvermeidbar: Reibung! Die Teilchen stossen und streifen einander…und wenn diese Begegnungen heftig genug sind, werden sie dabei „abgeschliffen“:

Einzelne Elektronen – jene Elementarteilchen, die eine negative elektrische Ladung tragen – lösen sich von den Eiskristallen und bleiben an den flüssigen Wassertröpfchen haften. Diese Tröpfchen, die nun zu viele Elektronen haben, sind folglich negativ geladen, während die „abgeschliffenen“ Eiskristalle positiv geladen zurück bleiben.

Ladungstrennung dank Dichteunterschied

Die Besonderheit an Wasser ist nun, dass es im festen Zustand „leichter“ (also weniger dicht) ist als kühles flüssiges Wasser (diese „Anomalie“ könnt ihr mit diesem Experiment sichtbar machen: Eis wächst!). Deshalb werden die positiv geladenen Eiskristalle leicht nach oben getrieben, während die Wassertröpfchen eher absinken.

So sammeln sich die verschiedenen Ladungen getrennt voneinander: Positive oben, negative unten. Das kennt man doch woher……genau: Eine Gewitterwolke ist nichts anderes als eine riesenmegagrosse Batterie, die mittels Windkraft aufgeladen wird!

Schema Ladungstrennung in einer Gewitterwolke

Ladungstrennung in einer Gewitterwolke: Durch Reibung werden Eiskristalle positiv und Wassertröpfchen negativ geladen. Die leichteren Eiskristalle sammeln sich oben, während die Wassertröpfchen sich unten in der Wolke sammeln. Von dort aus können die angehäuften negativen Ladungen im Zuge einer Entladung (Blitz) zur Erde hin abfliessen. Fallböen sorgen zudem für die plötzlichen stürmischen Winde, die während eines Gewitters auftreten können. (nach einer Grafik der Helmholtz-Wissensplattform „Erde und Umwelt“, ESKP [CC BY 4.0 ], via Wikimedia Commons)

Strom aus der Himmelsbatterie

Eine Batterie ist an sich eine feine Sache – kann man darin doch elektrische Energie speichern, indem man elektrische Ladungen getrennt aufbewahrt. Stellvertretend für das Ausmass dieser Trennung wird die elektrische Spannung angegeben: Die kleinen Batterien aus eurem Alltag liefern in der Regel eine Spannung von 1,5 bis 9 Volt.

Eine Cumulonimbus-Wolkenbatterie, die einen Kilometer hoch ist, kann dagegen bis auf 170 Millionen (170’000’000) Volt aufgeladen werden!

Alles darüber ist jedoch einfach zuviel: Es gibt unweigerlich einen Kurzschluss. Das bedeutet, die angehäuften negativen Ladungen fliessen in einen weniger negativen Bereich ab. Dieser Bereich kann der obere, positiv geladene Teil der Wolke sein, oder der Erdboden, welcher ebenfalls weniger negativ als der untere Wolkenteil geladen ist.

Für kurze Zeit fliesst also ein elektrischer Strom – und was für einer! Während mein modernes Handy-Ladegerät das Handy mit einer Stromstärke (Anzahl Ladungen, die in gegebener Zeit an einem Messpunkt vorbeikommen) von 1,5 Ampere auflädt, fliessen in einem Blitz kurzzeitig bis zu 100’000 Ampere! Bedenkt man, dass bereits 0,13 Ampere, die direkt durch einen menschlichen Körper fliessen, lebensgefährlich sein können, sollte man so einem Blitz wahrlich nicht zu nahe kommen.

Warum Blitze flackern: Von Leitblitz und Fangblitz zur Hauptentladung

Bevor so ein gewaltiger Strom fliessen kann, muss jedoch eine entsprechend gewaltige Leitung her. So beginnt eine Entladung der Wolkenbatterie damit, dass sich einige der an der Unterseite angehäuften negativen Ladungen einen Weg nach unten in Richtung Erde bahnen. Diesen ersten kleinen Strom nennen die Wetterforscher einen Leitblitz.

Am Erdboden gibt es bewegliche positive Ladungen, die von den herannahenden negativen Ladungen unweigerlich angezogen werden. So steigen sie durch die Luft nach oben auf. Wenn der so entstehende Fangblitz mit dem Leitblitz zusammentrifft, vereinigen sich beide zu einem regelrechten „Kabel“ aus sehr leitfähiger Luft. Durch dieses Kabel kann dann die Hauptentladung mit ihrer ganzen Wucht abfliessen.

Wenn ein Blitz also flackert, dann deshalb, weil wir zunächst Leit- und Fangblitz und erst einen Sekundenbruchteil später die Hauptentladung aufleuchten sehen. Wirklich sichtbar machen lässt sich das Geschehen aber nur mit Zeitlupen-Aufnahmen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera.

Bewegliche positive Ladungen sammeln sich in Bodennähe übrigens besonders in hohen, schmalen Gegenständen wie hohen Gebäuden oder freistehenden Bäumen. So bildet sich an solchen Dingen besonders leicht ein Fangblitz, der einen Leitblitz in der Nähe regelrecht einfangen und die Hauptentladung zu seinem Ursprung leiten kann. Deshalb werden hoch aufragende Dinge besonders leicht vom Blitz getroffen.

Was passiert mit der elektrischen Energie?

Ein Strom von solch gewaltiger Stärke enthält eine gewaltige Menge Energie – die letztlich irgendwo hin muss. Ein Teil dieser Energie wird schon auf dem Weg des Stromflusses umgewandelt. Zahllose geladene Teilchen, die gemeinsam durch ein „Luft-Kabel“ rasen, verursachen nämlich eine Menge Reibung mit den Luftteilchen des Kabels. Folglich wird die Luft für einen Augenblick mächtig warm – so warm, dass sie hell aufleuchtet und sich um den Blitz herum schlagartig ausdehnt.

Da die Ausdehnung schon nach einem winzigen Sekundenbruchteil endet, breitet sie sich gleich einer einzelnen Druckwelle weiter aus – bis sie allenfalls unsere Ohren erreicht und wir (sofern wir dem Gewitter nahe genug sind) einen Knall hören: Den Donner. Wenn wir weiter vom Gewitter entfernt sind, wird diese Druckwelle mehr und mehr von Winden und Hindernissen auf ihrem Weg verzerrt und gedehnt, sodass der Donner mit wachsender Entfernung zum Gewitter immer mehr zu einem längeren Rumpeln und Grollen wird.

 

Wie Gewitter gefährlich werden können – und wie man sich davor schützt

Die Zerstörungskraft von Blitzen

Auch nach der Entstehung von Blitzlicht und Donner erreicht ein Blitz mit ungeheurer Energie den Boden – oder was eben darauf steht. Und genau dadurch müssen all die geladenen Teilchen nun weiter abfliessen. Wenn ein vom Blitz getroffener Gegenstand nun kein guter elektrischer Leiter ist, entsteht dabei wiederum eine Menge Reibung und damit Wärme und allenfalls Licht.

Wie man Gebäude vor Blitzen schützt

Brennbares Material wie Holz kann durch diese Wärme in Flammen aufgehen oder verkohlen auf der Stelle. So kann ein Blitz nicht nur einen Menschen töten, sondern auch einen ganzen Wald- oder Gebäudebrand auslösen. Damit das mit unseren Städten und Türmen nicht passiert, werden heute alle Gebäude mit einem Blitzableiter ausgerüstet. Das ist nichts anderes als ein dicker Draht aus leitfähigem Metall, der vom höchsten Punkt des Gebäudes bis in den Erdboden verläuft.

Die fliessenden Ladungen sind nämlich – wie alles in der Natur – ziemlich bequem: Wenn man ihnen einen besonders leichten Weg (durch den leitfähigen Draht) anbietet, dann nutzen sie diesen auch und geben sich mit dem weniger leitfähigen Material nicht ab. Im Erdboden angekommen haben die Ladungen schliesslich so viel Raum, dass sie sich verteilen können, ohne weiteren Schaden anzurichten.

Gewitter in Paris: Gleich drei Blitze schlage in den Eiffelturm ein

Einer der grössten Blitzableiter der Welt? Der Eiffelturm ragt 1902 (und heute noch) hoch über Paris auf und ist damit ein leichtes Ziel für Blitze. Ganz aus Metall würde er den Strom sehr gut leiten – wenn da die Rostschutzlackierung nicht wäre. Aber zum Glück waren Blitzableiter bereits vor 116 Jahren bekannt und in Verwendung (die wurden nämlich schon um 1750 von Benjamin Franklin erfunden). (Aus: Thunder and Lightning (Blitz und Donner) von Camille Flammarion, veröffentlicht 1906)

Das Auto als Faraday’scher Käfig – kein Mythos!

Auf ähnliche Weise sind übrigens Autos geschützt: Die Aussenhülle von Autos besteht aus leitfähigem Metall – und in die heutigen Autoreifen werden ebenfalls leitfähige Bestandteile eingearbeitet (das Gummi wäre allein nicht leitfähig), sodass die Hülle des Autos leitend mit dem Erdboden verbunden ist. Würde nun ein Blitz in das Auto einschlagen, flösse der Strom aussen herum durch die Hülle und die Reifen ab, während der Innenraum – samt Menschen darin – davon unberührt bliebe! Eine solche geschlossene, leitfähige Hülle, die ihr Inneres vor Stromschlägen schützen kann, nennen die Physiker einen „Faraday’schen Käfig“ (weil tatsächlich schon ein Drahtnetz ausreichen kann, um den Strom vom Inneren fern zu halten).

Auch ein Verkehrsflugzeug stellt einen Faraday’schen Käfig dar. Wenn ein solches in ein Gewitter gerät und von einem Blitz getroffen wird (und das passiert jedem Flugzeug irgendwann in seiner „Lebenszeit“), fliesst der Strom durch die metallene Aussenhülle wieder zurück in die Luft ab. Passagiere, Crew, Turbinen und sogar die empfindliche Elektronik im Inneren bleiben davon in der Regel unbehelligt (abgesehen von dem Schreck, wenn es plötzlich kracht).

Wie ihr euch selbst vor Blitzen schützen könnt

Die einfachste Möglichkeit, euch selbst vor Blitzen zu schützen: Haltet euch bei einem Gewitter in einem Gebäude mit Blitzableiter oder in einem Faraday’schen Käfig auf. Wenn ihr abseits von Gebäuden draussen unterwegs seid und ein Auto in der Nähe ist, steigt ein und schliesst die Türen. Sollte das Gewitter euch sehr nahe kommen, ehe ihr einen sicheren Unterschlupf erreichen könnt, sucht euch einen möglichst tief gelegenen Ort (eine Senke oder dergleichen) und legt euch flach hin. Ihr wollt ja schliesslich nicht als hoch aufragendes Objekt Ausgangspunkt eines Fangblitzes werden.

Meidet aber freistehende Bäume und andere hohe Dinge – wenn die statt euch vom Blitz getroffen werden, könnten sie über euch einstürzen oder in Flammen aufgehen! Wenn es zudem stürmt, braucht es nicht einmal einen Blitz, um einen gefährlich schweren Ast vom Baum stürzen zu lassen.

Wie ihr die Entfernung eines Gewitters bestimmt

Wie nahe euch ein Gewitter ist, könnt ihr übrigens ganz einfach abschätzen. Das Licht von Blitzen breitet sich nämlich sehr viel schneller als der Schall des Donners aus! Tatsächlich ist die Lichtgeschwindigkeit so hoch, dass wir einen Blitz in „hörbarem“ Abstand praktisch sofort sehen. Der Donner braucht dagegen für jede 300 Meter Abstand eine ganze Sekunde, bis er uns erreicht.

Wenn ihr einen Blitz seht, zählt also die Sekunden, bis ihr den Donner hört (wenn ihr keine Uhr mit Sekundenzeiger zur Hand habt, beginnt ruhig ab 21 („einundzwanzig“) zu zählen, und nehmt die Einerstellen als gezählte Sekunden). Dann rechnet die Anzahl verstrichener Sekunden mal 300 und ihr erhaltet euren Abstand zum Gewitter.

Wenn ihr das Ganze mehrmals wiederholt, könnt ihr sogar feststellen, ob sich das Gewitter euch nähert oder sich entfernt: Werden die Abstände zwischen Blitz und Donner kürzer, kommt das Gewitter näher – dann ist draussen besondere Vorsicht angesagt – werden die Abstände länger, dann zieht es von euch weg. Sollten sich die Abstände gar nicht ändern, steht das Gewitter (im Vergleich zu eurer Position) oder bewegt sich allenfalls auf einer Kreisbahn um euch herum.

Was passiert mit den Ladungen im Boden?

Wenn ihr aufmerksam gelesen habt, ist euch vielleicht schon etwas aufgefallen: Wenn negative Ladungen aus dem unteren Teil von Gewitterwolken zum Erdboden abfliessen, müsste dieser sich zunehmend negativ aufladen, während die positiven Ladungen in der Wolke bzw. der Luft verbleiben. Genau das geschieht auch – jedoch sind diese Ansammlungen für eine schnelle Entladung zu weit voneinander entfernt.

Stattdessen gelangen die negativ geladenen Teilchen, sobald das Gewitter vorbei ist, durch zufällige Bewegung langsam, d.h. über Tage in die Luft zurück. Dort können sie, wenn sie auf positiv geladene Teilchen treffen, allmählich wieder entladen werden. Bis sie in die nächste windige Gewitterwolke geraten und eine neue elektrische Reise zur Erde antreten – oder in einem waagerechten Blitz von Wolke zu Wolke entladen werden.

Habt ihr nun Lust, mit elektrischen Ladungen zu experimentieren und eure eigenen Blitze zu machen? Dann schaut einmal hier in der Mitmachkiste vorbei und probiert die wahrhaft elektrisierenden Experimente vom letzten Freitag!

Rundgang im Gewächshaus - Woher unser Gemüse kommt

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Gutknecht Gemüse entstanden, die mir im Rahmen einer Betriebsführung für Blogger einen Einblick in ihre Gewächshausproduktion gewährt haben. Ich bedanke mich herzlich bei beim Unternehmen für die Einladung und bei Moana Werschler für die Organisation. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.

Chemie im Alltag? Die ist auch in der Gemüseabteilung im Supermarkt immer wieder ein Thema. Zumindest lässt mich, was so durch die Sozialen Medien geistert, annehmen, dass ich nicht die einzige bin, die beim Einkauf darüber nachdenkt, welche ebenso beunruhigenden wie unsichtbaren Substanzen an unseren Gemüsen haften mögen: Rückstände von Pestiziden und die noch weniger greifbaren Folgen „nicht-natürlichen“ Anbaus.

Aber ganz ehrlich: Bis vor wenigen Wochen hatte ich absolut gar keine Ahnung davon, wie unser Gemüse heutzutage angebaut wird. Wie die meisten von euch vermutlich auch. Ist das eine Grundlage für eine fundierte Einschätzung der Lage im Gemüseregal? Fehlanzeige! Selbst für mich als Chemikerin.

Wie baut man heute Gemüse an?

Richtig bewusst wurde mir das allerdings erst, als ich jemanden traf, der es besser wusste – und mir und anderen Bloggern die Möglichkeit eröffnete, der Sache auf den Grund zu gehen: Ich danke Moana Werschler von „Miss Broccoli“ herzlich für die Organisation des spannenden Ausflugs in die Welt des modernen Indoor-Gemüseanbaus bei Familie Gutknecht in Kerzers! Dort habe ich nämlich aus nächster Nähe anschauen – und probieren! – dürfen, wie zeitgemässer Gemüseanbau in der Schweiz funktioniert.

Und das habe ich natürlich für euch getan, damit ich euch einen wirklich spannenden Einblick „aus erster Hand“ in die Herkunft unserer liebsten Grundlage gesunder Ernährung geben kann. Und die mutet geradezu futuristisch an: Bei Gutknecht wird nämlich „Hors Sol“ praktiziert – eine Anbaumethode, die dem Augenschein nach auch auf dem Mars funktionieren könnte.

Was wächst bei Gutknecht?

An einem heissen Juni-Tag führte mich mein Weg aus dem kleinen Dorf Kerzers (das unter Naturliebhabern und -forschern für sein Schmetterlingshaus „Papiliorama“ bekannt ist) hinaus aufs flache Feld und durch ein Industriegebiet voller grosser Logistik-Niederlassungen. Dahinter wartete natürlich kein romantischer Familien-Ferien-Bauernhof. Der hätte auch kaum die Möglichkeit gehabt, das ganze Gebiet um den „Röstigraben“ zwischen Deutsch- und Westschweiz mit frischem Gemüse zu versorgen.

Der Gutknecht-Gemüsehof hingegen kann das: Auf einer Gewächshaus-Fläche von 9 Fussballfeldern (das sind 6 bis 7 Hektar) werden das ganze Jahr über zahlreiche Gemüsesorten angebaut, die wir in den Auslagen von Migros, Coop, Spar, Lidl, Denner….eigentlich allen Supermärkten in der Region finden können. Dazu kommen 100 Hektar Anbaufläche an der frischen Luft für Obst und Gemüsesorten, die im Gewächshaus nicht gedeihen. Aber die waren für uns heute nicht von Interesse.

Uns und Pascal Gutknecht – einem der Hofbesitzer, der uns persönlich herumgeführt hat – ging es heute um die Gewächshäuser und das, was darin wächst: 29 (!) verschiedene Sorten Tomaten, dazu Auberginen, Zucchetti (in Deutschland sagt man Zucchini), Gurken, Peperoni (für Nicht-Schweizer: gemeint sind Paprika – die kleineren Scharfen, hierzulande Peperoncini genannt, gibt es bei Gutknechts allerdings auch), verschiedene Sorten frischer Kräuter und wer weiss, was wir noch alles nicht gesehen haben.

Unser Rundgang durch den Anbaubereich beginnt im Versuchsgewächshaus, in welchem in kleinerem Massstab mit Verbesserungen der Anbaumethode und neuen Sorten experimentiert wird. Das muss Pascal Gutknecht uns allerdings erst erklären – denn wir finden uns auf den ersten Blick in einer mächtigen gläsernen Halle mit Reihen um Reihen grüner Pflanzen mit Rispen voller kleiner Tomaten wieder. Die richtig grossen Gewächshäuser haben wir ja noch gar nicht gesehen.

Datteltomaten im Versuchs-Gewächshaus

Und hätte Moana uns nicht so gründlich vorinformiert, hätte der Anblick dieser Reihen vielleicht befremdlich gewirkt. Seit wann sind Tomaten lianenähnliche Schlingpflanzen? Und seit wann wachsen die auf frei hängenden Schwebebalken? Aber Moana hatte mich ja vorgewarnt: Die Gutknechts haben sich dem Hors Sol, einer etwas anderen, aber zukunftsweisenden Anbaumethode verschrieben.

 

Was ist Hors-Sol?

„Hors Sol“ ist französisch für „ausserhalb des Erdbodens“ – und genau darum geht es auch. Der Erdboden unter dem Gewächshaus wird nicht bepflanzt, sondern mit Platten oder Planen abgedeckt. Stattdessen werden Reihe um Reihe der schon erwähnten „Schwebebalken“ an Ketten unter dem Gewächshausdach aufgehängt, sodass sie etwa 30 bis 40cm über dem Boden schweben.

Die Balken werden dann mit prallvollen Kunststoffsäcken bestückt, die an Gartenerde-Säcke aus dem Baumarkt erinnern. Statt Gartenerde enthalten sie jedoch Kokosfasern, die beim Anbau von Kokospalmen (zum Beispiel für das zunehmend populäre Kokosfett) abfallen. In diesen Kokosfaserballen wurzeln die Tomaten (oder andere Pflanzen), während sie dem durch das Glasdach fallenden Licht entgegen wachsen.

Wurzelballen in einer Hors Sol - Kultur

Was sind das für seltsame Lianen-Tomaten?

Und das tun sie mit grösstem Eifer: Alle Windungen zusammengenommen sind die Tomatenpflanzen im Versuchgewächshaus gut und gerne sechs bis sieben Meter lang! Dabei werden sie sorgfältig drapiert und ihre Spitzen an Führungsketten aufgehängt. Zudem herrscht akribische Ordnung: An der Spitze blüht alles, in der Mitte hängen schwer die reifenden Früchte und der untere Teil der Haupttriebe ist vollkommen kahl (Diese Ordnung ist naturgegeben – ihr könnt sie auch an den Tomatenpflanzen in eurem Garten beobachten – wenn ihr im untersten Bereich eurer Pflanzen kräftig „ausgeizt“ und alle Blätter wegschneidet).

Dabei ist diese Pflanzung erst in der Mitte ihres Lebens angelangt: Die Tomaten wurden im Januar, also vor einem halben Jahr gesetzt und können bis zu ihrem Lebensende im Dezember eine Länge von 13 Metern erreichen! Das könnten eure Tomaten im Garten übrigens auch, wenn sie so viel Zeit und Platz zum Wachsen hätten.

In diesem Gewächshaus ist Wechselzeit: Die Kokosfaser-Säcke - Basis für die Hors Sol Kultur - warten auf neue Pflanzen

In diesem Produktions-Gewächshaus ist Wechselzeit: Die grossen Kokosfasersäcke bleiben dabei stets am Ort. Im Hintergrund wurden bereits junge Gurkenpflanzen gesetzt, die im Vordergrund folgen in den nächsten beiden Wochen.

 

Giesswasser und Dünger per Infusion

In jedem Wurzelballen steckt mindestens eine mit einem dünnen Schlauch versehene Sonde, sodass das Ganze untenherum ziemlich verkabelt wirkt. Durch die Schläuche können Giesswasser und darin gelöste Nährstoffe direkt in jeden Wurzelballen gepumpt werden. So erhält jede Pflanze „per Infusion“ genau das, was sie gerade braucht.

So brauchen zum Beispiel die mächtigen „Coeur de Boeuf“-Tomaten eine Extraportion Calcium, um nicht an Wurzelfäule zu erkranken, während die kleineren Sorten sehr gut mit geringeren Mengen auskommen. Deshalb gibt es die Extraladung Calcium nur dort ins Giesswasser, wo sie benötigt wird.

Und wenn doch mal etwas überläuft, wird es gleich zur Wiederverwendung in den Giesswasser-Vorrat zurückgeführt.

 

Wie werden die Pflanzen im Gewächshaus befruchtet?

Damit haben die Pflanzen alles, was sie zum Wachsen brauchen: Licht, Wärme, Wasser, einen Untergrund zum Wurzeln, Nährstoffe… Aber ihr denkt jetzt womöglich: „Und wie soll das unter Glas mit den Bienli und den Blüemli funktionieren?“ Richtig: Im Gewächshaus können die Pflanzen blühen – aber ohne Bestäubung werden aus den Blüten keine Früchte. Deshalb haben die Gutknechts ganz besondere Hilfsarbeiter eingestellt:

Pascal holt zwischen den Tomatenreihen einen handlichen Pappkarton mit einem feinmaschigen Gitter vor der oberen Öffnung hervor. Als er den kräftig anstösst, ertönt daraus ein ungehaltenes Summen. In dem Karton hat ein Hummelvolk sein Nest! Damit wir und die Kinder das Ganze in Ruhe betrachten können, hat Pascal das Einflugloch für den Moment verschlossen. Aber wie auf Bestellung nähert sich sogleich eine frei fliegende Hummel, die den Eingang sucht – nun aber für den Moment warten muss.

Hummelnest im Pappkarton zum Einsatz im Hors Sol Gewächshaus

Ein Hummelnest im Pappkarton: Durch das Gitter ist die Luftzufuhr garantiert. Die violette Scheibe ist drehbar und verschliesst in dieser Position das Einflugloch.

 

Im ganzen Gewächshausbetrieb gibt es 140 solcher Hummelnester und jedes davon wird von rund 250 Hummeln bewohnt. Das macht nach Adam Riese 35’000 Hummeln, deren Job es ist, auf Nektarsuche von Gemüseblüte zu Gemüseblüte zu fliegen und dabei Pollen von der einen zum Stempel der nächsten Blüte zu tragen.

Dabei sind Hummeln übrigens genügsamer als Bienen: Sie fliegen auch bei deutlich weniger Licht und Wärme (in Mutters Garten konnte ich das Mitte Juli selbst beobachten: Gegen 20:30 waren immer noch Hummeln am Sommerflieder zugange, während die Bienen schon längst verschwunden waren). Dazu kommt, dass Hummeln wesentlich friedfertiger als ihre kleineren Verwandten sind, sodass die 80 menschlichen Mitarbeiter bei Gutknecht Gemüse um vieles seltener von ihnen behelligt oder gar gestochen werden.

 

Hat die Hors-Sol-Methode Einfluss auf die Qualität des Gemüses?

Während wir die futuristisch anmutenden Pflanzungen näher in Augenschein nehmen, greift Pascal Gutknecht tief ins Grün und pflückt eine Rispe mit reifen Tomaten. Die verteilt er sogleich an uns und die Kinder – und sobald wir probieren, sind wir uns einig: Die sind megafein! Richtig süss und tomatig…

Hors Sol kommt ohne Pestizide aus!

Aber halt! Wir essen Tomaten aus solch einer Umgebung direkt vom Strauch? Denkt denn hier niemand über Pflanzenschutzmittel nach? Keine Sorge, sagt Pascal, in den Gutknecht-Gewächshäusern kommen überhaupt keine Pestizide zum Einsatz. Das wäre allein schon der Hummelvölker wegen schwierig. Das einzige, was an diesen Tomaten dran sein könnte, ist also allenfalls, was die Mitarbeiter an den Händen haben. Davon ausgehend, dass Pascal seine gewaschen hat, können wir die Kinder also bedenkenlos das Gemüse vertilgen lassen.

Und wie sie das tun! Neben Tomaten gibt es hier die als Naschwerk gezüchteten, besonders süssen Spitzpeperoni – auch unheimlich lecker.

Zweifarbige Spitzpeperoni (Spitzpaprika)

Zweifarbige Spitzpeperoni (Spitzpaprika): Absolut unbedenklich direkt ab Strauch und heiss begehrt bei den Kindern

 

Da kommt Pascal gar nicht so schnell mit dem Aufschneiden hinterher, wie die Kleinen ihm die Leckereien aus den Händen schnappen (heisst es nicht oft, dass Kinder kein Gemüse mögen würden? Hier wurde uns eindrücklich das Gegenteil bewiesen!). Selbst eine äusserlich eigenwillige Sorte im reifen Zustand grüner Zebratomaten mindert die Begeisterung nicht, sodass das Ganze schnell buchstäblich einer Raubtierfütterung gleicht.

Reife Zebratomaten in Rot und Grün

Eine besondere Rarität: Zebratomaten – beide Früchte in Pascals Händen sind reif!

 

Wie wird dann gegen Schädlinge vorgegangen?

Schon bald ist uns eine Merkwürdigkeit in der Tomatenpflanzung aufgefallen: Am Anfang jeder vielleicht fünften Pflanzreihe wächst am äussersten Ende des Schwebebalkens eine einzelne Auberginen-Pflanze. Das ist auch in den richtig grossen Tomatenhäusern so, sodass das nichts mit der Versuchsanlage zu tun haben kann. Jedenfalls nicht direkt.

Indikator-Aubergine

Diese Aubergine steht vor den Tomaten, um Schädlingsbefall frühzeitig sichtbar zu machen.

 

Stattdessen dient die Aubergine als Indikator für Schädlingsbefall. Sie hat nämlich unter allen Gemüsepflanzen im Gewächshaus die weichsten, empfindlichsten Blätter. Wenn Schädlinge ins Gewächshaus einfallen, lassen sie sich daher zu allererst auf der Aubergine nieder, wo sie von den Mitarbeitern schnell gesehen werden. Und dann wird in die biologische Trickkiste gegriffen:

Es werden Eier und Larven von nützlichen Krabbeltieren – natürlichen Feinden der Schädlinge, die in kleinen Briefchen beim Züchter eingekauft und wie Saatgut gelagert werden können, im Gewächshaus ausgesetzt.

Eine Ladung Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung

Eine Ladung biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel: Die winzigen aber nützlichen Bewohner des holzwolleähnlichen Substrats aus einem frisch geöffneten Briefchen machen sich eiligst davon (rote Kringel).

 

Schmeckt Hors Sol-Gemüse fad oder ist es weniger nahrhaft?

Was Pascal Gutknecht uns nun erklärt, könnt ihr auch hier in Keinsteins Kiste nachlesen (und erfahren, wie ihr Tomaten nachreifen lassen könnt): Der angenehme Geschmack reifer Tomaten oder anderer Gemüse kommt nicht aus dem „richtigen“ Boden. Dafür ist einzig und allein Wärme verantwortlich. Und die gibt es hier im Gewächshaus reichlich (wir schwitzen schon ordentlich und mein Kamera-Handy läuft immer wieder heiss).

Dass die Tomaten im Supermarkt trotzdem oft kaum Geschmack haben, rührt daher, dass die Früchte auf ihrem Weg bis in die Supermarkt-Auslagen bzw. auf unseren Esstisch nicht warm bleiben. Damit sie schön prall und fest bei uns ankommen, werden sie nämlich beim Transport in die Märkte oft gekühlt – und wenn nicht dort, dann legen wir sie zu Hause nur all zu gerne in den Kühlschrank.

Das Problem dabei: Die Kälte führt zum Abbau von Aromastoffen, die von der Pflanze als Lockmittel für hungrige Pflanzenfresser geschaffen werden, welche die Samen verbreiten können. Und bei kalter Witterung macht die Verbreitung von Samen keinen Sinn (es würde schwerlich etwas daraus wachsen).

Da die Hors-Sol-Pflanzen über ihre „Infusion“ alles erhalten, was sie zum Aufbau von Nähr- und Aromastoffen brauchen, fehlt ihnen aufgrund der Anbauweise nichts, um sowohl schmackhaft als auch gesund zu sein.

Frische Kräuter aus Hors Sol - Kultur

Pascal erklärts: Auch die frischen Kräuter erhalten hier alles, was sie brauchen, um würzig zu sein.

 

Wie ihr zu Hause an schmackhafte Tomaten kommt

Wenn ihr euch geschmackvolle Tomaten wünscht, kauft sie nach Möglichkeit ungekühlt, bringt sie in der kalten Jahreszeit raumwarm heim und legt sie dort nicht in den Kühlschrank! Lagert sie stattdessen bei Raumtemperatur (nicht unbedingt neben Äpfeln, es sei denn, die Tomaten wären unreif). Dann müsst ihr sie wohl schneller aufbrauchen, aber dafür schmecken sie um so mehr nach Tomate.

Und noch ein Tipp am Rande: Kleine Tomatensorten enthalten naturgemäss mehr Zucker als grosse und schmecken daher grundsätzlich süsser. Auch deswegen sind Kirschtomaten und andere „Winzlinge“ als Nascherei besonders beliebt.

 

Warum wird dieses Gemüse nicht als „bio“ verkauft?

Meine persönliche Vorstellung von bio-Anbau beläuft sich auf „frei von Pflanzenschutzmitteln ‚aus dem Labor‘ und von umweltbedenklichen Düngemitteln. Damit wäre die pestizidfreie Hors-Sol-Methode mit ihrem wohldosierten wie geschlossenen Düngemittelkreislauf in meinen Augen des bio-Labels würdig. Das würde vor allem dem zu unrecht schlechten Image dieser Anbauweise gehörigen Auftrieb verleihen.

Leider sehen die Erfinder des bio-Labels das anders. Eine ihrer Bedingungen, die irgendwann in den 1980er Jahren für die Vergabe des Labels festgelegt wurde, ist nämlich der Anbau in „richtigem Erdboden“. Und die erfüllt die Hors-Sol-Methode mit ihren Kokosfasern auf Schwebebalken nunmal nicht.

Warum Pflanzen „ohne Boden“ ganz natürlich sind

Dabei bestehen Kokosfasern und Humusboden aus der gleichen Sorte Rohstoff: Abgestorbenen Pflanzenresten. Im Humusboden sind die bloss etwas gründlicher zerkleinert und verdaut.

Freigelegter Wurzelballen in Hors Sol - Kultur

Ein freigelegter Wurzelballen in Kokosfasern: Sieht moosigem, durchwurzeltem Waldboden ziemlich ähnlich, gell?

 

Und überhaupt: An Pflanzen, die auf Überresten anderer Pflanzen wurzeln, ist überhaupt nichts unnatürliches. Haltet beim Spaziergang im Wald einfach einmal die Augen nach alten umgestürzten Baumstämmen und Wurzelstrünken auf. Die sind nämlich eine wahre Fundgrube – nicht nur für Pilze, Moose und Farne, sondern auch für viele „höhere“ Pflanzen. Im Wald der Riesen-Sequoias an der Westküste Nordamerikas gibt solches Totholz sogar die besten „Baumkindergärten“ für junge Mammutbäumchen ab!

Es wird Zeit für zeitgemässe Regeln

In einer Zeit, in welcher der Ruf nach nachhaltiger Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung ebenso immer lauter wird wie der nach Natur- und Umweltschutz, ist es dringend nötig, über 30 Jahre alte Regelungen neu zu überdenken.

Denn eine Möglichkeit, in einem kleinen Land mit extremen Jahreszeiten ganzjährig Gemüse anzubauen, ohne dabei auf chemische Pflanzenschutzmittel zurückzugreifen oder die Umwelt mit Düngemitteln zu belasten, sollte nicht das Schattendasein fristen, das ihr bislang bestimmt ist.

Die Nähe der Anbaustätten zu den jeweiligen Endkunden (also uns), die dank kurzer Transportwege schon zu einem deutlich kleineren CO2-Fussabdruck führt als Import-Gemüse ihn hat, ist zudem nur ein weiterer Punkt, der für die Nachhaltigkeit des Hors-Sol-Anbaus a la Gutknecht spricht.

 

CO2-Neutralität wird grossgeschrieben

Auch in Sachen Energieversorgung setzt man hier auf bestmögliche CO2-Neutralität. So sind alle Dächer der Anlage, die nicht aus Glas sind (das sind zum Beispiel Verarbeitungs- und Lagerbereiche, in welchen das Gemüse auf Europaletten verpackt und für den Abtransport bereitgehalten wird), mit Photovoltaik-Anlagen – also Solarzellen zur Stromerzeugung (wie die funktionieren, könnt ihr hier nachlesen) – bestückt. Diese Anlagen liefern mehr als genug Strom, um den ganzen Betrieb zu versorgen.

Für 2020 ist zudem der Bau einer eigenen Heizanlage für die kalte Jahreszeit geplant, welche mit Abfallholz befeuert werden soll. Zugegeben, das ist naturgemäss nicht ganz CO2-neutral (es sei denn, die Holzabfälle müssten so oder so zur Entsorgung verbrannt werden – dann würde die darin enthaltene Energie wenigstens sinnvoll genutzt). Allerdings ist offen, was die Gutknechts mit dem Abgas letztendlich anfangen (auch dafür gibt es nämlich Verwendungsmöglichkeiten).

Fazit

Wir haben nicht nur einen inspirierenden Vormittag in einer Welt verbracht, die uns normalerweise nicht zugänglich ist (es bei Gutknechts aber auch für euch sein kann – man kann die Führung über die Website für private Gruppen, Schul-, oder Betriebsausflüge buchen!). Wir haben auch jede Menge Spannendes gelernt – über überraschend natürlichen Gemüseanbau in futuristischer Umgebung.

Die Quintessenz dessen ist: Der Hors-Sol-Gemüseanbau hat sein verbreitet schlechtes Image nicht verdient. Denn die Gemüse aus dem Hors-Sol-Gewächshaus stehen solchen aus dem Garten an sich in nichts nach – und sind, bezogen auf die benötigten grossen Mengen, erst noch nachhaltiger produziert. So trägt das Gutknecht-Gemüse immerhin das „Suisse-Garantie“-Label, das nicht zuletzt für nachhaltige Produktion, Natürlichkeit und Frische steht.

Deshalb ist es an der Zeit, überholte Regelungen anzupassen, um diesem effizienten und umweltverträglichen Anbau ein besseres Image zu verleihen.

Und bis es soweit ist: Wenn Gemüse als „Hors Sol“ ausgezeichnet seht (das ist in der Schweiz nicht Pflicht, aber erst heute habe ich die Kennzeichnung für Fleischtomaten im COOP entdeckt (und ratet einmal, was es heute zu essen gab)), kauft sie und freut euch, ein nachhaltiges Produkt ohne Pestizid-Belastung geniessen zu können.

Ich habe genau das jedenfalls im Hofladen auf dem Gutknecht-Gelände getan und mich für ein Ratatouille mit allem Nötigen eingedeckt. Mmmmhh, lecker!

Und welches Gemüse – aus welcher Anbauform – bevorzugt ihr? Warum?