Hors Sol: Moderner Gemüseanbau – besser als Bio?
Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Gutknecht Gemüse entstanden, die mir im Rahmen einer Betriebsführung für Blogger einen Einblick in ihre Gewächshausproduktion gewährt haben. Ich bedanke mich herzlich bei beim Unternehmen für die Einladung und bei Moana Werschler für die Organisation. Es besteht kein Interessenkonflikt hinsichtlich des Inhalts in diesem Beitrag und dessen Publikation.
Chemie im Alltag? Die ist auch in der Gemüseabteilung im Supermarkt immer wieder ein Thema. Zumindest lässt mich, was so durch die Sozialen Medien geistert, annehmen, dass ich nicht die einzige bin, die beim Einkauf darüber nachdenkt, welche ebenso beunruhigenden wie unsichtbaren Substanzen an unseren Gemüsen haften mögen: Rückstände von Pestiziden und die noch weniger greifbaren Folgen „nicht-natürlichen“ Anbaus.
Aber ganz ehrlich: Bis vor wenigen Wochen hatte ich absolut gar keine Ahnung davon, wie unser Gemüse heutzutage angebaut wird. Wie die meisten von euch vermutlich auch. Ist das eine Grundlage für eine fundierte Einschätzung der Lage im Gemüseregal? Fehlanzeige! Selbst für mich als Chemikerin.
Wie baut man heute Gemüse an?
Richtig bewusst wurde mir das allerdings erst, als ich jemanden traf, der es besser wusste – und mir und anderen Bloggern die Möglichkeit eröffnete, der Sache auf den Grund zu gehen: Ich danke Moana Werschler von „Miss Broccoli“ herzlich für die Organisation des spannenden Ausflugs in die Welt des modernen Indoor-Gemüseanbaus bei Familie Gutknecht in Kerzers! Dort habe ich nämlich aus nächster Nähe anschauen – und probieren! – dürfen, wie zeitgemässer Gemüseanbau in der Schweiz funktioniert.
Und das habe ich natürlich für euch getan, damit ich euch einen wirklich spannenden Einblick „aus erster Hand“ in die Herkunft unserer liebsten Grundlage gesunder Ernährung geben kann. Und die mutet geradezu futuristisch an: Bei Gutknecht wird nämlich „Hors Sol“ praktiziert – eine Anbaumethode, die dem Augenschein nach auch auf dem Mars funktionieren könnte.
Was wächst bei Gutknecht?
An einem heissen Juni-Tag führte mich mein Weg aus dem kleinen Dorf Kerzers (das unter Naturliebhabern und -forschern für sein Schmetterlingshaus „Papiliorama“ bekannt ist) hinaus aufs flache Feld und durch ein Industriegebiet voller grosser Logistik-Niederlassungen. Dahinter wartete natürlich kein romantischer Familien-Ferien-Bauernhof. Der hätte auch kaum die Möglichkeit gehabt, das ganze Gebiet um den „Röstigraben“ zwischen Deutsch- und Westschweiz mit frischem Gemüse zu versorgen.
Der Gutknecht-Gemüsehof hingegen kann das: Auf einer Gewächshaus-Fläche von 9 Fussballfeldern (das sind 6 bis 7 Hektar) werden das ganze Jahr über zahlreiche Gemüsesorten angebaut, die wir in den Auslagen von Migros, Coop, Spar, Lidl, Denner….eigentlich allen Supermärkten in der Region finden können. Dazu kommen 100 Hektar Anbaufläche an der frischen Luft für Obst und Gemüsesorten, die im Gewächshaus nicht gedeihen. Aber die waren für uns heute nicht von Interesse.
Uns und Pascal Gutknecht – einem der Hofbesitzer, der uns persönlich herumgeführt hat – ging es heute um die Gewächshäuser und das, was darin wächst: 29 (!) verschiedene Sorten Tomaten, dazu Auberginen, Zucchetti (in Deutschland sagt man Zucchini), Gurken, Peperoni (für Nicht-Schweizer: gemeint sind Paprika – die kleineren Scharfen, hierzulande Peperoncini genannt, gibt es bei Gutknechts allerdings auch), verschiedene Sorten frischer Kräuter und wer weiss, was wir noch alles nicht gesehen haben.
Unser Rundgang durch den Anbaubereich beginnt im Versuchsgewächshaus, in welchem in kleinerem Massstab mit Verbesserungen der Anbaumethode und neuen Sorten experimentiert wird. Das muss Pascal Gutknecht uns allerdings erst erklären – denn wir finden uns auf den ersten Blick in einer mächtigen gläsernen Halle mit Reihen um Reihen grüner Pflanzen mit Rispen voller kleiner Tomaten wieder. Die richtig grossen Gewächshäuser haben wir ja noch gar nicht gesehen.
Und hätte Moana uns nicht so gründlich vorinformiert, hätte der Anblick dieser Reihen vielleicht befremdlich gewirkt. Seit wann sind Tomaten lianenähnliche Schlingpflanzen? Und seit wann wachsen die auf frei hängenden Schwebebalken? Aber Moana hatte mich ja vorgewarnt: Die Gutknechts haben sich dem Hors Sol, einer etwas anderen, aber zukunftsweisenden Anbaumethode verschrieben.
Was ist Hors-Sol?
„Hors Sol“ ist französisch für „ausserhalb des Erdbodens“ – und genau darum geht es auch. Der Erdboden unter dem Gewächshaus wird nicht bepflanzt, sondern mit Platten oder Planen abgedeckt. Stattdessen werden Reihe um Reihe der schon erwähnten „Schwebebalken“ an Ketten unter dem Gewächshausdach aufgehängt, sodass sie etwa 30 bis 40cm über dem Boden schweben.
Die Balken werden dann mit prallvollen Kunststoffsäcken bestückt, die an Gartenerde-Säcke aus dem Baumarkt erinnern. Statt Gartenerde enthalten sie jedoch Kokosfasern, die beim Anbau von Kokospalmen (zum Beispiel für das zunehmend populäre Kokosfett) abfallen. In diesen Kokosfaserballen wurzeln die Tomaten (oder andere Pflanzen), während sie dem durch das Glasdach fallenden Licht entgegen wachsen.
Was sind das für seltsame Lianen-Tomaten?
Und das tun sie mit grösstem Eifer: Alle Windungen zusammengenommen sind die Tomatenpflanzen im Versuchgewächshaus gut und gerne sechs bis sieben Meter lang! Dabei werden sie sorgfältig drapiert und ihre Spitzen an Führungsketten aufgehängt. Zudem herrscht akribische Ordnung: An der Spitze blüht alles, in der Mitte hängen schwer die reifenden Früchte und der untere Teil der Haupttriebe ist vollkommen kahl (Diese Ordnung ist naturgegeben – ihr könnt sie auch an den Tomatenpflanzen in eurem Garten beobachten – wenn ihr im untersten Bereich eurer Pflanzen kräftig „ausgeizt“ und alle Blätter wegschneidet).
Dabei ist diese Pflanzung erst in der Mitte ihres Lebens angelangt: Die Tomaten wurden im Januar, also vor einem halben Jahr gesetzt und können bis zu ihrem Lebensende im Dezember eine Länge von 13 Metern erreichen! Das könnten eure Tomaten im Garten übrigens auch, wenn sie so viel Zeit und Platz zum Wachsen hätten.
Giesswasser und Dünger per Infusion
In jedem Wurzelballen steckt mindestens eine mit einem dünnen Schlauch versehene Sonde, sodass das Ganze untenherum ziemlich verkabelt wirkt. Durch die Schläuche können Giesswasser und darin gelöste Nährstoffe direkt in jeden Wurzelballen gepumpt werden. So erhält jede Pflanze „per Infusion“ genau das, was sie gerade braucht.
So brauchen zum Beispiel die mächtigen „Coeur de Boeuf“-Tomaten eine Extraportion Calcium, um nicht an Wurzelfäule zu erkranken, während die kleineren Sorten sehr gut mit geringeren Mengen auskommen. Deshalb gibt es die Extraladung Calcium nur dort ins Giesswasser, wo sie benötigt wird.
Und wenn doch mal etwas überläuft, wird es gleich zur Wiederverwendung in den Giesswasser-Vorrat zurückgeführt.
Wie werden die Pflanzen im Gewächshaus befruchtet?
Damit haben die Pflanzen alles, was sie zum Wachsen brauchen: Licht, Wärme, Wasser, einen Untergrund zum Wurzeln, Nährstoffe… Aber ihr denkt jetzt womöglich: „Und wie soll das unter Glas mit den Bienli und den Blüemli funktionieren?“ Richtig: Im Gewächshaus können die Pflanzen blühen – aber ohne Bestäubung werden aus den Blüten keine Früchte. Deshalb haben die Gutknechts ganz besondere Hilfsarbeiter eingestellt:
Pascal holt zwischen den Tomatenreihen einen handlichen Pappkarton mit einem feinmaschigen Gitter vor der oberen Öffnung hervor. Als er den kräftig anstösst, ertönt daraus ein ungehaltenes Summen. In dem Karton hat ein Hummelvolk sein Nest! Damit wir und die Kinder das Ganze in Ruhe betrachten können, hat Pascal das Einflugloch für den Moment verschlossen. Aber wie auf Bestellung nähert sich sogleich eine frei fliegende Hummel, die den Eingang sucht – nun aber für den Moment warten muss.
Im ganzen Gewächshausbetrieb gibt es 140 solcher Hummelnester und jedes davon wird von rund 250 Hummeln bewohnt. Das macht nach Adam Riese 35’000 Hummeln, deren Job es ist, auf Nektarsuche von Gemüseblüte zu Gemüseblüte zu fliegen und dabei Pollen von der einen zum Stempel der nächsten Blüte zu tragen.
Dabei sind Hummeln übrigens genügsamer als Bienen: Sie fliegen auch bei deutlich weniger Licht und Wärme (in Mutters Garten konnte ich das Mitte Juli selbst beobachten: Gegen 20:30 waren immer noch Hummeln am Sommerflieder zugange, während die Bienen schon längst verschwunden waren). Dazu kommt, dass Hummeln wesentlich friedfertiger als ihre kleineren Verwandten sind, sodass die 80 menschlichen Mitarbeiter bei Gutknecht Gemüse um vieles seltener von ihnen behelligt oder gar gestochen werden.
Hat die Hors-Sol-Methode Einfluss auf die Qualität des Gemüses?
Während wir die futuristisch anmutenden Pflanzungen näher in Augenschein nehmen, greift Pascal Gutknecht tief ins Grün und pflückt eine Rispe mit reifen Tomaten. Die verteilt er sogleich an uns und die Kinder – und sobald wir probieren, sind wir uns einig: Die sind megafein! Richtig süss und tomatig…
Hors Sol kommt ohne Pestizide aus!
Aber halt! Wir essen Tomaten aus solch einer Umgebung direkt vom Strauch? Denkt denn hier niemand über Pflanzenschutzmittel nach? Keine Sorge, sagt Pascal, in den Gutknecht-Gewächshäusern kommen überhaupt keine Pestizide zum Einsatz. Das wäre allein schon der Hummelvölker wegen schwierig. Das einzige, was an diesen Tomaten dran sein könnte, ist also allenfalls, was die Mitarbeiter an den Händen haben. Davon ausgehend, dass Pascal seine gewaschen hat, können wir die Kinder also bedenkenlos das Gemüse vertilgen lassen.
Und wie sie das tun! Neben Tomaten gibt es hier die als Naschwerk gezüchteten, besonders süssen Spitzpeperoni – auch unheimlich lecker.
Da kommt Pascal gar nicht so schnell mit dem Aufschneiden hinterher, wie die Kleinen ihm die Leckereien aus den Händen schnappen (heisst es nicht oft, dass Kinder kein Gemüse mögen würden? Hier wurde uns eindrücklich das Gegenteil bewiesen!). Selbst eine äusserlich eigenwillige Sorte im reifen Zustand grüner Zebratomaten mindert die Begeisterung nicht, sodass das Ganze schnell buchstäblich einer Raubtierfütterung gleicht.
Wie wird dann gegen Schädlinge vorgegangen?
Schon bald ist uns eine Merkwürdigkeit in der Tomatenpflanzung aufgefallen: Am Anfang jeder vielleicht fünften Pflanzreihe wächst am äussersten Ende des Schwebebalkens eine einzelne Auberginen-Pflanze. Das ist auch in den richtig grossen Tomatenhäusern so, sodass das nichts mit der Versuchsanlage zu tun haben kann. Jedenfalls nicht direkt.
Stattdessen dient die Aubergine als Indikator für Schädlingsbefall. Sie hat nämlich unter allen Gemüsepflanzen im Gewächshaus die weichsten, empfindlichsten Blätter. Wenn Schädlinge ins Gewächshaus einfallen, lassen sie sich daher zu allererst auf der Aubergine nieder, wo sie von den Mitarbeitern schnell gesehen werden. Und dann wird in die biologische Trickkiste gegriffen:
Es werden Eier und Larven von nützlichen Krabbeltieren – natürlichen Feinden der Schädlinge, die in kleinen Briefchen beim Züchter eingekauft und wie Saatgut gelagert werden können, im Gewächshaus ausgesetzt.
Schmeckt Hors Sol-Gemüse fad oder ist es weniger nahrhaft?
Was Pascal Gutknecht uns nun erklärt, könnt ihr auch hier in Keinsteins Kiste nachlesen (und erfahren, wie ihr Tomaten nachreifen lassen könnt): Der angenehme Geschmack reifer Tomaten oder anderer Gemüse kommt nicht aus dem „richtigen“ Boden. Dafür ist einzig und allein Wärme verantwortlich. Und die gibt es hier im Gewächshaus reichlich (wir schwitzen schon ordentlich und mein Kamera-Handy läuft immer wieder heiss).
Dass die Tomaten im Supermarkt trotzdem oft kaum Geschmack haben, rührt daher, dass die Früchte auf ihrem Weg bis in die Supermarkt-Auslagen bzw. auf unseren Esstisch nicht warm bleiben. Damit sie schön prall und fest bei uns ankommen, werden sie nämlich beim Transport in die Märkte oft gekühlt – und wenn nicht dort, dann legen wir sie zu Hause nur all zu gerne in den Kühlschrank.
Das Problem dabei: Die Kälte führt zum Abbau von Aromastoffen, die von der Pflanze als Lockmittel für hungrige Pflanzenfresser geschaffen werden, welche die Samen verbreiten können. Und bei kalter Witterung macht die Verbreitung von Samen keinen Sinn (es würde schwerlich etwas daraus wachsen).
Da die Hors-Sol-Pflanzen über ihre „Infusion“ alles erhalten, was sie zum Aufbau von Nähr- und Aromastoffen brauchen, fehlt ihnen aufgrund der Anbauweise nichts, um sowohl schmackhaft als auch gesund zu sein.
Wie ihr zu Hause an schmackhafte Tomaten kommt
Wenn ihr euch geschmackvolle Tomaten wünscht, kauft sie nach Möglichkeit ungekühlt, bringt sie in der kalten Jahreszeit raumwarm heim und legt sie dort nicht in den Kühlschrank! Lagert sie stattdessen bei Raumtemperatur (nicht unbedingt neben Äpfeln, es sei denn, die Tomaten wären unreif). Dann müsst ihr sie wohl schneller aufbrauchen, aber dafür schmecken sie um so mehr nach Tomate.
Und noch ein Tipp am Rande: Kleine Tomatensorten enthalten naturgemäss mehr Zucker als grosse und schmecken daher grundsätzlich süsser. Auch deswegen sind Kirschtomaten und andere „Winzlinge“ als Nascherei besonders beliebt.
Warum wird dieses Gemüse nicht als „bio“ verkauft?
Meine persönliche Vorstellung von bio-Anbau beläuft sich auf „frei von Pflanzenschutzmitteln ‚aus dem Labor‘ und von umweltbedenklichen Düngemitteln. Damit wäre die pestizidfreie Hors-Sol-Methode mit ihrem wohldosierten wie geschlossenen Düngemittelkreislauf in meinen Augen des bio-Labels würdig. Das würde vor allem dem zu unrecht schlechten Image dieser Anbauweise gehörigen Auftrieb verleihen.
Leider sehen die Erfinder des bio-Labels das anders. Eine ihrer Bedingungen, die irgendwann in den 1980er Jahren für die Vergabe des Labels festgelegt wurde, ist nämlich der Anbau in „richtigem Erdboden“. Und die erfüllt die Hors-Sol-Methode mit ihren Kokosfasern auf Schwebebalken nunmal nicht.
Warum Pflanzen „ohne Boden“ ganz natürlich sind
Dabei bestehen Kokosfasern und Humusboden aus der gleichen Sorte Rohstoff: Abgestorbenen Pflanzenresten. Im Humusboden sind die bloss etwas gründlicher zerkleinert und verdaut.
Und überhaupt: An Pflanzen, die auf Überresten anderer Pflanzen wurzeln, ist überhaupt nichts unnatürliches. Haltet beim Spaziergang im Wald einfach einmal die Augen nach alten umgestürzten Baumstämmen und Wurzelstrünken auf. Die sind nämlich eine wahre Fundgrube – nicht nur für Pilze, Moose und Farne, sondern auch für viele „höhere“ Pflanzen. Im Wald der Riesen-Sequoias an der Westküste Nordamerikas gibt solches Totholz sogar die besten „Baumkindergärten“ für junge Mammutbäumchen ab!
Es wird Zeit für zeitgemässe Regeln
In einer Zeit, in welcher der Ruf nach nachhaltiger Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung ebenso immer lauter wird wie der nach Natur- und Umweltschutz, ist es dringend nötig, über 30 Jahre alte Regelungen neu zu überdenken.
Denn eine Möglichkeit, in einem kleinen Land mit extremen Jahreszeiten ganzjährig Gemüse anzubauen, ohne dabei auf chemische Pflanzenschutzmittel zurückzugreifen oder die Umwelt mit Düngemitteln zu belasten, sollte nicht das Schattendasein fristen, das ihr bislang bestimmt ist.
Die Nähe der Anbaustätten zu den jeweiligen Endkunden (also uns), die dank kurzer Transportwege schon zu einem deutlich kleineren CO2-Fussabdruck führt als Import-Gemüse ihn hat, ist zudem nur ein weiterer Punkt, der für die Nachhaltigkeit des Hors-Sol-Anbaus a la Gutknecht spricht.
CO2-Neutralität wird grossgeschrieben
Auch in Sachen Energieversorgung setzt man hier auf bestmögliche CO2-Neutralität. So sind alle Dächer der Anlage, die nicht aus Glas sind (das sind zum Beispiel Verarbeitungs- und Lagerbereiche, in welchen das Gemüse auf Europaletten verpackt und für den Abtransport bereitgehalten wird), mit Photovoltaik-Anlagen – also Solarzellen zur Stromerzeugung (wie die funktionieren, könnt ihr hier nachlesen) – bestückt. Diese Anlagen liefern mehr als genug Strom, um den ganzen Betrieb zu versorgen.
Für 2020 ist zudem der Bau einer eigenen Heizanlage für die kalte Jahreszeit geplant, welche mit Abfallholz befeuert werden soll. Zugegeben, das ist naturgemäss nicht ganz CO2-neutral (es sei denn, die Holzabfälle müssten so oder so zur Entsorgung verbrannt werden – dann würde die darin enthaltene Energie wenigstens sinnvoll genutzt). Allerdings ist offen, was die Gutknechts mit dem Abgas letztendlich anfangen (auch dafür gibt es nämlich Verwendungsmöglichkeiten).
Fazit
Wir haben nicht nur einen inspirierenden Vormittag in einer Welt verbracht, die uns normalerweise nicht zugänglich ist (es bei Gutknechts aber auch für euch sein kann – man kann die Führung über die Website für private Gruppen, Schul-, oder Betriebsausflüge buchen!). Wir haben auch jede Menge Spannendes gelernt – über überraschend natürlichen Gemüseanbau in futuristischer Umgebung.
Die Quintessenz dessen ist: Der Hors-Sol-Gemüseanbau hat sein verbreitet schlechtes Image nicht verdient. Denn die Gemüse aus dem Hors-Sol-Gewächshaus stehen solchen aus dem Garten an sich in nichts nach – und sind, bezogen auf die benötigten grossen Mengen, erst noch nachhaltiger produziert. So trägt das Gutknecht-Gemüse immerhin das „Suisse-Garantie“-Label, das nicht zuletzt für nachhaltige Produktion, Natürlichkeit und Frische steht.
Deshalb ist es an der Zeit, überholte Regelungen anzupassen, um diesem effizienten und umweltverträglichen Anbau ein besseres Image zu verleihen.
Und bis es soweit ist: Wenn Gemüse als „Hors Sol“ ausgezeichnet seht (das ist in der Schweiz nicht Pflicht, aber erst heute habe ich die Kennzeichnung für Fleischtomaten im COOP entdeckt (und ratet einmal, was es heute zu essen gab)), kauft sie und freut euch, ein nachhaltiges Produkt ohne Pestizid-Belastung geniessen zu können.
Ich habe genau das jedenfalls im Hofladen auf dem Gutknecht-Gelände getan und mich für ein Ratatouille mit allem Nötigen eingedeckt. Mmmmhh, lecker!
Und welches Gemüse – aus welcher Anbauform – bevorzugt ihr? Warum?
Naja. Wenn man bedenkt was ein Erdboden so alles beinhaltet meine ich doch, dass es einen Unterschied gibt zwischen Kokosfasern und Erdboden. Kann man nachlesen, die Komplexität des Erdbodens ist unglaublich. Und hinsichtlich Pestiziden ist schon klar, dass biologische Landwirtschaft darauf verzichtet, oder? Darüber spreche ich, über Bio-Landwirtschaft im Vergleich
hinsichtlich Hors Sol.
Was glauben Sie, welche Nährlösung hierzu verwendet wird? Genau! Sie beinhaltet einzig diese Substanzen, die die Wissenschaft aktuell kennt um Pflanzen wachsen zu lassen. Wie auch mehr? Welche Moleküle Pflanzen insgesamt beinhalten ist noch weitestgehend unerforscht.
Weiters. Bodenversiegelung finden sie gut? Ist ein Klimathema, leider kein positives, das Glashaus ist mit einer asphaltierten, betonierten Fläche gleichzusetzen, auch ein Thema für die Bodenbewohner, auch nicht berauschend positiv.
Die nötige Beleuchtung, vor allem im Winter, einerseits Energieintensiv, andererseits Lichtbelastung. Finden Sie gut? Und alles Ökostrom? Vielleicht, aber es gibt nicht nur Ökostrom. Wenn die Hors Sol Kultur diesen verwendet müssen die anderen auf fossil erzeugten zurückgreifen. Insgesamt also nicht ideal.
CO2 Begasung. Ist für Hors Sol unbedingt notwendig. Kommt die aus der offenen Geothermie bedeutet das fossile CO2 Belastung, kommt sie aus Gas-Ölbeheizung deto.
Monokulturen finden Sie gut? Es mögen 2-3 verschiedene Sorten produziert werden, aber die in Massen. Die anderen verschwinden. Gut?
Es gäbe noch vieles wie Bauernsterben durch Riesenbetriebe, Preisdiktatur dadurch, Qualitätsdiktatur, etc.
Aber natürlich wird der Mensch immer moderner, will alles sofort und immer, egal welche Jahreszeit.
Aber es ist Ihnen natürlich unbenommen diese Produktionsmethode als natürlich bezeichnen zu wollen, Vorkämpferin für die alleinige Gemüsemassenindustrie zu sein. Ich verstehe es nicht, empfinde anders.
Muttermilch ist natürlich, sollte man industrielle Babynahrung auch schon als natürlich bezeichnen dürfen? Ihre Meinung?
Was glauben Sie, welche Nährlösung hierzu verwendet wird? Genau! Sie beinhaltet einzig diese Substanzen, die die Wissenschaft aktuell kennt um Pflanzen wachsen zu lassen. Wie auch mehr? Welche Moleküle Pflanzen insgesamt beinhalten ist noch weitestgehend unerforscht.
–> Ich bin keine Pflanzenbiologin und kann den Anteil bekannter Pflanzenbestandteile nicht aus dem Stehgreif benennen. Aber davon ausgehend, dass die Pflanzenbiochemie mindestens ebenso weit fortgeschritten ist wie die Biochemie des Menschen und vieler Tiere, dürfte er beträchtlich sein. In jedem Fall umfassend genug, um Nutzpflanzen so zielgenau zu versorgen, dass sie nicht nur gesund aussehen, sondern auch reife, schmack- und nahrhafte Früchte hervorbringen.
Bodenversiegelung finden sie gut? Ist ein Klimathema, leider kein positives, das Glashaus ist mit einer asphaltierten, betonierten Fläche gleichzusetzen, auch ein Thema für die Bodenbewohner, auch nicht berauschend positiv.
–> Bodenversiegelung ist ein Thema – hier gilt es, abzuwägen. Eine hohe Weltbevölkerung wie die unsere will ernährt werden, wozu Anbaubetriebe errichtet werden müssen. Und Gewächshäuser schneiden den Baugrund, auf dem sie stehen, in gewisser Weise von der übrigen Umwelt ab. Dafür benötigen sie, allein schon der ganzjährigen Anbaumöglichkeiten wegen, bedeutend weniger Platz für die gleiche Jahresproduktion, wie konventioneller oder Bio-Anbau auf offenen Feldern benötigen würde. Platz, der zum Beispiel auch für Wildlandschaften bzw. Naturschutzgebiete „aufgewendet“ werden könnte. Hinzu kommt, dass die „Versiegelung“ unter den Hors-Sol-Gewächshäusern, die ich besucht habe, von einer ganz anderen Qualität war als Asphalt oder betonierte Fundamente: Da die Pflanzen auf hängenden Konstruktionen wachsen, ist der nackte Boden darin mit simplen Platten und Folien belegt. Was die Bodenbewohner darunter davon halten, kann ich im Einzelnen zwar nicht beurteilen. In jedem Fall ist diese Bebauung aber reversibel – und ermöglicht im Vergleich mit Beton und Asphalt sehr wahrscheinlich einen zusätzlichen Austausch zwischen dem Boden und der Atmosphäre darüber.
Die nötige Beleuchtung, vor allem im Winter, einerseits Energieintensiv, andererseits Lichtbelastung. Finden Sie gut? Und alles Ökostrom? Vielleicht, aber es gibt nicht nur Ökostrom. Wenn die Hors Sol Kultur diesen verwendet müssen die anderen auf fossil erzeugten zurückgreifen.
Die Anlage, die wir besucht haben, versorgt sich – wie im Artikel erwähnt – selbst mit Photovoltaik-Strom (der auf den Dächern der nicht verglasten Betriebsgebäude erzeugt wird). Auch hier gilt es abzuwägen, denn auch Photovoltaik-Anlagen haben – insbesondere ihrer Herstellung wegen – einen ökologischen Fussabdruck. Jener von anderen Anbauformen ist allerdings mindestens genauso gross – insbesondere dann, wenn lange Transportwege dazukommen sollten. Meine Formulierung „sie produzieren mehr als genug Strom“ ist zudem wörtlich gemeint: Der Betrieb speist überschüssigen Strom aus seinen Photovoltaikanlagen ins Netz ein, sodass anderen Nutzern letztlich mehr Ökostrom statt weniger zur Verfügung steht. Und gegen Lichtbelastung durch winterliche Beleuchtung können schlimmstenfalls Jalousien helfen (die bestenfalls auch noch Heizkosten sparen können).
CO2 Begasung. Ist für Hors Sol unbedingt notwendig. Kommt die aus der offenen Geothermie bedeutet das fossile CO2 Belastung, kommt sie aus Gas-Ölbeheizung deto.
Warum sollte CO2-Begasung notwendig sein? Hier lasse ich mich gerne aufklären. Pflanzen sind durchaus in der Lage, wie andere Lebewesen per Zellatmung CO2 zu erzeugen und „abzuatmen“ (das tun sie besonders nachts, wenn keine Photosynthese möglich ist). Diese Pflanzenatmung reicht weit, dass einzelne Pflanzen über Jahre hinweg in hermetisch abgeschlossenen Behältern leben können. Und Hors-Sol-Gewächshäuser sind keinesfalls hermetisch abgeschlossene Gebilde. Allein die menschlichen und tierischen Mitarbeiter sorgen stets für einen gewissen CO2-Eintrag. Ich lasse mich aber gerne über Gründe für eine zusätzliche CO2-Begasung belehren. Sollte sie nötig sein, dürfte die besuchte Anlage inzwischen genügend CO2 als Abfallprodukt aus der erwähnten Holzheizung haben. Holz ist letztlich ein nachwachsender Rohstoff, und sollte das zur Begasung eingesetzte CO2 dabei letztendlich fixiert werden, ist es so gewiss besser aufgehoben als in der Atmosphäre.
Monokulturen finden Sie gut? Es mögen 2-3 verschiedene Sorten produziert werden, aber die in Massen. Die anderen verschwinden.
Ist in dem Artikel vielleicht etwas zu kurz gekommen: Der besuchte Betrieb produziert allein 29 Tomatensorten, darunter etliche, die ich zuvor noch nie gesehen habe. Dazu kommen etliche Sorten Paprika (Peperoni in der Schweiz), verschiedene Auberginen, Gurken, Kräuter,… von Monokultur kann hier keine Rede sein.
Was die wirtschaftlichen Faktoren betrifft: Ich bin ebenfalls keine Wirtschaftsfachfrau, vor allem nicht für Agrarwirtschaft. Ich kann also nicht sagen, wie gross oder klein ein Hors-Sol-Betrieb sein muss, um wirtschaftlich und nachhaltig geführt werden zu können. Von dem Besichtigten weiss ich nur, dass er sein Gemüse in die umliegenden Regionen der Kantone Freiburg und Bern liefert. Das Hors-Sol-Gemüse, das hingegen bei mir daheim, ca. 150 km weiter östlich am oberen Zürichsee verkauft wird, kommt meines Wissens aus einem vielleicht 5 Kilometer entfernten Betrieb auf der anderen Seeseite. Ab wann gilt ein landwirtschaftlicher Betrieb als gross bzw. als Massenindustrie? Kann man Grösse an der Reichweite des Vertriebs messen? Wie gross bzw. klein sollten Höfe/Betriebe sein, um die Bevölkerung eines Landes/der Welt effizient und umweltschonend mit Nahrung zu versorgen?
Und muss „industriell“ zwingend im Widerspruch zu „natürlich“ stehen? Ich bin der Meinung: Nein. Unnatürliche Produktionsmethoden sind in meinen Augen etwas anderes als die effiziente Nutzung natürlicher Prozesse. Zudem ist es gar nicht so leicht, einzugrenzen, was überhaupt „natürlich“ ist. Wie zum Beispiel bei der Säuglingsnahrung: Es ist leicht zu sagen, das einzig Natürliche wäre Muttermilch. Dabei haben menschliche Säuglinge bzw. Kleinkinder in aller Regel die nötigen Enzyme, um auch Milch von Rindern und anderen Tieren zu verdauen (Stichwort Lactase) – weil entsprechender Evolutionsdruck dazu geführt hat, dass der menschliche Körper sich über Jahrzehntausende an solche „Beikost“ angepasst hat. Aber sollte, was in unseren Genen vorgesehen ist, nicht auch natürlich sein? Heute haben wir zudem so viele Säuglinge (und andere Menschen) zu ernähren, dass die blosse Haltung von Milchrindern umweltproblematisch geworden ist. Damit bleiben – sehr grob gesagt – zwei Möglichkeiten: Radikale Eindämmung und bestenfalls Umkehrung des Bevölkerungswachstums (Verhütung, gesetzliche Auflagen, Abstinenz…Moment, ist das nicht unnatürlich?) oder die Suche nach Wegen (Mutter-)milchähnliche Babynahrung unabhängig von Rindern (bzw. stillenden Müttern) nachzubilden. Letzteres kann man gut (also so naturnah, effizient, ökologisch und günstig wie möglich) oder schlecht machen. Auch hier würde ich „industriell“ nicht pauschal gleich „schlecht“ setzen, und – angesichts der Umstände – „industriell“ vor allem nicht als vermeidbar betiteln.
Möchte auch gerne dieses Jahr gemüseanbauen und bin somit auf diese Webseite gestoßen. Das sind wertvolle Infos, danke.
Lg Emma
Sehr schöner Bericht, vielen Dank!